Aufrechnungen

Aufrechnungen
Der Diskurs im Netz ist immer öfter einer der Empörung, die gegenrechnet. Das erspart die Mühe der sachlichen Argumentation
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Es ist eine Woche her, dass in Stuttgart Hunderte Jugendliche jeden Anflug von sozialer Intelligenz fallen ließen und der Polizei eine Hass- und Gewaltorgie lieferten. Sofort war, je nach Sichtweise, verrotteter rechter Pöbel oder linkes Migranten-Gesindel an der Nacht zum Schämen schuld. Einer taz-Kolumnistin wurde eine Art Mitschuld gegeben, weil sie Polizisten mit Nazis gleichgesetzt und auf den Müll gehörend formuliert hatte – das Feuilleton faselte was von journalistischer Freiheit, die Empörung konterte: Was, wenn sie solches über Frauen oder Zuwanderer geschrieben hätte?

U-Ausschüsse in Österreich sind weniger Mittel zur Aufklärung, als verlängerte Werkbank politischer Ränke im Parlament. Das ist beim Ausschuss zur Realsatire Ibiza nicht anders. Dort ist einer Neos-Abgeordneten im Ärger über die Verfahrensrichterin ein „Die geht mir am Oa…“ entfahren, bei noch aufgedrehtem Mikrofon. Die Empörung sagt, so wie schon beim vorschriftswidrigen Schanigarten-Abhänger des Bundespräsidenten: Na bummsti, wenn das ein Bürger- oder Freiheitlicher gewagt hätte.

Die Proteste gegen Polizeigewalt in den USA nehmen ab. An ihrem Höhepunkt aber, den ein schwarzer Mob zu Plünderungen missbrauchte, war die Empörung rasch zur Stelle: Der von einem Polizisten zu Tode gekniete George Floyd war ein drogenabhängiger Krimineller, wieso gibt es nicht dieselben Proteste zum Tod eines pensionierten schwarzen Polizisten und braven Familienvaters durch den randalierenden Mob?

Die drei Beispiel haben nichts miteinander zu tun, nur eines: die Aufrechnung. Kann man die bitte im Diskurs, meistens im Netz, endlich einmal beiseitelassen?

Die angebliche Satire der taz-Kolumnistin ist hirnbefreiter Schrott, auch unter dem Kunstfreiheitsbegriff unzulässig – da braucht es keinen Vergleich. Die Abgeordnete, die sagt, wo sie die (nun zurückgetretene) Richterin verortet, ist schwer peinlich, so wie der Nachttrunk des Staatsoberhauptes in Zeiten, da die Bevölkerung Corona-gefügig gehalten wurde, kein Kavaliersdelikt war – das steht auch ohne Vergleich für sich. Und die Ermordung des Ex-Polizisten durch Plünderer ist so niederträchtig wie empörend – auch ganz ohne Aufrechnung.

In Österreich ist das Aufrechnen übrigens auch Ergebnis der jahrzehntelangen Lagerbildung. „Die Roten“ haben nichts unversucht gelassen, „die Schwarzen“ mit dem selbstgerechten Zeigefinger der (völlig überschätzten) moralischen Instanz ins rechte Schmuddeleck zu drängen. Jetzt schlägt der Revanchismus der Epigonen der so lange gemaßregelten Bürgerlichen auf die am Boden liegende Linke zurück.

Es ginge auch sachlicher. Allzu oft ist Aufrechnung nämlich die Krücke für hinkende Argumentation. Was schade ist, wenn die Kritik selbst stimmt.

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