Wiederkehr: "Herbst wird Challenge für Wiener Bildungssystem“
"Die Fluchtbewegung aus der Ukraine ist nicht nur eine der größten, sondern auch eine der sich am schnellsten entwickelnden. Bereits in den ersten drei Wochen nach Beginn des Angriffskriegs gab es so viele Geflüchtete, wie aus Syrien in zwei Jahren", sagt Migrationsexpertin und Vorsitzende des Wiener Integrationsrates, Judith Kohlenberger bei der Diskussionsrunde zum Thema "Krieg in der Ukraine – die Herausforderungen für die Integrationspolitik der Stadt Wien".
Sechs Millionen Menschen mussten bisher die Ukraine verlassen. In Österreich gemeldet sind laut BMI 71.850 von ihnen. 21.500 Menschen, und damit rund ein Drittel, beheimatet allein die Hauptstadt Wien und steht damit wohl vor den größten Herausforderungen, die damit einhergehen.
Ein Drittel will bleiben
Vor allem Frauen und Kinder suchen Zuflucht, was große Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und vor allem auf das Bildungssystem hat, so Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS). Und je länger der Angriffskrieg Russlands dauert, desto schwerer lasse sich sagen, wie viele Geflüchtete aus der Ukraine tatsächlich hier bleiben. Bereits jetzt zeichne sich ab, dass mehr als ein Drittel der Vertriebenen in Wien bleibt.
"Es ist wichtig, dass sich die Stadt Wien auf beide Varianten vorbereitet. Integrationsmaßnahmen dürfen nicht mit der Begründung hinausgezögert werden, dass diese im Fall einer Rückkehr der Personen keinen Sinn machen. Wir wissen aus der Erfahrung mit jahrelangen Asylverfahren, wie sehr eine lange Wartesituation eine spätere Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft erschwert", betont jedenfalls Judith Kohlenberger.
"Hopplas können passieren"
Doch wie gut ist Wien auf die Geflüchteten vorbereitet? Laut dem Fonds Soziales Wien sind rund 18.000 Ukrainierinnen und Ukrainer mittlerweile in der Grundversorgung. Immer wieder ist dennoch von Menschen zu hören, die über Wochen auf Termine warten müssen, und in der Zeit etwa keine finanzielle Unterstützung bekommen. "Bei dieser Anzahl können Hopplas passieren", gesteht Geschäftsführerin Susanne Winkler
Wie sehr die "Hopplas" im Alltag der Menschen niederschlagen, schildert Taras Chagala, Pfarrer der ukrainischen Kirche St. Barbara. "Von den Menschen, die bisher angekommen sind, sind in meiner Community bereits fünf verstorben. Da sie aber noch nicht offiziell registriert waren, würden die Begräbniskosten nicht übernommen. Also musste die Pfarre sie zahlen. Schließlich muss sich irgendwer darum kümmern", erzählt Chagala. Darüber hinaus merke auch er, dass das Thema Betreuung der Kinder in seiner Community sehr groß sei.
Aussetzen der Deutschförderklassen
Der Großteil der Bildungsversorgung erfolgt durch die Stadt Wien und die Landesschulen, nur ein Bruchteil der Schülerinnen und Schüler findet einen Platz in einer Bundesschule. Das liegt laut Wiederkehr auch an den bundesrechtlichen Vorgaben der Deutschförderklassen. Damit ukrainische Schülerinnen und Schüler auch in Gymnasien Platz finden können, müssen diese laut Wiederkehr ausgesetzt werden.
"Wir wollen den vom Krieg traumatisierten Menschen all das bieten, was sie verdienen: Sicherheit, Arbeit, Betreuung für ihre Kinder und eine Zukunftsperspektive. Doch es gibt nichts Schönzureden – das ist eine Challenge vor allem für das Wiener Bildungssystem. 40 Prozent der Vertriebenen in Wien sind Minderjährige und wir rechnen damit, dass rund 7.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine im Herbst einen Schul- oder Kindergartenplatz benötigen", so der Vizebürgermeister.
Derzeit werden in Wien bereits knapp 3.000 ukrainische Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Viele davon in temporär eingerichteten "Neu in Wien Klassen". Nichtsdestotrotz benötige Wien dringend mehr pädagogisches Personal. "Im Schulbereich brauchen wir ab Herbst mindestens 1.000 Lehrer*innen mehr, um weiterhin diese Qualität aufrechterhalten zu können. Hier braucht es Solidarität und eine bundesweite Verteilung", betont Wiederkehr.
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