Welt-Reise, Tag 75 - Bosnien und Herzegowina
Gut verdient
Die selbe Sprache, aber doch eine andere Mentalität. Michael Müller weiß, wovon er spricht. Er hat das Giebelkreuz ab Mitte der 1990er-Jahre in Kroatien bekannt gemacht, und seit mehr als elf Jahren leitet er die Geschäfte von Raiffeisen in Bosnien und Herzegowina. Es gibt wenige österreichische Geschäftsleute in Sarajevo, die in der Region mehr Erfahrung gesammelt haben als er. "Die Menschen sind hier viel offener und zugänglicher als beispielsweise in Zagreb", erläutert der 50-jährige Banker aus Graz. "Das hat allerdings den Nachteil, dass sie sehr schnell sehr distanzlos werden können." Und auf noch etwas sei unbedingt zu achten: "Man kann hier sehr schnell jemanden beleidigen, ohne dass man das sofort merkt." Ein eigenes interkulturelles Seminar für Österreicher hält Müller allerdings nicht für notwendig. Er zitiert lieber den alten Metternich, der seinerzeit schon davon ausgegangen ist, dass der Balkan am Rennweg beginnt. Noch dazu sei man als Österreicher in Sarajevo gut angeschrieben: "Es herrscht fast eine verklärte Liebe zu unserem Land." Müller hat an der Universität in Graz Rechtswissenschaften studiert. Nach dem Gerichtsjahr begann er bei der Zentralsparkasse in Wien zu arbeiten. Ein Kulturschock, wie er heute sagt: "Schon am Vormittag hat man sich mit ,Mahlzeit' gegrüßt." Nach einem Jahr wechselte er von der Z zur RZB. Das ist ein wenig vergleichbar mit einem Fußballer, der in Wien von Rapid zur Austria wechselt - vielleicht nicht ganz so lukrativ. In Sarajevo hat Raiffeisen zur Jahrtausendwende die Market Banka übernommen. Heute ist man mit 90 Filialen, 1650 Mitarbeitern und einem Marktanteil von zwanzig Prozent Marktführer im Land. Kritiker werfen der Bank vor, dass sie ausgerechnet den kleinen Leuten, die auch nach dem Krieg hart ums Überleben kämpfen, zu hohe Kreditraten abverlangt. Der Bankdirektor hat andere Sorgen. Die Wirtschaftskrise hat den Bankensektor in BiH zuletzt ordentlich aufgemischt, seine Bank blieb von der Strukturkrise einigermaßen verschont. Er sagt: "Wir müssen zufrieden sein, obwohl wir es natürlich nicht sind."
Im Tal der Minen
Langsam, aber ohne grobe Unterbrechung arbeitet sich der Plasser-und-Theurer-Tross durch das wildromantische Neretva-Tal. Die Stimmung wirkt sehr gespenstisch. Links und rechts vom Bahndamm lauert der Tod: Vorsicht, Minen! Alle paar Meter ein neues rotes Schild. Die Arbeiter sind dringend angehalten, ihre Notdurft nicht in der Botanik zu verrichten. Wenn alles gut geht, macht die mächtige Maschine hundert Meter pro Stunde. Ihre Arbeit ist auch ein Zauberwerk der Technik: In einem einzigen Arbeitsvorgang, mit nur einem Mal Darüberfahren sägen ihre Sägen den Schienenstrang samt der Schwelle an und heben ihn Meter für Meter vom Boden. Dann wird der alte Kalk-Schotter darunter vom Bahndamm gekehrt und automatisch in die vorne laufenden Transport-Wagons abgesaugt, während zeitgleich aus den hinteren Wagons frischer Granit-Schotter auf den nun gesäuberten Bahndamm rinnt. Der frische Schotter und das wieder abgesenkte Gleis wird vom nächsten Waggon gestopft. Dann darf wieder die Eisenbahn darüber fahren. Bis in drei Wochen die zweite Plasser-Theurer-Maschine kommt, um ebenso zauberhaft die neuen Schwellen und die 120 Meter langen Spezialschienen der Voest-Alpine zu verlegen. Die drei Baulose zwischen Banja Luka und Sarajevo sowie zwischen Sarajevo und Mostar bzw. zur kroatischen Grenze werden von zwei österreichischen Baufirmen gemeinsam saniert: Die erfahrenen Bahnbauer von Swietelsky steuern das technische Know-how bei, die Alpine-Leute kümmern sich verstärkt um das in Bosnien besonders komplizierte Vertragswerk. In einem kleinen Land, in dem es drei Ethnien, hunderte Bundes- und Regional-Minister und natürlich auch zwei Eisenbahngesellschaften gibt, ist nichts einfach. Klaus-Jürgen Mayer wacht seit einem Jahr über dem Vertragswerk. Heute besucht er wieder einmal seine Kollegen auf der Baustelle. Die Bahnstrecke bindet Sarajevo schon seit der Kaiserzeit an Mostar und, wichtiger noch, an den kroatischen Adria-Hafen Ploće an. Die Sanierung des Bahndamms und des Gleises ist heute dringend notwendig. Manche Holzschwelle fault bereits, und die abgefahrenen Schienen haben sich in den vergangenen vierzig Jahren arg verzogen. An sich wollten die hiesigen Eisenbahner hier schon vor zwanzig Jahren sanieren. Doch da kam ihnen der Krieg dazwischen. Und danach fuhr für mehrere Jahre überhaupt keine Eisenbahn mehr. Der 44-jährige Bauingenieur aus dem niederösterreichischen Maria-Enzersdorf hat nach der HTL-Matura zehn Jahre lang für eine kleine Baufirma gearbeitet, deren lukrative Aufgabe darin bestand, als Generalunternehmer postsozialistische Staats- in moderne Kommerzbanken umzubauen. Mayer sagt heute: "Bis auf Nordkorea und Vietnam waren wir überall im Osten." Eigentlich wollte er in der Mongolei bleiben, weil ihn das Land und die Leute so fasziniert haben. Doch da hat er bei einem seiner kurzen Heimaturlaube in Österreich seine Frau kennen gelernt. Seither tritt er kürzer, zumindest, was die Entfernungen vom Wohn- zu seinem Arbeitsplatz anlangt. Den Leuten in der Region geben die österreichischen Bahnbauer in erster Linie Arbeit. Seit dem Krieg herrscht hier Depression. Der Bahnbau bietet sichere Arbeitsplätze, allerdings nur für zwei Jahre. Dann werden Ingenieur Mayer, seine Kollegen und deren Maschinen zur nächsten Baustelle fahren. Dann wird man immerhin von Sarajevo nach Mostar nur eineinhalb Stunden (statt bisher zwei) fahren können. Mit dem "Schnellzug". Höchstgeschwindigkeit auf dieser Strecke: 80 km/h. Soll noch wer sagen, es gäbe kein Europa der zwei Geschwindigkeiten.
Pferdefuß der Geschichte
Bosnien und Herzegowina. Schon der Landesname zeigt an, dass in diesem Staat nichts einfach ist. Bosniaken, Kroaten, Serben sollen sich nach dem Krieg wieder gut vertragen. Sollen wieder in einem Staat friedlich zusammenleben. Und eine Ruhe geben. So wünschen das die Großmächte. Aber so wollen das die Leute nicht. Sie haben zu viel verloren. Nicht nur Angehörige und Freunde, auch ihre gesicherte Arbeit und ihr Eigentum, wesentlicher noch: das Vertrauen in die Politik. Abseits der jüngeren Geschichte: Der Basar in Sarajevo, Baščaršija genannt, ist noch ein Zeugnis vom friedlichen Miteinander der Menschen. Österreicher haben hier ebenso wie die Türken ihre Spuren hinterlassen. Zahlreiche Gebäude rund um den Basar, die ebenso nach dem Krieg für die Touristen wieder behübscht wurden, erinnern noch an die Monarchie. Unseren Rudl wird es zudem freuen: Blättert man die jüngsten Wirtschaftsberichte durch, gewinnt man den Eindruck, dass Österreich auf dem Balkan noch immer eine Großmacht ist. Wenigstens wirtschaftlich.
Der Sohn einer Legende
Und gleich noch eine Eisenbahn-Geschichte am heutigen Tag! Doch halt, was geht denn da vor sich? Langsam, leicht gebeugt, scheinbar über etwas intensiv nachdenkend schleicht Amar Osim über den Rasen des altehrwürdigen Fußballstadions der Eisenbahner von Sarajevo (Željezničar). So wie seinerzeit sein Vater. Der Vergleich mit seinem Vater, dem schon zu Lebzeiten heilig gesprochenen Nationalidol des bosnischen Fußballs, störe ihn nicht. Nicht mehr. "Damit muss ich schon mein ganzes Leben leben", sagt der 44-jährige Trainer, während seine Mannschaft für das 90-Jahr-Jubiläumsspiel gegen Dinamo Zagreb übt. "Obwohl ich als Trainer auch einige Erfolge erzielen konnte, werde ich immer der Sohn meines Vater sein." Sein Vater ist in der Tat ein Phänomen. In Österreich gilt Ivica Osim als erfolgreicher Fußballer und Trainer, der mit der eher durchschnittlich begabten Fuballertruppe von Sturm Graz Achtungserfolge in der europäischen Champions League erzielen konnte. Ein wenig gilt er auch als Philosoph, der die ORF-Reporter stets sprachlos machen konnte. In seiner Heimat ist er eine Legende zu Lebzeiten: "Er ist im Ruhestand sogar noch populärer als früher", weiß Amar Osim. Als Kind hatte er nicht sehr viel von seinem Vater: "Wir waren zu Hause drei Kinder. Wir haben ihn damals nicht oft gesehen. Er war als Spieler und auch als Trainer viel unterwegs." Als der Krieg nach Sarajevo kam, wurde auch die Familie Osim getrennt. Amar Osim sagt: "Nur unsere Frauen sind in Sarajevo geblieben." Sein Bruder und sein Vater wareb zu Kriegsbeginn in Belgrad, er selbst hat in Frankreich professionell Fußball gespielt. Er hatte später das Glück, mit seinen Eltern fünf Jahre lang in Japan zu wohnen. Mit seinem Vater auch zu arbeiten. Gemeinsam brachten die beiden Bosnier den Japan-Kickern europäische Manieren bei. Beim Erstligaverein JEF United war Amar Osim zuerst Assistenztrainer vom Vater, nach dessen Berufung zum Trainer der japanischen Nationalmannschaft wurde er selbst Chef. Ein Gehirnschlag von Ivica Osim brachte die Familie vor vier Jahren nach Europa zurück. Nur noch selten kommt sein Vater ins alte Željezničar-Stadion. Der Sohn sagt: "Nur wenn wir gegen ganz schwache Gegner spielen, sonst regt er sich zu sehr auf."
"Weiterhin Potenzial"
In Bosnien und Herzegowina sei es grundsätzlich nicht signifikant schwieriger zu arbeiten als in Kroatien. Befindet Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Sarajevo, Peter Hasslacher. Und der muss es wissen. Er war vor Sarajevo in selber Funktion sieben Jahre lang in Zagreb tätig. Hat da wie dort österreichische Unternehmer im Rahmen eingehender Studien befragen lassen. Einziger Unterschied zwischen den beiden Nachbarländern: "Dass Kroatien politisch weitaus stabiler ist." Die Firmenvertreter loben auch in Bosnien die relativ hohe Qualifikation der Arbeitskräfte. Für Kritik sorgt dagegen die schleppende Gesetzgebung, die durch den weiterhin schwelenden nationalen Konflikt im Land erschwert wird. Zu kämpfen haben die Österreicher auch mit der weiterhin weit verbreiteten Korruption sowie mit der Rechtsunsicherheit. Trotz der politisch bedingten Komplikationen befindet Hasslacher gute Markt-Chancen für seine Landsleute. Vor allem im Umwelt-Sektor: "Im ganzen Land gibt es keine Kläranlage und keine Müllverbrennugsanlage, die den internationalen Ansprüchen gerecht wird." Auch die Sanierung bzw. der Neubau von Wasserleitungen sei bei Wasser-Verlusten um die siebzig Prozent dringend notwendig. "Weiterhin Potenzial" sieht der Wirtschaftsdelegierte auch bei der Nützung von Alternativ-Energien, hier vor allem von Wasserkraft, und der produzierenden Industrie, hier vor allem Metallverarbeitung und Erzeugung von Baumaterialien. Dringend notwendig für BiH wäre auch der zügigere Ausbau der Auto- und Eisenbahn-Verbindungen: "Durch das Land gehen wichtige europäische Korridore." Was bei den Infrastruktur-Vorhaben allerdings sofort auffällt: "Es fehlt bei allen drei Ethnien der Grundkonsens." Das Drama eines kleinen Landes: Der Wille, sich gegenseitig im Weg zu stehen und zu behindern, sei bei den Streithanseln unter den bosnischen, kroatischen und serbischen Politikern weitaus stärker ausgebildet als das Interesse, miteinander zu arbeiten.
Dieser Blog erscheint redaktionell unabhängig in Kooperation mit der Außenwirtschaft Österreich der Wirtschaftskammer Österreich sowie mit dem Wirtschaftsministerium. Die Export-Offensive go-international soll österreichische Unternehmen zu geschäftlichen Aktivitäten im Ausland motivieren und dabei unterstützen.
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