1989 und heute – kein Vergleich!

Beim Klagen über die immer schlechtere Welt wird in Europa gerne vergessen, wie sie einmal war.
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

30 Jahre sind keine Zeit, eigentlich. Dennoch: Wer heute 30 oder jünger ist, hat keine bewusste Wahrnehmung, wie Europa vor drei Jahrzehnten aussah. Dass die aufgeklärte westliche Welt im Mühl- und Waldviertel endete. Und ein paar Kilometer östlich von Wien, hinter dem Braunsberg, von dem man nach Bratislava blicken konnte. Wo Menschen lebten, die nicht zu uns konnten.

Wer 30 ist, kennt die Mauer, die Berlin zerschnitt, nur von alten Fotos. Und weiß über den Kalten Krieg zwischen Ost und West und die Gefahr des Atomkrieges nur aus den Geschichtsbüchern.

Es hat seit Ende des Weltkrieges kein epochaleres Weltereignis gegeben, als den Fall der Mauer im November 1989. Zu wanken begonnen hatte sie früher. Das Durchschneiden des Grenzzaunes bei Klingenbach im Juni vor 30 Jahren war erstes Symbol dafür. Der freie Westen hat damals über den Mief des realsozialistischen Staatsdirigismus und das Verbrechen der  kollektiven Freiheitsberaubung gesiegt. Gut bezwang Böse, der Kapitalismus feierte seinen Sieg über den Kommunismus.

Aber die Freude wehrte nicht lang: Der Zerfall Jugoslawiens mündete in blutige Schlachten, wie man sie in Europa längst für undenkbar glaubte. Am Golf führte der Westen zwei Kriege gegen Saddam Hussein. Die Anschläge von 9/11 machten der westlichen Welt ihre Verletzlichkeit  deutlich. Im „Arabischen Frühling“ scheiterte die naive Illusion, Demokratie als Blaupause auf alle Welt legen zu können. Der syrische Bürgerkrieg und das Erwachen der Hydra Islamismus folgten. Zwischendurch riss eine Finanzkrise die Welt fast in den Abgrund.

Neuordnung der Welt

Zu allem Überfluss zeigte der russische Neo-Zar Putin dem Westen seine Grenzen auf. China ist längst auf dem Weg, die einst bipolare Welt in eine von China dominierte zu verwandeln. Und in den USA verspielt ein drittklassiger Präsidentendarsteller die Führungsrolle der einstigen Supermacht – wie war die umstritten, einst, und wie sehr wünschte man sie sich wieder  in der Welt.

Dennoch: Alles besser heute als vor 30 Jahren, als der Zaun durchschnitten wurde?

Ja! Die Welt dreht sich immer turbulent. Aber  es gibt  keine Kriegsgefahr in Europa.  Es droht kein atomarer Konflikt. Der Wohlstand ist allem Klagen zum Trotz enorm gewachsen, wenn auch im Osten langsamer. Von den Eckdaten auf der Welt (weniger Kriegs- und Terroropfer, weniger Kindersterblichkeit,  weniger Armut) nicht zu reden.

Die „Ostalgie“ ist zwar einem neuen Egoismus gewichen, der sich  in Kaczynskis und Orbans manifestiert und vor Westeuropa nicht halt macht. Aber das und alles Übrige, woran Europa gerade kaut, sind überschaubare Sorgen  –  im Vergleich zum Blick vom Braunsberg auf Bratislava und das geteilte und unfreie Europa, vor erst 30 Jahren.

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