Blicke waren nach Wien gerichtet
Ganz Europa hat am 11. Oktober gebannt auf Wien geschaut.
Ganz Europa hat am 11. Oktober gebannt auf Wien geschaut. Dort hat viel mehr als eine einfache Landtagswahl stattgefunden. Die Wien-Wahl war eine entscheidende Richtungswahl. Die österreichische Hauptstadt ist seit Ende des Ersten Weltkrieges von sozialdemokratischen Bürgermeistern regiert worden, die Zeit des "Roten Wiens" wurde nur einmal jäh unterbrochen – durch Austrofaschismus und Nationalsozialismus.
Wien gilt mit seinem sozialen Wohnbau und einer ehrlich gelebten sozialen Marktwirtschaft als eine der lebenswertesten Städte der Welt und als Leuchtturm der Sozialdemokratie. Gemeindebauten wie der Karl-Marx-Hof, die allgemeine Gesundheitsversorgung, eine gut funktionierende Verwaltung, die Ansiedelung großer Unternehmen oder der Ausbau beim öffentlichen Verkehr sind keine Zufallsprodukte, sondern Ausdruck einer vorausschauenden Politik, die den Wohlstand aller im Auge behält.
Menschlichkeit
Das Ergebnis dieser Landtagswahl in Wien war auch eine eindeutige Entscheidung für Menschlichkeit, die zum Ausdruck gebracht hat, dass sich die Wienerinnen und Wiener im Zweifelsfall für ihr goldenes Wiener Herz entscheiden und sich nicht von Hetzern hinters Licht führen lassen, die ihr Geschäft mit der Angst der Leute betreiben wollen und für alles einen Sündenbock haben, aber keine Lösung für die drängenden Probleme anzubieten haben.
Der alte und neue Bürgermeister Michael Häupl hat Haltung gezeigt und klargemacht, dass er – auch wenn ihm der Wind in einer herausfordernden Themenlage während der Wahl ins Gesicht bläst – an seinen Werten festhält. Das war vorbildlich.
Dass man Populisten und Parteien vom rechten Rand keine Konzessionen machen darf, wenn es um Menschlichkeit und Humanität geht, hat auch der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann immer wieder bewiesen und Häupl damit Rückhalt gegeben. Er hat sich in Europa stets für einen menschlichen Umgang mit den Ärmsten unserer Gesellschaft eingesetzt. Die Flüchtlingsbewegungen zeigen ganz unmissverständlich, dass wir es hier mit einer Herausforderung zu tun haben, die viel zu komplex ist, als dass sie durch eine Stadt wie Wien oder durch ein Land wie Österreich alleine zu bewerkstelligen wäre. Das können wir nur gemeinsam, das können wir nur auf europäischer Ebene lösen. Es war Werner Faymann, der das als Erster erkannt und gemeinsame Lösungen eingefordert hat. Bereits 2013 hat er die faire Verteilung der Flüchtlinge auf alle Länder angemahnt, was damals abgelehnt wurde, heute aber endlich breite Zustimmung erfährt.
Scheinlösungen
Es sind oft die scheinbar leichten Lösungen, die die Populisten, die Hetzer, die Demagogen propagieren, denn diese sind leichter zu lesen und zu verstehen. Wirft man allerdings einen Blick unter die Überschrift, bleibt nicht viel übrig. So wäre die Lösung der Flüchtlingsfrage nach Meinung der extremen Rechten, in Europa Zäune und scharf bewachte Grenzen aufzubauen. Aber hat sich irgendjemand einmal eine Sekunde überlegt, wie sich ein Kontinent wie Europa praktisch einsperren soll? Die Strände Italiens, die Berge Österreichs, die Inseln Griechenlands? Alles umzäunt? Was bedeutet das für den freien Personen- und Warenverkehr? Wie wären die Auswirkungen auf unsere Wirtschaft?
In dieser Situation benötigt es Politiker mit Erfahrung und Weitblick, die Haltung beweisen und die die Populisten mit ihren einfach anmutenden, aber schlicht nicht funktionierenden Scheinlösungen in die Schranken weisen. Genau das haben Michael Häupl und Werner Faymann stets getan. Dafür ist ihnen auch aus europäischer Perspektive zu danken. Die parteiübergreifenden positiven Reaktionen auf das Wiener Ergebnis hier in Brüssel sind eine Bestätigung des Charakters, der den Stil der Sieger des Wiener Wahlkampfs geprägt hat.
Martin Schulz ist seit 2012 Präsident des Europäischen Parlamentes
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