Leider anonym

Die neuen Juden aus der Sicht eines Leserbrief-Schreibers
Eigentlich sind Leserbriefe etwas Erfreuliches. Manchmal jedoch hinterlässt ein Schreiber schlicht Kopfschütteln.
Georg Hönigsberger

Georg Hönigsberger

Erst ist der Autor per Sie mit Kollegin Schrenk und mir, dann geht er auf ein vertrauliches Du über: "Ihr wisst auch nicht, dass es b. d. Nazis keinen Kindesmisbrauch gab!" Das Wort "keinen" hat er mit roten Buntstift unterstrichen. Darunter, leicht versetzt, ebenfalls in roter Farbe steht die Freudenskundgebung "haha".

Meist freut man sich über Leser-Zuschriften, manchmal ärgert man sich auch. Doch der Brief, der zuletzt ohne Absender in die KURIER-Redaktion geschickt wurde, löst schlicht Kopfschütteln aus. Feinsäuberlich hat der anonyme Schreiber Teile unseres Berichtes "Der lange Schatten der Nazis" ausgeschnitten und auf A4-Papier aufgeklebt. Dazwischen seine eigenartigen Kommentare über Euthanasie-Arzt Heinrich Gross oder englische Kinderheime. Zum Psychiater Ernst Berger und der Richterin und Leiterin der Wilhelminenberg-Kommission Barbara Helige meint er: "Die Beiden (sic!) sind total LINKE."

Rot eingerahmt ist auch der Teil des Berichtes über sexuellen Missbrauch in Wiener Kinderheimen. Darunter sein Kommentar: "Wir zerkugeln uns."

Nochmals "zerkugelt" sich der Anonymus über die Namen Hönigsberger und Schrenk. "Nach 1945 waren Juden am Werk", meint er mit einem Pfeil auf die Namenszeilen.

Ein merkwürdiger Zeitgenosse muss das sein, der scheinbar nicht imstande war, den Bericht zu verstehen. Oder er wollte ihn nicht verstehen. Wir würden ihm den Inhalt gerne näherbringen. Leider hat er sein Pamphlet mit unleserlichen  Initialen unterfertigt.

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