"Deutschland muss erst aufholen"

Claudia Kemfert: "Noch immer zahlreiche Atom- und veraltete Kohlekraftwerke am Netz"
Insider antworten mit Gastblogs auf eine aktuelle Frage. Diesmal: Energiewende. Worin sich die deutsche und die österreichische Energiepolitik unterscheiden, erklärt Energieökonomin Claudia Kemfert.
Stefan Hofer

Stefan Hofer

Energiewende muss als Ausrede für höhere Strompreise herhalten.

von Mag. Stefan Hofer

über Energiepolitik

Am 15. Oktober war es für die Deutschen wieder soweit: Der Aufschlag für die Ökostrom-Förderung auf den Rechnungen der Verbraucher ist neu berechnet worden. Die zu zahlende Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien wurde für 2014 auf den Rekordwert von 6,24 Cent je Kilowattstunde festgesetzt. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bekommen Betreiber von Windparks, Solar- und Biogasanlagen auf Jahre hinaus garantiert feste Vergütungen, um den Ausbau zu forcieren. Derzeit zahlt ein deutscher Haushalt etwa 200 Euro im Jahr für die Ökostrom-Hilfen. Zum Vergleich: In Österreich steigt der Ökostromzuschlag von 65 (2013) auf 83 Euro (2014) je Haushalt.

Kurz: Der Ökostrom-Zuschlag steigt, die Deutschen wechseln kaum den Anbieter, bei Sondierungsgesprächen könnte es sich am Thema Energie spießen. Zudem wollen deutsche Energiekonzerne knapp 30 alte Kraftwerke abschalten. Und eine Capgemini-Studie sieht überdies die Versorgungssicherheit in Europa in Gefahr.

Meine Frage: "Herrscht Energie-Chaos in Deutschland? Und: Worin unterscheidet sich die Energiepolitik in Deutschland und in Österreich und müssen wir im Winter mit Versorgungsengpässen rechnen, Frau Prof. Kemfert?"

Claudia Kemfert: Deutschland hat derzeit zu viel Strom. So viel Strom, dass wir ihn billig an unsere Nachbarländer verkaufen können. Darüber kann man sich auch in Österreich freuen. Da in Deutschland noch immer zahlreiche Atom- und veraltete Kohlekraftwerke am Netz sind, und zudem immer mehr Ökostrom hinzukommt, steigt der Strom-Überschuss noch immer weiter an. Dies führt zu sinkenden Preisen an der Börse. Somit wird es im Winter nicht zu Versorgungsengpässen kommen, auch wenn die Energienachfrage in den Wintermonaten besonders hoch ist. Schön wäre es, wenn der Strompreis nicht steigen würde, die gesunkenen Börsenpreise auch an die Stromkunden weiter gegeben werden würden. Nur Industrie- und Großkunden können teilweise von den gesunkenen Börsenpreisen profitieren, Privathaushalte kommen nicht in den Genuss. Im Gegenteil, der Strompreis steigt immer weiter. Die Energiewende muss als Ausrede herhalten, um die Strompreise in immer weitere Höhen zu treiben.

Energiewende muss als Ausrede herhalten, um Strompreise in immer weitere Höhen zu treiben

Zugegeben: die EEG Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien steigt nochmals an. Aber nicht, weil so viel erneuerbare Energien hinzugebaut wird, sondern in erster Linie, da der Börsenpreis sinkt. Denn die EEG Umlage errechnet sich aus der Differenz zum Börsenpreis: je niedriger der Börsenpreis, desto höher die Umlage. Zudem gibt es zahlreiche Ausnahmen für Unternehmen, die Zahl derer, die die Umlage überhaupt noch zahlen, wird immer kleiner. Dies gilt es zu ändern. Die Energiewende ist eines der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung. Es wird sicherlich darum gehen, die Versorgungssicherheit und Systemstabilität der erneuerbaren Energien zu erhöhen. Der Energiemarkt wird immer dezentraler, eine intelligente Steuerung von Angebot und Nachfrage ist nötig. Es werden Stromautobahnen von Nord nach Süd und ins Europäische Ausland wie auch nach Österreich notwendig sein genauso wie intelligente Verteilnetze. Der Unterschied zwischen Deutschland und Österreich liegt vor allem darin, dass in Österreich schon immer ein sehr viel höherer Anteil erneuerbarer Energien durch die Wasserkraft genutzt wurde. Deutschland muss erst aufholen und den Anteil erneuerbarer Energien deutlich erhöhen, zudem aus der Atomkraft aussteigen. Hier wird man sich in Deutschland der schon immer sehr kritischen Haltung Österreichs zur Atomenergie immer mehr annähern. Österreich hingegen hat deutlich mehr Potentiale des Ausbaus erneuerbarer Energien, die man auch ausschöpfen sollte. Deutschland hingegen sollte ähnlich wie in Österreich viel stärker auf die Verbesserung der energetischen Gebäudesanierung setzen. Es ist ein langer Weg zu gehen. Aber er lohnt sich, denn die Energiewende birgt jede Menge wirtschaftliche Chancen.

Zur Person Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (zur Website des DIW Berlin) und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Sie ist Wirtschaftsexpertin auf den Gebieten Energieforschung und Klimaschutz.

Kemfert war Beraterin von EU Präsident José Manuel Barroso und ist in Beiräten verschiedener Forschungsinstitutionen sowie Bundes- und Landesministerien tätig. 2011 erhielt sie die Urania Medaille (die heuer übrigens an den Österreicher Anton Zeilinger verliehen wurde) und den B.A.U.M Umweltpreis in der Kategorie Wissenschaft.

Zum Weiterlesen Heuer erschien das Buch "Kampf um Strom" im Murmann-Verlag, in dem sie die Mythen in der energiepolitischen Debatte beschreibt, die Faktenlage in Deutschland anschaulich darlegt und Denkanstöße gibt, wie die Energiewende erfolgreich bewältigt werden könnte.

Zum 1. Teil der Serie "Die Klima-Insider": "SaveTheArctic: Aktivistin spricht über ihre Festnahme"

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