Älter, milder, bärtiger
Weil wir gestern übers Speiben sprachen: Das provokative Kokettieren einer Präsidentschaftskandidatin mit rechtsextremem Gedankengut verlängert den Brechreiz weit über die virale Infektion hinaus. Es ist das alte Dilemma: Einerseits kann man derartige Ungeheuerlichkeiten nicht unerwidert lassen, anderseits signalisiert jede Reaktion auch Gesprächsbereitschaft ... Es ist ein ewiges Elend, dass diese Strategie immer wieder Erfolg hat. Auch deshalb dachte ich diese Woche lieber über Alex James nach. James war - und ist es bei Bedarf noch - Bassist der britischen Band Blur, die das Lebensgefühl, mit dem meine Generation erwachsen wurde, präzise, politisch und extrem erfolgreich in Popmusik übersetzte. (Oasis gaben die dumpfen, begabten Bauchmenschen, Blur die wachen, sensiblen Schlauköpfe.) Blur waren so etwas wie der kürzeste Weg von Punk zu Pop, mit allen exzessiven Begleiterscheinungen, die der Rock-'n'-Roll-Lifestyle so im Repertoire hat. Dafür wird man irgendwann zu alt und zu gescheit. (Naja, die meisten; Oasis nicht.) Damon Albarn, der geniale Blur-Frontman, rannte in die Welt hinaus und nahm von überall Sounds mit, die er in verschiedenen Formationen einbrachte. Gitarrist Graham Coxon wandelte solo und in der Kunst. Und Alex James wandte sich ab und zog aufs Land. Zog aufs Land, bekam fünf Kinder und begann auf seiner Farm Käse zu produzieren. Und schrieb darüber ein Buch, dessentwegen er jetzt Interviews gibt, und das Konzentrat ist: Der Mann hat wieder den richtigen Ort zur richtigen Zeit gefunden, den Ort, an dem er ungestört älter, milder und bärtiger werden kann. Der Mann ist glücklich. Und er weiß, warum.
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