Schweden als Vorbild

Wiens Bürgermeister geht in die Offensive. Er will eine "Entschuldigungszeremonie" für ehemalige Heimkinder initiieren.
Georg Hönigsberger

Georg Hönigsberger

Es war eine lange Schrecksekunde. Bürgermeister Michael Häupl hat sich längere Zeit zu den Vorwürfen über Missbrauch, Gewalt und Psychoterror in Wiener Kinderheimen nicht offiziell geäußert. Im Jahr 2010 hatte er sich für die schrecklichen Zustände und Erziehungsmethoden im Wien der Nachkriegszeit bis hinauf in die 1980er-Jahre im Rahmen einer Pressekonferenz entschuldigt. Seit der KURIER den Heimskandal im Oktober 2011 medial ins Rollen gebracht hat, war der zuständige Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) Ansprechpartner in Sachen Kinderheime. Es dauerte bis heute Vormittag, ehe Häupl wieder öffentlich zu den Vorwürfen Stellung bezog. Er lässt aufhorchen: Der Bürgermeister will eine "Entschuldigungszeremonie" für von Gewalt und Missbrauch betroffene ehemalige Heimkinder initiieren. Und er nimmt alle Bundesländer und Insitutionen wie die katholische Kirche in die Pflicht: Bundesweit und alle Heimreinrichtungen umfassend solle diese Form der Entschuldigung stattfinden.

Nobelpreis-Haus

Der Vorschlag einer offiziellen Zeremonie ist nicht neu. Irmtraut Karlsson, die ehemalige SPÖ-Politikerin, die bereits im Jahr 1974 mit einer Studie über die Heimerziehung aufgezeigt hatte, forderte bereits 2011 in einem Gespräch mit dem KURIER, dass man sich an Schweden ein Vorbild nehmen sollte.

Dort entschuldigte sich die Regierung am 20. November 2011 im Haus der Nobelpreis-Feste für das Unrecht, das tausende Heimkinder zwischen 1920 und 1980 erleiden mussten. Im Stockholmer Stadthaus wohnten 1300 Gäste - großteils Betroffene - der Zeremonie, die live im Fernsehen übertragen wurde, bei. Königin Silvia war ebenfalls anwesend. „Die schwedische Gesellschaft bittet euch Frauen und Männer, die gelitten haben, um Entschuldigung. Und dies ist eine Entschuldigung ohne Vorbehalte. Die Misshandlungen, denen ihr ausgesetzt wurdet, sind eine Scham für ganz Schweden“, sagte der Parlamentsvorsitzende Per Westerberg.

Auch Betroffene kamen zu Wort. Wie die WAZ berichtete, musste Kirsi Aaltonen ihr Dasein jahrelang in Obhut der Allgemeinheit fristen: „Wir erlebten alles: sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen, psychische Quälereien, Vernachlässigungen jeglicher Art.“Die Entschuldigung der Regierung sei ihr wichtig, betonte sie. Die Zwangseinweisung ganzer Kindergenerationen aus „sozial bedenklichen“ Familien in Heime und Pflegefamilien, wo sie statt der versprochenen, besseren Kindheit oft misshandelt und sexuell ausgenutzt wurden, gilt als besonders dunkles Kapitel im sonst als kinderfreundlich geltenden, sozialdemokratisch geprägten schwedischen Volksheim.

Bericht als Anstoß

Wiens Bürgermeister versucht nun, ähnliches in Österreich umzusetzen. Vor wenigen Wochen vom KURIER auf das schwedische Vorbild angesprochen, wollte Häupl von einem staatstragenden Entschuldigungsakt noch nichts wissen. Aus seinem Büro heißt es nun, dass der in der Vorwoche veröffentlichte Bericht der Historikerkommission, in dem die systematischen Gräuel in Kinderheimen wissenschaftlich aufgearbeitet worden sind, ihm zu dem Schritt bewogen habe. "Wien will den Anstoß für eine österreichweite Entschuldigungszeremonie geben", sagt der Sprecher des Bürgermeisters.

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