Welt-Reise, Tag 15 - Türkei
Vertriebene Vernunft
Inanc Atilgan steht auf dem Gemäuer der alten Burg von Ankara und genießt die Freiheit, die er sich genommen, nein, die man ihm gelassen hat. Er ist ein modern denkender Mensch und profund ausgebildeter Historiker und Sprachwissenschafter. Er ist aber auch ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn ein Land seine hellsten Köpfe permanent vor den Kopf stößt. Der 39-jährige Wahl-Österreicher ist in Ankara aufgewachsen. Mit 19 kam er zum Studium nach Wien. Mit 32 war er Doktor der Philosophie. Und österreichischer Staatsbürger. Mit 33 durfte er Österreich bei der EU in Brüssel vertreten, als ein Mitarbeiter des Bildungsministeriums. "Das Schild vor mir im Konferenzsaal mit der Aufschrift Austria, das war für mich ein erhebendes Gefühl", erinnert sich Doktor Atilgan. "Das war auch wichtig für meine eigene Identitätsbildung." Doch das Hochgefühl sollte nicht lange anhalten. Die Stimmungsmache gegen die Landsleute seiner Eltern hat ihn schnell auf den Boden der österreichischen Realität zurück geholt. "Das waren sehr deprimierende Erfahrungen für mich." Vor fünf Jahren kehrte ein gut ausgebildeter Wissenschafter schweren Herzens der Republik Österreich den Rücken. "Ich bin damals zu der Erkenntnis gelangt, dass ich das nicht notwendig habe." Seither unterrichtet er Geschichte und Literatur in seiner ersten Heimat, unter anderem an der privaten Cankaya-Universität in Ankara. Doch die kleine Republik drüben in Europa hat Glück. Ganz hat sich Atilgan noch nicht von ihr und ihren Menschen verabschiedet. Wann immer er kann, hilft er österreichischen Geschäftsleuten, die mit der Türkei ins Geschäft kommen möchten. Seinen Studenten bringt er nebenbei auch österreichische Geschichte näher. Österreich hat schon einmal seine Eliten leichtfertig ziehen lassen bzw. mutwillig aus dem Land vertrieben. Das ist die eine Geschichte, die in der persönlichen Geschichte des Historikers steckt. Die andere: Es gibt zunehmend mehr Menschen in der Türkei, die sich ihrer eigenen Stärken besinnen. Und vielleicht ist es ja wirklich so, dass am Ende die Türken darüber entscheiden, ob sie sich die Europäische Union überhaupt antun wollen.
Von Allah bis Vodafone
Wer in der Türkei ins Geschäft kommen möchte, wird nebenbei viel Sport betreiben müssen. Will er auch in Zukunft seine Schuhe ohne Hilfe zubinden. "Das musst du verstehen", sagt Zafer Türkoglu in seinem aufgeräumten Büro. Kaum haben wir das verstanden, bittet er auch schon in den Meetingraum seiner privaten Beratungsfirma. Widerrede zwecklos, der Mann lächelt freundlich. Ist ganz nebenbei einer der besten Bogenschützen seines Landes. Türkoglu heißt frei übersetzt: Der Türkensohn. Also der Türkensohn hat mit seiner modern aufgestellten Firma auch schon mehrere österreichischen Betriebe mit den Spielregeln der türkischen Wirtschaftstreibenden vertraut gemacht. Unter anderem die OMV und das weltweit aktive Unternehmen Skidata. Im Meetingraum warten seine beiden Kollegen Turgut Özer und Özgur Cosansu. Özgur, der für Public Relations und Werbung zuständig ist, hat am Vormittag ein Interview fürs Fernsehen gegeben und dann mit seiner Mutter aufgekocht. Zum Niederknien aufgekocht. Dabei hat er erst am Vorabend erfahren, dass sich Gäste aus Österreich angesagt haben. Undenkbar in Österreich. Die drei Berater sind sich beim Essen über den gängigsten Fehler der Österreicher einig: "Sie treten hier sehr überheblich auf." Genau aus diesem Grund hat man in der Türkei bereits so manche Firma scheitern gesehen. Finanzexperte Turgut Özer bringt die Einstellung seiner Landsleute auf den Punkt: "Sie sind Kaufleute, sie wollen Partner auf Augenhöhe sein. Sie brauchen euer Know-how, aber nicht um jeden Preis." Zu jenem Zeitpunkt, da praktisch nichts mehr in den Magen reinpasst, erzählt Koch Özgur Cosansu über die kreative Zusammenarbeit mit der OMV. "Wir haben ihnen gesagt, dass klassische Werbung im Fernsehen und den elektronischen Medien schon gut ist, aber weite Teile der Bevölkerung nicht erreicht." Seither sind überall in der Türkei öffentliche Busse unterwegs, deren Werbesujets bei den Menschen vom Land Vertrauen erwecken sollen. Immerhin investiert der ausländische Konzern kräftig im Land und schafft dazu auch Arbeitsplätze. Özgurs schönste Geschichte bei Tisch ist die vom Gewinn eines Werbe-Awards. Um die Menschen möglichst flächendeckend zu erreichen, hat der PR-Profi einen neuen, eher unkonventionellen Weg eingeschlagen. Als ein großer internationaler Kunde, eine Mobiltelefongesellschaft, auch von den anatolischen Bauern gehört werden wollte, kam er auf die Idee, den Muezzin die frohe Botschaft von den neuen Handytarifen verkünden zu lassen. "Den hört nämlich jeder." Die Türkei bezeichnet sich selbst als ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. In der Tat wäre es wohl unglaublich, würden Österreichs katholische Priester während der Predigt ein vollmundiges "Geiz ist geil" von der Kanzel lassen.
Zu Silvester ein Schluckerl
Heute wird sich auch Ali Basman das eine oder andere Glaserl Sekt genehmigen. Immerhin ist seine Firma Kavaklidere mit Sitz in Aykurt in der Nähe des Hauptstadt-Flughafens der größte und bekannteste Wein- und Sektproduzent in der Türkei. Basman arbeitet in einer ganz schwierigen Branche. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch seiner Landsleute liegt - konservativ geschätzt - bei einer Tagesration der Wiener Musikpoeten vom Kollegium Kalksburg (= ein halber Doppelliter). Wären ja immerhin noch die 25 Millionen Touristen, die jährlich die Türkei besuchen. Ali Basman schüttelt betrübt den Kopf: "Die All-inklusive-Hotels an der Küste kaufen nur billigen Wein mit minderer Qualität. Damit ihre Gäste nicht zu viel trinken." In Österreich bekommt man die anatolischen Weine von Kavaklidere unter anderem in der Ethno-Abteilung vom Merkur sowie in ausgewählten türkischen Lokalen. Noch ein Österreich-Bezug: Der Gründer des Weinguts, Cenap And, ein Onkel von Basman, hat in den 1920er-Jahren in der Klosterneuburger Weinbauschule studiert. Ehe er seine Firma im alten Ankara gründete.
Rudl in der Skybar
2010 zu Ende, Rudl am Ende? Mitnichten! In einer Skybar von Ankara lässt er heute das Jahr ausklingen. Unten, auf dem sieben Kilometer langen Atatürk-Boulevard, brennen bereits die Straßenlaternen der türkischen Hauptstadt. Gewissermaßen auch mit Know-how aus Österreich. Ist doch der Verbund ein aktiver Partner von Baskent Elektrik, dem Stromversorger für Ankara und Umgebung. Ein Prosit auf das Pferd! Das Pferd hat auf seinem Pferderennen rund um die Welt soeben die fünfte von 32 Stationen hinter sich gebracht. 15 von 80 Arbeitstagen sind abgelaufen. Schon steht der elfte Flug an, jener nach Istanbul. Manch einer hat vor Beginn seiner Dienstreise gemutmaßt, dass es der Rudl nicht lange machen wird. Dass er an den groben Kofferschupfern auf den Flughäfen früh zerbrechen wird. Sie wurden bis dato eines Besseren belehrt. Rudl lebt! Immerhin reist er als blinder Passagier - bequem im Handgepäck. Und darauf schlürfen wir jetzt einen!
Dieser Blog erscheint redaktionell unabhängig in Kooperation mit der Außenwirtschaft Österreich der Wirtschaftskammer Österreich sowie mit dem Wirtschaftsministerium. Die Export-Offensive go-international soll österreichische Unternehmen zu geschäftlichen Aktivitäten im Ausland motivieren und dabei unterstützen.
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