Beckett: 2554 Stück

Anspruchsvolle Literatur hatte es auch in Vor-Internet-Zeiten schwer.
Doris Knecht

Doris Knecht

Wegen Internet, TV und anderer contrabibliophiler Ablenkungen läsen die Leute weniger als früher. Heißt es immer. Das ist offenbar Unsinn, wie die Lektüre des Briefverkehrs zwischen dem Schriftsteller Thomas Bernhard und seinem Verleger, Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld, u. a. beweist. "Der Briefwechsel" ( Suhrkamp) ist ein fantastisches, mitreißendes und vergnügliches Dokument, wie Bücher entstehen - und wie auch die Produktion von Weltliteratur von quälenden pekuniären Begleitumständen belastet ist.

Denn in seinen schriftstellerischen Anfängen litt Bernhard unter chronischer Geldnot, die eng verknüpft war mit dem Erwerb des Ohlsdorfer Anwesens, ursprünglich einer totalen Ruine. Bernhard hatte Unseld 1965 dafür ein Darlehen in der Höhe von 25.000 DM aus dem Kreuz geleiert, das er nur sehr unwillig zurückzuerstatten bereit war. Im Juli 1968 beschwerte sich Bernhard darüber, dass Suhrkamp die schleppende Abtragung seiner Schuld mitverantworte, denn von seinem 1967 veröffentlichten Roman "Verstörung" - und Bernhard war zu diesem Zeitpunkt bereits leidlich berühmt - hatte Suhrkamp gerade einmal 1800 Stück verkauft. In seiner Antwort listete ihm Unseld darauf hin die Verkaufszahlen von Samuel Beckett auf, der im Suhrkamp-Verlag "als Nummer 1 aller Autoren rangiert", und die Zahlen verblüffen: Denn von Becketts größtem Erfolg, "Molloy" aus 1954, hatte Suhrkamp insgesamt 2554 Exemplare verkaufen können. Es mag also schon sein, dass die Leute heutzutage wenig lesen: Aber offenbar haben sie das, zumindest was anspruchsvollere Literatur betrifft, auch schon vor 50 Jahren getan. Ganz ohne die Hilfe von 350 TV-Programmen und Internet.

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