Tischgespräche: Dieses Mal mit Propst Maximilian Fürnsinn
freizeit-KURIER-Chefredakteur Michael Horowitz und seine Frau Angelika luden 20 befreundete Künstler zu intensiven Gesprächen ein. Bei einem Essen, in einem Wirtshaus, in einer Atmosphäre, bei der sie sich wohlfühlten. Festgehalten wurden die "Tischgespräche" im gleichnamigen Buch. Lesen Sie in den folgenden 20 Tagen was Alfred Dorfer, Christiane Hörbiger und viele mehr bewegt. Dieses Mal zu Gast: Propst Maximilian Fürnsinn.
"Freude darf keine Sünde sein"
Propst Maximilian Fürnsinn ist seit mehr als 30 Jahren Probst des Stiftes Herzogenburg und zeichnet sich immer wieder durch seine Zivilcourage aus. Aussagen wie "Gott straft" sind für ihn primitive Theologie und Einteilungen in Gut und Böse ausschließlich eine menschliche Interpretation. Für den kunstsinnigen Kirchenmann ist große Kultur ohne Kultus genauso banal wie Kultus ohne Kultur. Beides schließt allerdings gute Küche nicht aus, denn "der innerste Kern des Glaubens muss die Freude sein".
Herr Prälat, wenn ich gut essen will, muss ich mich mit meiner Frau gut stellen. Sie haben es da wahrscheinlich besser, Sie bekommen regelmäßig immer und zu jeder Zeit ein gutes Essen.
Maximilian Fürnsinn: Im Kloster kommt Gott sei Dank auch das Essen zu seinem Recht und ist eine wichtige Sache. Wie überhaupt die Struktur in einem Kloster so angelegt ist, dass immer alles zu seinem Recht kommt. Die Arbeit, das Gebet, die Meditation und die Zeit des gemeinsamen Essens. Allerdings anders als beim modernen Menschen. Der hat seine acht Stunden Arbeit und danach seine Freizeit. Bei uns greift das eine in das andere über, aber die Zeit des gemeinsamen Essens gibt es immer zu fixen Zeiten.
Ein Luxus in Zeiten wie diesen, wo keiner mehr für den anderen Zeit hat.
Das stimmt. Im Kloster ist die Zeit der Gemeinsamkeit, und dazu gehört auch die Zeit des gemeinsamen Essens, fixer Bestandteil unseres Tagesablaufes. Das beginnt schon beim gemeinsamen Frühstück. Alle 15 Mitbrüder wohnen im Stift Herzogenburg und strömen erst nach dem Gebet und nach dem Frühstück – für das wir uns ausreichend Zeit nehmen - in ihre Pfarren hinaus. Wir nützen diese Zeit für das gemeinsame Gespräch, und das ist uns sehr wichtig.
Kann man das mit dem Frühstück einer Familie am Sonntag vergleichen, wenn man sich zumindest an diesem einen Tag Zeit nimmt füreinander.
Ja. Allerdings kann ich nur hoffen, dass in der Familie dann genauso offen über alles gesprochen wird, wie das in unserer Gemeinschaft der Fall ist.
Zum Mittagessen kommen dann wieder alle zusammen?
Ja, nach einem kurzen Tischgebet und einer kurzen Lesung essen wir um zwölf Uhr gemeinsam zu Mittag und um 18 Uhr nach der Vesper zu Abend.
Eine beneidenswerte Regelmäßigkeit. Und wer kocht?
Wir haben zwei Köchinnen, die sehr gut kochen. Schauen Sie mich an … An mir sieht man, dass ich gut und gerne esse. Für die Küche zuständig ist jedoch ein Mitbruder, der Küchenmeister – der „Präfectus culinae“. In unserem Fall ist er auch der Gastmeister, der "Exceptor hospitium", der für den Speiseplan zuständig ist.
Dürfen Sie bei ihm auch Ihre Speisewünsche deponieren?
Könnte ich, ja. Aber ich bin da sehr angepasst. Wobei ich gestehen muss, dass ich oft eingeladen bin und mir dann bestellen kann, was ich möchte – so wie zum Beispiel heute ein gekochtes Rindfleisch.
Das heißt, Sie haben keine Extrawünsche?
Nein. Nur an meinem Geburts- und Namenstag wünsche ich mir etwas Besonderes. Dieses Recht hat aber jeder Mitbruder. Dann feiern wir mit der Lieblingsspeise des Geburtstagskindes und stoßen auf ihn an.
Was sind Ihre Lieblingsspeisen?
Schinkenfleckerl, Bratwürste, Kalbsnierenbraten und Schopfbraten.
Und angestoßen wird mit einem Wein aus dem eigenen klösterlichen Weingarten?
Ja, mit unserem eigenen Wein. Momentan haben wir zirka zwölf Hektar Weinanbaufläche. Vor Kurzem kam ein neues Weingut hinzu, das wir in Kooperation mit einem Weinbauer betreiben. Dort werden fünf Hektar ganz neu – vor allem mit Grünem Veltliner - ausgesetzt. Bis jetzt hatten wir ja so ziemlich jeden Wein, der in dieser Gegend wächst. Vom Riesling bis zum Sauvignon Blanc, sogar ein bisschen Rotwein, einen Zweigelt, hatten wir im Eigenbau.
Sind die Weine gut?
Na ja, nicht so schlecht. Aber wir arbeiten daran. Wir haben die Produktion umgestellt und seit 2010 beschränken wir uns auf drei bis vier Sorten. Das sind ein schwerer und ein leichter Grüner Veltliner und ein Neuburger, von dem man sagt, er sei der Wein des alten Mannes.
Weil er weniger Säure besitzt. Sagen die alten Männer.
Und als Messwein verwenden Sie einen Grünen Veltliner?
Ja.
Muss der Messwein immer der leichteste Wein sein?
Nein, das nicht, aber er muss immer ein naturbelassener Wein sein.
Gibt es im Stift Herzogenburg einen Klosterbruder, der sich mit Wein beschäftigt?
Ja, das ist der "Cellerarius", der bei uns gleichzeitig der Waldmeister ist.
Haben Sie ausreichend Platz, um den vielen Wein unterzubringen?
Ja, wir haben den Weinkeller, den Jakob Prandtauer erbaut hat, saniert.
Befinden sich in dem Keller noch alte Flaschen?
Nein, nein, alle Flaschen wurden getrunken. Alt wird der Wein bei uns nicht.
Um nun von der Kulinarik zur Kultur und zur Kirche überzuleiten, kann man diese drei K’s überhaupt in Verbindung bringen?
Oder die drei "C’s" in lateinischer Sprachweise. Also "Cultus" und "Cultur" waren immer sehr eng miteinander verbunden. Beide haben dieselbe Wurzel, und ich vertrat immer die sehr grundlegende Auffassung, dass dort, wo man der Kultur den Kultus, also die religiöse Wurzel, entzieht, Kultur banal wird. Daher meine Theorie, dass gute Kunst immer religiöse Kunst ist - beziehungsweise in authentischer Kunst immer ein religiöser Moment vorhanden ist.
Heißt das, große Künstler sind immer religiöse Menschen?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt wunderbare Künstler, die überhaupt keinen religiösen Bezug haben und trotzdem in ihrem Schaffen tief religiös sind. In der Authentizität eines Künstlers ist immer eine religiöse Note. Das Echte impliziert das Religiöse. Das ist immerdar - davon bin ich überzeugt.
Was kann ich mir als Laie unter Religiosität vorstellen? Bedeutet Religiosität, die Sie meinen, Spiritualität?
Ich denke, Religiosität hat vorerst mit einer unglaublichen Tiefe und Wahrhaftigkeit zu tun. Natürlich erreicht dies auch immer eine spirituelle Dimension.
Kann auch zeitgenössische Kunst, die einem zum Beispiel nicht gefällt, religiös sein?
Ja. Ich halte zum Beispiel Hermann Nitsch für einen religiösen Künstler. Ich habe zwar wegen dieser Behauptung schon viele Schläge einstecken müssen, aber ich halte ihn trotzdem künstlerisch für zutiefst religiös. Selbstverständlich knüpft er dabei an einen Mysterienkult und Blutreligionen an, die ich nicht vertrete. Ich scheue auch nicht davor zurück, Nitsch zu sagen, dass es sehr gefährlich ist, heute, in einem Zeitalter des Terrors, wo Blutopfer dargebracht werden, mit Blutorgien zu spielen.
Große Kultur bedarf also der religiösen Wurzel …
… und der Kultus bedarf der Kultur. Meine Überzeugung ist auch im umgekehrten Sinn gültig. Auch Kultus ist ohne Kultur banal.
Und um nun zum dritten Punkt, zur Küche, der "Culina", zu kommen: Die Küche war und ist in Klöstern immer ein sehr wichtiger Bestandteil. Entscheidend ist - so auch eine Regel des heiligen Benedikt, bei allen Dingen das rechte Maß finden. Auch beim Fasten. Oder wie Paulus sagt: "Was immer ihr tut - essen, trinken, arbeiten -, tut alles zur Ehre Gottes."
Glauben Sie, dass Menschen, die genießen können - unabhängig davon, ob sie gläubig sind oder nicht -, mit dem Alltag des Lebens leichter umgehen können? Oder sollte man laut katholischer Kirche eher Purist sein?
Ich denke, zu genießen ist ein Aspekt von Freude - und ich muss gestehen, ich setzte lieber bei dem Wort "Freude" an als beim Wort "Genuss". Genuss hat immer noch eine leicht negative Färbung.
Weil dem Genuss die Lust innewohnen könnte?
Selbst Lust hat nichts Negatives an sich. All das sind für mich Facetten der Freude und ich habe einen Kernsatz, den ich wirklich liebe: "Der innerste Kern des Glaubens muss die Freude sein."
Ein schöner Gedanke.
Glaube, der nur von Selbstkasteiung und Anstrengung lebt, ist ein eingeschränkter Glaube. Ich finde auch, dass das Christentum eine Religion der Freude ist, man hat es manchmal leider nur zu einer versauerten Religion gemacht. Aber schlussendlich kann es immer nur um das Glück des Menschen gehen, um seine wirkliche Erfüllung. Jesus sagte ja einmal sehr schön im Johannes-Evangelium: "Ich bin gekommen, das Leben zu bringen, und zwar das Leben in Fülle." Nicht das halbierte oder das reduzierte.
Das heißt, Glaube muss nicht in Selbstgeißelung gipfeln?
Natürlich nicht. Selbstverständlich kann und soll es den Moment der Buße oder Reduktion, wie beispielsweise das Fasten, geben. Auch Leid und Kranksein gehören zum Leben. Aber Freude darf keine Sünde sein.
Wie gehen Sie als Mensch mit Freude um beziehungsweise auch mit jenen Momenten, in denen es Ihnen nicht so gut geht. Wie finden Sie wieder zu Ihrem inneren Gleichgewicht?
Durch die Nähe zur Natur nehme ich Landschaften in mir auf. Ich erfreue mich auch sehr an Kultur in jeder Form, im Besonderen auch an der Architektur.
Egal welcher Epoche?
Ja, ich mag auch zeitgenössische Kunst – obwohl ich zugeben muss, im tiefsten Inneren meines Herzens ein Barockmensch zu sein. Das Schöne an meinem Leben - und das ist natürlich ein großes Privileg - ist auch, dass ich in einem Haus leben darf, das von Schönheit nur so strotzt. Ein Schatzhaus in jeder Hinsicht.
Was man sicherlich nicht von jedem Gemeindebau behaupten kann. Das heißt, die Umgebung, in der man lebt, prägt den Menschen sehr?
Ja, die Umgebung fließt in das Leben hinein. Aber Teil meines Wohlgefühls ist auch, dass ich sehr gerne arbeite und den Rhythmus von Gebet, Meditation und Arbeit einhalte. Das hält mich aufrecht und entspannt mich gleichzeitig.
Stress kennen Sie nicht?
Zeitdruck, dann und wann. Aber alles in allem bin ich ein sehr ausgeglichener Mensch.
Haben Sie nie Sehnsucht nach Urlaub?
Ich mache gerne Gruppenreisen, um mich auch mit neuen Kulturkreisen auseinanderzusetzen. Zum Beispiel den Spuren der Zisterzienser im Burgund zu folgen, einige Teilstücke entlang des Jakobsweges zu gehen oder im Heiligen Land unterwegs zu sein. Diese Reisen bedeuten mir sehr viel. Ich liebe es, mit Menschen zu reisen und sowohl in fremden Kulturlandschaften das Entstehen einer Spiritualität zu entdecken, als auch zu sehen, wie sich diese Spiritualität auf die Menschen überträgt.
Zum Beispiel?
Bibelzitate, vorgetragen im Heiligen Land, haben bei den meisten Menschen eine wesentlich größere Auswirkung und gehen meist viel tiefer.
Kehren wir wieder zu den irdischen Freuden dieses schönen Landstriches zurück. Ist es ein Zufall, dass so viele Klöster mitten in Weingebieten liegen und Abteien oft Weingroßgrundbesitzer sind?
Darauf möchte ich Ihnen gerne unpräzise antworten. Man kann ein Klosterleben ohne Wein nicht führen. Je katholischer ein Kloster, umso mehr Weinanbau betreibt es. Allein in Krems gab es im Mittelalter 56 geistliche Weingüter.
Sie selbst stammen aus einer Fleischhauerfamilie, haben selbst die Fleischhauerlehre gemacht und sind 1957 zum landesbesten Fleischhauerlehrling von Niederösterreich gewählt worden. War es nicht danach ein großer Sprung zum Geistlichen?
Kommt drauf an, wie man diesen Sprung deutet. Ich wollte ja schon als Kind Priester werden …
Hat Ihr Vater Sie davon abgehalten, diesen Weg einzuschlagen?
Die Berufsberatung meines Vaters, der ein begeisterter Fleischhauer war, dauerte immer nur eine Minute. Das Resultat war: "Du wirst Fleischhauer."
Und das war dann ja auch so.
Ja. Ich machte meine Gesellenprüfung und kann mich noch sehr gut daran erinnern.
Wissen Sie heute noch, was Sie für Ihre Gesellenprüfung alles machen mussten?
So, als wäre es gestern gewesen. Ich begann um sechs Uhr früh in einer Fleischhauerei in Krems. Von sechs bis sieben Uhr habe ich Fleisch zerlegt, von sieben bis halb zehn Uhr habe ich eine Sau abgestochen und um zehn Uhr wurde ich in einen Schlachthof geführt und musste eine Kuh schlachten.
Das ganze Vieh?
Ja, das ganze Vieh. Aber ich musste es nicht mehr ganz zerlegen. Dafür hat die Zeit nicht gereicht. Um zwölf Uhr war dann das Mittagessen und um zwei Uhr begann der theoretische Teil in der Handelskammer von Krems.
Und das haben Sie so gut gemacht, dass Sie zum "Landesbesten Fleischhauerlehrling" gewählt wurden. War der Papa sehr stolz?
Ja, der war sehr stolz. Ich war damals ein begeisterter Fleischhauer.
Ihr Entschluss, Geistlicher zu werden, muss Ihren Vater sehr getroffen haben?
Ja. Das war eine sehr schmerzliche Sache. Er hat wochenlang nichts mit mir gesprochen.
War er ein frommer Mensch?
Überhaupt nicht. Ein Gläubiger vielleicht, aber in die Kirche ist er nie gegangen. Er wollte keine Kirchensteuer zahlen.
Hat es für Ihren Entschluss, Priester zu werden, ein Schlüsselerlebnis gegeben?
Kein spezielles. Ich führte ein normales Leben, war tüchtig in meinem Beruf und hatte ein Mädchen, das ich sehr gerne hatte. Aber durch ein Gespräch mit einem Freund wurde mir klar, dass ich gerne Pfarrer werden würde. Ich hatte einen tiefen Glauben in mir.
Und Sie bereuen es natürlich nicht.
Nein, vom ersten Augenblick an bis heute bin ich in diesem Beruf glücklich.
Aber zu Fleischhauern haben Sie immer noch einen guten Kontakt?
Oh ja, ich halte sehr oft - wenn die Steuerprüfungen gut vorübergegangen sind - die Dankeshochämter für Fleischhauer. Die dann meist besonders innig sind.
Bleibt man im Herzen ein wenig Fleischhauer, wenn man einmal einer war? Darf ich das so salopp formulieren?
Na ja, ich hab mich ein wenig umgestellt. Notschlachtungen sind selten geworden.
Aber wenn Sie - so wie hier im Landgasthof Schickh - Rindfleischstücke auf Ihrem Teller haben, ist dann Ihr Blick immer noch der eines Fleischhauers, der weiß, was da vor ihm liegt?
Ja, das ist richtig.
Gibt es Fleisch, das Sie nicht gerne essen?
Ich mag kein Lamm und kein Kitz.
Gibt es hier in der Gegend gute Wirtshäuser?
Ich bemerke, dass im Umfeld von Herzogenburg einige junge Gastwirte ihre elterlichen Betriebe übernommen und daraus jetzt etwas vollkommen Neues gemacht haben. Das ist gut so. Allein in unmittelbarer Nähe gibt es zwei: den Gasthof Nährer in Kapelln an der Perschling und das Gasthaus Kern in Langmannersdorf.
Sie sind nicht nur ein kunstsinniger Mensch, sondern haben auch selbst bereits als Bühnenstar einen großen Erfolg gefeiert. Vor einigen Jahren standen Sie auf der "Bühne im Hof" in St. Pölten.
Ja, die Intendantin Mimi Wunderer hat mich zu diesem Abend überredet.
Was war der Inhalt Ihres Programmes?
Frommes, Politisches, Humorvolles. Ich habe aus meinen Werken und Weinreden gelesen und Anekdoten aus meinem Leben erzählt. Das hat mir unheimlich viel Spaß gemacht und es war ein ausgesprochen lustiger Abend.
Trotz Ihres Erfolges in St. Pölten und auch der Entstehung eines neuen Kulturbezirkes und der sehr erfreulichen Entwicklung der Theater in den letzten Jahren hinkt die Landeshauptstadt kulturell immer noch anderen niederösterreichischen Städten nach.
Das liegt teilweise auch an der Politik des Landes. Krems wurde kulturell immer stärker gefördert und bevorzugt. Die Verwaltung und Politik nach St. Pölten, die Kultur nach Krems. Das war die Devise.
Ich möchte von dem kunst- und kulturbeflissenen Maximilian Fürnsinn noch einmal zum Kirchenmann zurückkehren. Sie arbeiten - wenn man das so sagen kann - für eine sehr rigide geführte Firma und es ist sicherlich nicht leicht, in dieser immer Zivilcourage zu zeigen. Doch gerade Sie beweisen das ja erfreulicherweise sehr oft. Denken Sie im Vorhinein nach, ehe Sie zu einer Sache Stellung beziehen, oder haben Sie mit Gott einen Pakt geschlossen, dass Sie immer das sagen dürfen, was Sie sich denken?
Wenn es sich um eine Sache handelt, die mir persönlich existenziell wichtig ist, dann muss es aus mir heraus und ich beziehe ganz bewusst Stellung.
Denken Sie vorher darüber nach, was Sie sagen werden, oder sind Sie sehr spontan?
Ich überlege schon, aber danach geht es meist sehr rasch - tagelang hin und her zu überlegen liegt mir nicht. Dennoch muss ich das Gesagte verantworten können und ich möchte sachlich argumentieren. Selbst dann wird es einem ja noch anders ausgelegt.
Trotzdem sind Sie sehr oft mutig in Ihren Äußerungen.
Ja, aber das Gesagte muss klar und überlegt sein. Hinter jemandes Rücken zu jammern, das ist jedenfalls nicht meine Art.
In der Beschreibung Ihrer Person taucht immer wieder die für Sie so wichtige "augustinische Spiritualität" auf. Was können wir uns als einfache Menschen darunter vorstellen?
Ich glaube, dass Augustinus für den heutigen Menschen beispielhaft sein könnte, weil er selbst sehr lange seinen Weg zu Gott gesucht hat. Er war – wie man heute sagen würde – Hochschulprofessor für Rhetorik. Er war ein ehrlich Suchender, ein tiefer Mensch, der irgendwann merkte: "Da geht es noch unendlich weiter."
Können wir heute - in diesen schwierigen Zeiten - etwas von ihm lernen, Lehren für den Alltag ziehen?
Ich glaube, die meisten Menschen haben vergessen, dass es den Abgrund des Göttlichen überhaupt gibt. Das führte unweigerlich in das Chaos hinein, in dem wir jetzt stecken. Es hat sich niemand mehr verantwortlich gefühlt, es gab keine Moral mehr. Wir leben in einer ökonomisierten Gesellschaft, für die Erfolg alles ist. Keiner sieht mehr die Verpflichtung, sozial zu denken, für den anderen da zu sein. Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Krise nicht bewältigen werden, wenn wir es nicht schaffen, wieder Vertrauen aufzubauen, Rücksicht zu nehmen, Mut und Hoffnung zu haben.
Augustinus hatte eine Zukunftsvision in der Zeit der Völkerwanderung, das heißt in einer Zeit, in der alles zugrunde ging – das gesamte römische Reich, die antike Welt. Es gab Krieg und große Kulturen wurden zerstört. In dieser Zeit schuf er eine Zukunftsvision, eine geistige Überlebensstrategie …
… die wir auch heute wieder bräuchten.
Ja, diesen Zusammenhang habe ich bis jetzt noch gar nicht so gesehen, aber es stimmt. Auch wir leben in einer Zeit des Umbruchs und des Zerfalls. Das, was Augustinus so entscheidend geprägt hat, war die Aussage, dass Gott in jedem Menschen wohnt. Er sagte zum Beispiel den schönen Satz: "Gott ist dir näher, als du dir selbst nahe bist."
Eine Zwischenfrage: Wie gehen Sie mit Menschen um, die zu Ihnen kommen und sagen: "Ich verstehe Gott nicht mehr! Warum lässt er so viele grauenhafte Dinge auf Erden geschehen?"
Also ich halte es grundsätzlich für eine sehr primitive Theologie, zu sagen "Gott straft." Ich habe hierzu einen sehr pointierten Standpunkt, der da heißt: "Gott ist Liebe und sonst nichts." Aus. Punkt. Alles, was wir so an Divergenzen in unsere Gottesvorstellung hineintragen, ist unsere Eigeninterpretation. Wir denken immer nur in Gut und Böse.
Sie meinen, man kann Gott nicht für alles verantwortlich machen?
Sicherlich ist vieles in der Schöpfung brüchig, es gibt in der Schöpfung den Tod, es gibt die Naturkatastrophen. Aber es gibt wesentlich mehr Leid, das Menschen selbst verursachen.
Eine abschließende Frage: Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Ich bin so eine eigene Mischung. Auf der einen Seite glaube ich schon von mir, eine tiefe Spiritualität zu haben, da ist eine tiefe Sehnsucht und ein großer Glaube in mir. Andererseits ist da auch eine unglaubliche Lebensfreude und ich bin auch sehr gesund geerdet. Ich bin unkompliziert, menschlich und freundschaftlich.
Bitte verstehen Sie das nicht als Selbstlob, aber da Sie mich gefragt haben, versuche ich Ihnen ehrlich zu antworten. Ich glaube, ein tüchtiger, verlässlicher, einsatzfreudiger Mensch zu sein und mache es mir nie leicht. Aber auf der anderen Seite feiere ich gerne. Ich bin einer, der Stunden mit Menschen zusammensitzen und feiern kann.
Es ist doch schön, dass Sie beide Seiten in sich haben und spüren.
Ja, auch wenn es Gegensätze sind, passen sie doch in mein Bild von einem ganzen Menschen. Es ist mir wichtig, ein ganzer Mensch zu sein und kein reduzierter.
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