Welt-Reise, Tag 52 - Brasilien
Stadt der Zuwanderer
Stadt, so weit das Auge reicht! Bom dia, guten Tag in der brasilianischen Metropole der boomenden Wirtschaft und der Kreativität, guten Tag auf der Terraco Itaila, der höchsten Aussichtsplattform in Sao Paolo. Elf Millionen Menschen leben innerhalb der Stadtgrenzen. Doch der Übergang zu den Satelliten-Städten ist fließend, und dort soll angeblich noch einmal eine Zehnmillionenschaft zu Hause sein. Amtlich ist das aber nicht. Jeder hier nennt einem eine andere Einwohnerzahl. Die Stadt im Südosten Brasiliens, rund 80 Kilometer vom Atlantik entfernt, ist in jedem Fall ein großer Schmelztiegel: Hier leben Portugiesen, die Nachfahren der afrikanischen Sklaven, Indios, Italiener, Deutsche, Japaner, Chinesen und einige andere (zum Beispiel Österreicher) nebeneinander. Und sie leben recht entspannt nebeneinander. Auffallend ist auch die relativ hohe Dichte österreichischer Kreativer, die von Sao Paolo angezogen wurden, unter anderem: Architekten, Designer, Fotografen, Maler, Anwälte, Sprachlehrer, Gastronomen, IT-Leute, auch der eine oder andere Firmengründer. Auffallend: Während anderswo Sao Paolo gerne als Moloch abgetan wird, erklären die Österreicher, die hier leben, dass sie gerne hier leben. Vor allem die liberale Einstellung der Brasilianer gegenüber Neuankömmlingen wird von den Österreichern sehr positiv bewertet.
So ein Kaiserschmarren!
Mittagessen in Wolf's Garten in der Rua Lisboa in Sao Paolo, in Pinheros, einem chiceren Viertel von Sao Paolo. Namensgeber Markus Wolf nimmt sich die Zeit, seine Gäste persönlich zu begrüßen, während seine Frau Monica schnell einmal in den Kindergarten fährt, um die zwanzig Monate alte Tochter abzuholen. Die junge Familie ist mehrsprachig: Der Markus begrüßt seine Gäste im flotten Portugiesisch, die Monica verabschiedet sich von den Landsleuten ihres Mannes auf Vorarlbergerisch. Der 33 Jahre junge Wirt stammt aus Lech am Arlberg, wo sein Vater heute noch die Hotel-Pension "Alt Hubertus" führt. Eine Zeitlang, drei Winter lang, hat er mit seiner brasilianischen Frau im väterlichen Betrieb mitgeholfen. Womit sich erklärt, warum die Monica beherrscht, was kaum ein Wiener beherrscht, odr. Doch vor vier Jahren wollten die Beiden die langen Schatten der Berge, auch in den Köpfen der Bergler, hinter sich lassen. Deshalb gingen sie in das weltoffenere Sao Paolo. Heute ist ihr kleiner kulinarischer Paradiesgarten gut besucht. "Das war am Anfang natürlich nicht so", sagt der Wirt. "Am Anfang war hier richtig schlecht. Am Anfang sind wir hier am Abend mit gerade einmal vier Leuten da gesessen." Angefangen hat das Ehepaar mit einem Abwäscher: "Meine Frau hat draußen serviert, und ich bin in der Küche gestanden." In einer Stadt, in der mehr als 15.000 Restaurants registriert sind, warten sie nicht unbedingt auf einen Koch aus Lech am Arlberg. Immerhin, das Goethe-Institut in der selben Straße und einige gezielte Marketing-Aktionen haben die anfängliche Durststrecke relativ rasch beendet. Heute geben die Wolfs elf Angestellten Arbeit. Das Kochen gelernt hat Markus Wolf im Hotel "Krone" in Lech. Mit 18 ist er dann vom Arlberg weg. Um Erfahrungen zu sammeln. Er war in Portugal, Spanien, in Deutschland, auch beim "Meinl" am Graben und wie gesagt drei Winter beim Vater zu Hause. Gerne würde er in seinem Lokal mehr Vielfalt bieten: "Den Garten meiner Erfahrungen." Doch die Speisekarte zeigt an, dass er sich nach den Wünschen seiner vornehmlich deutschsprachigen Gäste richten muss. Wolf weiß: "Um den Apfelstrudel und den Kaiserschmarren komme ich nicht herum." Der Kaiserschmarren tut ihm fast ein bisserl weh. Denn er hat eine Art Kaiserschmarren-Trauma: "In der Krone habe ich an einem Abend bis zu achtzig Kaiserschmarren zubereiten müssen." Sao Paolo hält der Vorarlberger dennoch für eine weltoffene Stadt: "Rassismus gibt es hier nicht." Spannungen tun sich auf einer anderen Ebene auf: zwischen Arm und Reich. Oft hat der Unternehmer von seinen Mitarbeitern den Satz gehört: "Chef, das verstehst du nicht, du bist reich, und wir sind arm." Er meint, dass er sich noch so redlich bemühen kann, in den Augen seiner Mitarbeiter wird er immer ein Bandit bleiben. Wenn er Glück hat, werden sie ihn in ein paar Jahren akzeptieren, als einen, der besonders clever ist, oder auch einen, der wirklich nicht viel Böses angestellt hat. Über Österreich, wo seine drei Geschwister so wie der Vater im Tourismus schaffen, alle drei selbstständig, sagt Wolf: "Ich bin gerne drüben, aber ich fahre auch gerne wieder nach Hause." Gut, das erste Jahr in Sao Paolo sei nicht einfach gewesen. "Aber wenn du dann anfängst, Portugiesisch zu denken, zu zählen und zu träumen, dann weißt du, dass du hier angekommen bist."
Ein Bier namens "austria"
Kompliment nach Belo Horizonte! In Wolf's Garten wird ein spezielles Bier gereicht. Ein Bier wie ein fernes Land, ein Bier namens "austria". Ausgewiesene Kenner der Materie haben das Pils und das Weißbier einer eingehenden Prüfung unterzogen. Und sind zu dem Schluss gekommen: "Das Austria ist trinkbar." Das Kompliment geht somit an den Oberösterreicher Herwig Gangl, der seit bald zwanzig Jahren in Brasilien lebt und in Belo Horizonte eine Mikro-Brauerei betreibt. Auffallend: Der Gerstensaft enthält in Brasilien deutlich weniger Alkohol als in Europa, die Bierflaschen werden in kühlenden Gebinden gereicht, außerdem sind die Gläser kleiner - eine Notwendigkeit aufgrund der hohen Lufttemperaturen.
Mander, sch'ist Zeit!
Das ältere amerikanische Ehepaar wirkt indigniert, als es beim Abendessen im Mehr-Stern-Hotel plötzlich vier verkleidete Menschen ausmachen muss. Doch keine Angst, liebe Amis! Die Vier hier haben nichts mit dem Karneval am Hut, die Vier sind viel mehr Vertreter der Volkstanzgruppe "Grupo Tirol". Und ihr dürft beruhigt sein: Helmut A. W. Schulz, sein Sohn Umberto Schulz, dessen Frau Lenita Franciscone und der Herr, der immer so herzlich lacht, Daniel Langhi, sind heute Abend nur zum Interview gekommen. Zwar in Lederhosen, Trachtenhemden und Dirndl, doch das Schuhplatteln wollen sie unterlassen. Auch wenn sie es gerne vorführen würden, ihr Anstand verbietet es, vor Ihnen aufzutreten! Schuhplattler in Brasilien? Klingt zunächst befremdlich. Doch wer die Geschichte der 30.000 Tiroler kennt, die nach Brasilien ausgewandert sind, wer auch von der "Colonia Tirol" bzw. den "13 Linden" inmitten des brasilianischen Regenwalds gehört hat, muss sich nicht wundern. Die Vertreter der Volkstanzgruppe sind auch keine Deutschtümler, sondern nette Menschen, die mit beiden Beinen im Berufsleben stehen und nur in ihrer Freizeit das Tanzbein schwingen. "Von Juli bis Dezember sind wir fast jedes Wochenende irgendwo im Einsatz", sagt Senor Langhi nicht ohne Stolz. Mit ihren Auftritten wollen sie auch auf die eigene Familiengeschichte aufmerksam machen. Sieben Paare tanzen derzeit bei der Grupo, einige auch mit Vorfahren in Südtirol. Kaum zu glauben: Die wenigsten Schuhplattler aus der Grupo sprechen Deutsch, erst einer war schon einmal in den Alpen. Mander, sch'ist Zeit! Das soll spätestens in zwei Jahren anders werden. "Da wollen wir nach Tirol gehen, um dort zu tanzen und auch das Land kennen zu lernen", sagt Vater Schulz, ein echter Flachland-Tiroler. Sein Vater wurde in Hamburg geboren, seine Mutter in Wiener Neustadt. Auf die Frage, was man sich von seiner Truppe erwarten darf, erklärt er: "Nicht so viel Show wie von den Tiroler Gruppen. Wir tanzen noch so wie unsere Vorfahren um 1850 getanzt haben." Nebenbei will er auch mit Vorurteilen aufräumen: "Die meisten Leute im Ausland glauben, dass Brasilien nur Urwald, Schlangen und Fußball hat. Aber Brasilien ist weit mehr." Umgekehrt müsse er sich bei seinen Landsleuten öfters auf die Hinterfüße stellen: "Viele Brasilianer glauben, wir Schuhplattler kommen aus Australien."
Dieser Blog erscheint redaktionell unabhängig in Kooperation mit der Außenwirtschaft Österreich der Wirtschaftskammer Österreich sowie mit dem Wirtschaftsministerium. Die Export-Offensive go-international soll österreichische Unternehmen zu geschäftlichen Aktivitäten im Ausland motivieren und dabei unterstützen.
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