Warum man im Umgang mit dschihadistischem Terror umdenken muss
Es wirkt fast, als wäre es gerade darauf abgestimmt. Oder eben ein trauriger Zufall. Am 21. Februar erschien das Buch "Die Wütenden: Warum wir im Umgang mit dschihadistischem Terror radikal umdenken müssen". Das Buch wurde vom langjährigen Sozialarbeiter und Mitarbeiter der Extremismusstelle, Fabian Reicher, sowie der Journalistin Anja Melzer geschrieben.
Ein paar Tage nach der Erscheinung von "Die Wütenden" eskalierte die Situation in der Ukraine. Russland startete einen brutalen und blutigen Angriffskrieg, der bis heute andauert. Bereits nach ein paar Tagen des Kriegs ist auch schon von Jugendlichen zu lesen, die offenbar bereit sind, in den Ukraine-Krieg zu ziehen. Bereit ihr Leben zu opfern, für einen Krieg, mit dem sie rein gar nichts zu tun haben. Oder schon?
Die Erzählung vom Dschihad
Das Phänomen der "Foreign Fighter" ist kein neues. Zum Höhepunkt des Syrienkriegs hatte die Erzählung des "IS-Islamischen Staats" und des Dschihad auch ihren Höhepunkt in Europa. Auch aus Österreich zogen mehrere Jugendliche für die Errichtung eines Kalifats in Syrien in den Kampf - oder versuchten es zumindest. Manche von ihnen waren sogar regelrechte Stars, "Poster Boys" des IS, die es regelmäßig in die Schlagzeilen der Boulevardmedien schafften. Doch wie gelangt eine so extreme Ideologie in die Köpfe der Jugendlichen?
In "Die Wütenden" wird nicht nur dieser Frage nachgegangen, sondern auch derjenigen, wie man Jugendlichen dabei begleiten kann, aus der Extremismusfalle herauszukommen und auch welche Fehler in der Vergangenheit gemacht wurde. Transparent, eindrücklich und emphatisch werden die Lebensgeschichten der Jugendlichen erzählt.
Von Outis etwa, einem eigentlich ruhigen Burschen, der aufgrund eines Facebook-Videos und Chat-Nachrichten derzeit im Gefängnis sitzt. Oder von Dzamal, der versuchte nach Syrien zu kommen und davon träumte als "Schahid", also als Märtyrer im Krieg zu sterben. Sie haben alle gemeinsam, dass sie etwas tun und verändern wollten und dabei der Erzählung vom "Dschihad" und dem "IS" glaubten. Einer Erzählung, die genau auf sie ausgelegt war.
Das Opfernarrativ
Denn das Grundrezept ist folgendes: Es wird ein "Wir gegen die anderen" aufgebaut. Das Leid der Muslime auf der Welt wie in Syrien oder die Situation der Uiguren in China wird mit den eigenen (Diskriminierungs-)Erfahrungen der Jugendlichen verknüpft. Und schlussendlich wird ein "Call to Action", also ein Aufruf zum Handeln ausgerufen.
"Das Opfernarrativ funktioniert so gut, weil es auch so viele Opfer gibt", sagt Reicher. Kopftuch-Verbot, Scharia-Verbot oder diskriminierende Erfahrungen im Alltag - von Politik bis hin zur Gesellschaft, fühlen sich diese Jugendlichen ausgegrenzt - als Opfer. "Und oftmals sind sie in ihrer eigenen Identität auch verloren. Nach Syrien gingen etwa sehr viele tschetschenische Jugendliche. Die Kriege und Traumata haben gerade in dieser Community für eine Entwurzelung gesorgt", sagt Reicher.
Als Gegenbeispiel nennt er die türkische Community - eine mit starken Wurzeln und kultureller Identität. "Da funktionierte die Erzählung vom Dschihad viel schlechter. Kam eigentlich kaum an", fügt Reicher hinzu.
Zuhören und begleiten
Der Ausstieg aus der "Wut" und des Extremismus könne laut Reicher deshalb auch nur gelingen, wenn man den Jugendlichen wirklich zuhört und ihnen auf Augenhöhe begegnet. Im Buch wird immer wieder beschrieben, dass ein Durchbruch meist erst dann gelingt, wenn die Jugendlichen einem vertrauen und es durch eigenes Hinterfragen aus der Falle schaffen. "Im Grunde kann man sie nur begleiten. Den Weg müssen sie selbst finden".
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