Tischgespräche: Dieses Mal mit Otto Schenk

Tischgespräche: Dieses Mal mit Otto Schenk
Gespräche bei Tisch. Gemeinsam essen und trinken ist laut Statistik eine aussterbende Art, Zeit miteinander zu verbringen. Angelika und Michael Horowitz haben 20 befreundete Künstler um diese Zeit gebeten.

freizeit-KURIER-Chefredakteur Michael Horowitz und seine Frau Angelika luden 20 befreundete Künstler zu intensiven Gesprächen ein. Bei einem Essen, in einem Wirtshaus, in einer Atmosphäre, bei der sie sich wohlfühlten. Festgehalten wurden die "Tischgespräche" im gleichnamigen Buch. Lesen Sie in den folgenden 20 Tagen was Alfred Dorfer, Christiane Hörbiger und viele mehr bewegt. Dieses Mal mit Schauspieler Otto Schenk.

Otto Schenk ist selbsternannter "Theaterer" und unübertroffener Meister der Höheren Kunst des Blödelns. Er ist überzeugter Innere-Stadt-Wiener und hat trotzdem zwei Orte gefunden, an denen er auch zuhause ist: am Irrsee, wo ihm seine Frau Renée eine kleine Neo-Schnitzler`sche Insel gebaut hat, und in New York, wo er vor allem an der "Met" - an der er öfter als jeder andere Regisseur inszeniert hat - eine Art Heimatgefühl empfindet. Das Theater betreffend, ist der 81-Jährige immer noch ständig vollgestopft mit talentartigen Ergüssen, von denen er nicht weiß, wohin er sie noch ergießen soll.

"Ich bin ein Menschenfresser"

Michael Horowitz: Wir sind am Weg von deinem Haus am See über Sommerholz nach Neumarkt. Was bedeutet der Irrsee für dich?
Otto Schenk: Er ist mein Paradies. Eine unbefleckte Gegend. Dort, wo ich erstaunlicherweise ein zweites Zuhause gefunden habe, denn das hätte ich früher nie gedacht, da ich so ein Innere-Stadt-Wiener bin und überall sonst schwer ansässig werde und immer nur zu Gast bin … Manchmal gerne und meistens ungern.
Es gibt nur zwei Orte, wo ich - außer in Wien - zuhause bin. Vor allem hier am Irrsee, einem Ort, den meine Frau gefunden hat und mir da eine Neo-Schnitzler`sche Insel gebaut hat. Ich komm in dieses Haus und es ist so, als wäre ich in Wien. Mit meinen Büchern und meinen Schallplatten, meinen bettartigen Gestellen und einem großen Schlafzimmer, das gleichzeitig auch Arbeitszimmer ist.

Hast du hier nicht auch unterrichtet?

Ja, ich habe hier alle meinen Inszenierungen entwickelt, meine Bühnenbildner in dieses Haus eingeladen und meine Besprechungen gehabt …

War euer heutiges Refugium nicht ein ehemaliger Campingplatz?
Ja, man brauchte schon die Augen meiner Frau, um zu sehen, dass man daraus etwas machen kann.

Hättest du das nicht erkannt oder gesehen?
Nein, mir geht alles auf die Nerven, was neu ist und was man erst gestalten muss. Das geht mir in meinem Beruf auch so.

Aber du gestaltest doch auch als Regisseur?
Ja, aber nicht gerne, sondern unter Qualen. Ich gestalte, weil ich gestalten muss. Ich hätte immer gerne alles schon fertig.

Ist dieses Haus zu deinem zweiten Zuhause geworden?
Ja, ich habe immer gefürchtet, hier einsam zu sein, denn die Straße zu unserem Haus war früher sehr unwegsam, und ich kann ohne Gesellschaft und Freunde nur sehr schwer auskommen - ich bin ein "Menschenfresser". Aber genau das Gegenteil ist der Fall, an manchen Tagen kommen bis zu 20 Menschen zu uns. Worauf ich mich schon wiederum frage, ob die Straße nicht unwegsam genug ist …

Aber liebst du nicht auch New York?
Ja, das liegt vor allem an der "Met". Ich habe dort 15 Mal inszeniert - das ist öfter als jeder andere Regisseur - und die Menschen an der "Met" haben mich wirklich ans Herz genommen, von den Sängern über den Friseur und den Fotografen bis zum letzten Bühnenarbeiter. Auch dort habe ich eine Art Heimatgefühl. Ich finde New York so gemütlich.

Tischgespräche: Dieses Mal mit Otto Schenk

Das klingt allerdings ein wenig seltsam …
Ja, vielleicht. Aber wenn ich inmitten dieser herrlichen Hochhäuser so sein Platzerl, meinen jüdischen Zeitungsverkäufer und meinen Oberkellner, finde und diese Sehnsucht nach Europa spüre, dann fühle ich mich wohl.

Du hast einmal gesagt, es fasziniere dich sehr, wie dort Kultur gelebt wird.

Ja, das stimmt. Die Menschen schauen mit einer rührenden Aufgeschlossenheit und einem sehnsüchtigen Blick auf die europäische Kultur. Wenn man zum Beispiel zu Weihnachten ins Metropolitan Museum geht und vor einem Christbaum mit neapolitanischen Engeln geschmückt und einer riesigen Krippe mit hunderten Schafen und Heiligen steht und sieht, mit welcher Begeisterung dunkelhäutige Mäderln und Buberln dort sitzen und zeichnen, dann ist das ein sehr schönes Bild. Wenn im Museum dann auch noch ein barockes Zimmer von einem Palais in der Wollzeile aus Wien, wo ich ums Eck in die Schule gegangen bin, liebevoll wieder aufgebaut wurde, dann kommen einem die Tränen …

Du hast zuletzt im Herbst 2010 "Don Pasquale" mit Anna Netrebko an der "Met" inszeniert, obwohl du eigentlich keine Inszenierung mehr machen wolltest.
Stimmt, das war fast ein Wortbruch, aber Netrebko und New York widersteht man schwer.

Hast du nicht Lust, noch eine Oper zu inszenieren?
Nein, eigentlich nicht. Ich habe ja bereits 160 inszeniert.

Vielleicht gibt es ja noch eine 161.?
Das weiß ich eben nicht, ich finde sie nicht. Ich verwende mein Regietalent - oder was immer das ist - jetzt egoistisch für mich selber und habe große Freude an mir.

Für deine Auftritte?
Für mein eigenes Leben … ich kann in meinen Büchern verwildern und mich in Formulierungen verwanzen. Das heißt, ich habe zu schreiben begonnen … auch das ist eine Alterserscheinung, weil ich Dinge so formuliert sagen möchte, dass es druckbar ist. Meine Bücher sind immer eine Art Beichte. Ja, und natürlich verwende ich dieses Talent auch für die immer spärlicher werdenden Rollen, die man in meinem Alter noch zu spielen bekommt. Für 81-Jährige gibt es nicht mehr viel Mitleid …

Was heißt Mitleid?
Na ja, Furcht und Mitleid sind ja die eigentlichen Betreiber eines Theaters … Wenn man auf die Bühne geht, muss einen der Menschheit ganzer Jammer umgeben und das Publikum muss sich fragen, was will der arme Held und wohin geht er. Da ist das Interesse an 81-Jährigen ein bisschen geringer …

Aber spielt man nicht sowieso immer ein wenig Jüngere?
Auch das geht nur beschränkt, wenn man älter wird.

Würde es dich nicht reizen, Stücke zu schreiben?
Das würde mich wahnsinnig freuen, wenn ich es könnte. Aber ich kann es absolut nicht. Ich kann Szenen manchmal ein wenig umschreiben und einen Dichter beraten …
Würdest du dir von einem Autor wünschen, dass er dir eine bestimmte Figur auf den Leib schreibt, wie zum Beispiel deinen berühmten "Josef Bieder" oder zuletzt den Dirigenten in "Einmal noch"? Da ist jetzt eine gewisse Leere. Ich weiß keine Figur und ich wünsche mir auch nie etwas. Man musste mich zu allem im Leben verführen. Ich brauche jemanden, der an mich glaubt und mir etwas zutraut, das ich mir nicht zutraue … Ich bin so vollgestopft mit talentartigen Ergüssen und weiß nicht, wohin ich sie ergießen soll.

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Gibt es einen Regisseur, von dem du dir wünschen würdest, dass er auf dich zugeht und sagt: "Das würde ich gerne mit dir machen."
Ich habe kein Verlangen nach einem Regisseur, ich habe Verlangen nach einem Unternehmer oder einem Dichter …

Unternehmer? Das verstehe ich nicht …
Na ja, einer, der sagt "Mach das." Auch wenn ich dann sage: "Nein, das kann ich nicht." So sind meistens die Dialoge mit meinen Unternehmern …

Aber bist du nicht auch ein großer Beobachter?
Ja, ich beobachte ununterbrochen.

Entstehen dadurch nicht Szenen in deinem Kopf, die du umsetzen möchtest?

Ständig. Auch wenn ich Auto fahre … da entstehen in meiner Phantasie zum Beispiel immer Unfälle, Alpträume. Entweder ich fahre gegen den nächsten Baum oder das entgegenkommende Auto, ich liege unter dem Auto und kreische …

Während du fährst?
Ja, ich habe ständig Szenen in meinem Kopf. Manchmal tragische, manchmal komische. Ich bin sozusagen ständig im Dienst, wenn man es theatralisch ausdrückt. Aber das Tragische ist, dass mir bei dieser nebbichen Phantasie immer nur Szenen einfallen, nie eine Handlung.

Bringt dich das zur Verzweiflung?

Ja, manchmal schon. Ich suche Stücke, habe Sehnsucht nach einer Rolle und weiß nicht, welche. Daher flüchte ich mich manchmal ins Vorlesen, dort kann ich mir Sachen kaleidoskopisch vornehmen …

Wann schreibst du endlich deine Biografie?
Gar nicht. Mich langweilt meine Biografie zu sehr. Das ist wie bei einem Fußballmatch. Ich gehe zu keinem Spiel, weil es zu viele Längen hat. Man müsste gewisse Szenen einstreichen. Dann ginge ich vielleicht hin … Obwohl ich mich auch nicht von diesen heulenden Wölfen erdrücken lassen möchte oder von ihnen erschlagen werden will …

Du willst überleben?

Ja. Vor allem will ich den Tod nicht am Fußballfeld erleiden.

Torbergs Begeisterung für Sport konntest du also nie teilen?

Nein, diese fast religiöse Sportbegeisterung habe ich immer nur rührend gefunden. Wir haben sehr viel zusammen gelacht. Wir hatten - über den Humor hinweg - eine entzückende Beziehung zueinander.

Vor fast 25 Jahren wurdest du Direktor des Theaters in der Josefstadt. Ich erinnere mich an ein Interview, in welchem man dich fragte: "Herr Schenk, Sie sind ein großartiger Schauspieler, ein Publikumsliebling, ein weltweit gefeierter Opernregisseur, aber sind Sie auch ein Theaterdirektor? Wie werden Sie das machen?" Daraufhin hast du gesagt: "Ich gehe dort hin, setze mich an den Schreibtisch, an dem schon Max Reinhardt gesessen hat, und spiele den Direktor."
… und schon das ist nicht gelungen. Ich bin gar nicht bis zu dem Schreibtisch gekommen, weil ich mich nicht getraut habe, mich dorthin zu setzen. Während meiner gesamten Direktionszeit bin ich nie an diesem Schreibtisch gesessen.

Vor lauter Respekt?
Nein, vor Unfähigkeit, einen Direktor zu spielen.

Aber dafür warst du sehr erfolgreich.
Auch das war ein Zufall. Wahrscheinlich hatte ich nicht diese Gier, direktorial zu wirken, und diese Ungeschicklichkeit ist mir zugutegekommen, dadurch sind Erfolge hineingerutscht.

Aber wolltest du nicht schöne Inszenierungen ermöglichen und die Schauspieler zu großen Leistungen animieren, sie führen?
Doch, natürlich. Es ist mir auch oft gelungen, Schauspieler zur Qualität und zur Echtheit zu verführen und ihnen ein Grausen vor dem Unechten und vor dem primitiven Wirken einzuimpfen. So habe ich auch im Seminar unterrichtet. In meiner ersten Stunde - eine sehr erfolgreiche -, bei der ich mit Geheule und Getrampel von den entzückenden jungen Leuten begrüßt wurde, habe ich gleich am Anfang erklärt, wie schlecht jedes Theater in Wien ist und habe namentlich jedes einzelne erwähnt. Ich habe aufgezeigt, was typisch falsch ist und der Satz von Fritz Kortner: "Die anderen Theater sind ja auch schlecht, aber am Burgtheater sind sie so stolz darauf" - das war eine Art Leitspruch für mich. Ich wollte den Zweifel wecken, am Beruf und am Theatralischen. Daher war da auch immer ein Zweifel am Direktorialen. Bei mir brauchte sich niemand anmelden und um einen Termin ersuchen, es konnte jeder einfach kommen.

Wenn da immer ein Zweifel in einem ist, ist man dann je - am Ende einer Inszenierung oder nach Erarbeitung einer Rolle - zufrieden?
Zufrieden nicht, aber erstaunt und überrascht. Auch darüber, dass etwas einfacher ist, als man es sich vorgestellt hat. Wenn es gelingt, ist Theaterspielen plötzlich leicht und es entsteht eine seelische Automatik, die man in Gang bringt, wenn man das Richtige tut.

Kann man dann andere mitreißen?
Man braucht immer einen Partner, der einem zuhört. In ein Gesicht, das nicht zuhört, kann ich nicht reden.

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Aber als "Josef Bieder" warst du doch so oft allein auf der Bühne …
Ja, aber da ist das Publikum mein Partner. Das ist etwas anderes, das ist die "öffentliche Einsamkeit" des Schauspielers, wie Stanislawski sagt. Da ist man plötzlich mit der Ganslhaut allein auf der Bühne und hat eine Sorge. Die Sorge ist das Wichtigste beim Theaterspielen und auch beim Film. Die großen Filmschauspieler waren vielleicht nicht immer große Theaterschauspieler, aber sie hatten immer eine Sorge im Gesicht. Denk nur an Spencer Tracy oder Clark Gable - der wahrscheinlich nicht den Hamlet hätte spielen können -, aber wenn er so gelächelt hat, hat er an irgendetwas anderes gedacht. Oder Marlon Brando - der übrigens auch sehr gut Theater spielen konnte -, der war überhaupt ein Sorgenbündel. Ohne das Gesicht zu verziehen. Sorge strahlt man ja aus, Sorge darf man nie spielen …

Ist mit dem Ausdruck der Sorge im Gesicht, jener der Freude, der Glückseligkeit, überhaupt möglich?
Glückseligkeit ist ja wieder etwas ganz anderes. Wenn jemand Glückseligkeit vermitteln will, dann muss er spielen, unfähig zu sein, das Glück zu erleben. Wenn einer ein glückliches Gesicht macht, möchte ich ihm schon eine Watsch`n geben. Glücklich zu sein heißt, dass man es nicht fassen kann, das Glück …

Das klingt sehr nach Hans Moser.
Ja, der konnte das automatisch über sein Talent. Man kann etwas über`s Talent oder über`s Geniale machen - wobei Talent mit Geschicklichkeit zu tun hat und das Geniale nicht einmal geschickt sein muss. Der Moser hat ja immer ungeschickt gespielt, die Sorge hat ihn so gebeutelt, dass man über seine Hypochondrie lachen musste … Und wenn er sich gefreut hat, hat er sich fast angemacht vor lauter Freude. Das "Fast-in-die-Hose-machen" ist überhaupt ein wichtiger Faktor in der Komödie.

Das " Wienerische" - ob am Theater oder im Film -, wie würdest du das charakterisieren?

Das ist dem New Yorker`schen ähnlich. Die Wiener sind eine mafiose Bande - nicht bös gesprochen. Und das Wienerische ist eine kleine Gaunersprache. Es ist kein Dialekt, es ist zusammengestohlen von dort und da. Es hat sich alles Mögliche zu eigen gemacht und es ist zu eigen geworden. Nestroy hat zum Beispiel ein hochdeutsches Hirn, beherrscht den Schiller`schen Duktus und die klassische Gewalt einer Sprache. Er will damit aber nicht auskommen, sondern stiehlt dazu den Dialekt. Wenn man Nestroy hochdeutsch spricht, ist es falsch, und wenn man im Dialekt jodelt, ist es auch falsch. Nestroy ist einer, der genau weiß, was Dialekt ist und sich nicht anmaßt, im Klassischen zuhause zu sein. Wobei er trotzdem vom Klassischen alles stiehlt, was er braucht … und vom Dialekt auch. Als Schauspieler und als Vortragender muss man wissen, dass beides gestohlen ist. Das muss man spüren …

Ist diese Mischung nur mit dem Wienerischen möglich?
Das wäre auch beim Sternheim mit dem Berlinerischen möglich, bei Nestroy ist es nur mit dem Wissen um ein Wienerisches Hirn und einer Identifizierung mit dem Wienerischen möglich. Alles andere ist Fälschung.

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Und Ödön von Horváth?
Horváth zeigt, dass sich der Mensch nicht ausdrücken kann und dadurch zur Phrase greift. Er hat eine sehr phrasische Sprache und auch bei ihm muss man etwas anderes meinen, als man sagt. Die ganzen Horváth`schen Stücke sind inzwischen in ein Interpretitis-Lager geraten. Man muss ihn erst wieder befreien von dem, was ihm Regisseure angetan haben. Da muss eine neue Naivität ans Werk …

Zu deinem 80. Geburtstag hat "Die Welt" geschrieben: "… er war schon immer viel älter, als sein Pass vermuten lässt."
Ja, ich war nie ein junger Mensch, so wie andere junge Leut`. Ich hab mich unter ihnen immer ein bisserl unwohl gefühlt. Jugend war mir immer blöd.

Wie wichtig ist es für eine Schauspielerin, schön zu sein?

Es ist eine wunderbare Zutat. Die ganze Geschichte von Oper, Klassik und Theaterliteratur ist eine von Lustobjekten. Es ist vielleicht ungerecht, dass die vergrammelten, alltäglichen Weiber in der Literatur zu kurz gekommen sind. Goethe schreibt ja auch von einem bezaubernden Gretchen, von einem hinreißenden Madl … und auch Romeo und Julia verlieben sich, weil sie einander gefallen. All die unschuldig schönen Geschöpfe, die sich durch die Literatur ziehen, mit Grammeln zu besetzen, wäre daher einfach falsch. Dann müsste man schon "Grammel-Stücke" schreiben.

Aber es gibt auch "Grammeln", die Weltkarriere gemacht haben …
Ja, aber die haben alle einen Zauber und eine Anmut. Sie müssen nicht schön sein, ich meine ja auch nicht diese Wald- und Wiesenschönheit, diese hergestellte Retortenschönheit …

Gibt es in der heutigen Generation der jungen Schauspielerinnen viele, die dir dazu einfallen?
Sehr viele sogar, es ist eine große Zeit der liebbaren Mädchen. Sie müssen nicht schön sein, aber liebbar müssen sie sein.

Was ist bei einem Schauspieler wichtig?
Auch ein Mann muss etwas haben. Aber es gibt hunderterlei Rollen für Männer, die für Frauen einfach nie geschrieben wurden. Auch für hässliche, verwachsene, buckelige … Es gibt zum Beispiel auch kaum komische Rollen für Frauen.

Man würde es kaum vermuten, aber du hast nach der Matura ein Jus-Studium begonnen. Wäre Jurist für dich eine berufliche Alternative gewesen?
Es war zumindest eine Rolle, die mich interessiert hätte. Mein Vater wollte, dass ich das Reinhardt Seminar mache, aber ich sollte zur Sicherheit auch Jus studieren. Mir hat das sehr gefallen, auch diese Typen an der Universität, und als es im Seminar zu einer ersten Krise kam - ich musste meine erste Rolle spielen …

Welche?
Den Theaterdirektor in "Sechs Personen suchen einen Autor". Und das gleich im ersten Jahrgang. Ich war noch viel zu ungeschickt dafür und wollte danach alles hinschmeißen und Jurist werden. Daraufhin hat mein Vater darauf bestanden, dass ich weitermache …
Peter Zadek sagte über dich: "Pointen, Witz, bei Bedarf auch Outrage, sind sein Metier".

Muss man manchmal outrieren?

Nein. Hypochondrie kann sehr weit gehen und kann mit Outrage verwechselt werden. Ich habe immer gesagt: "Outrage oblige." Der Motor der Outrage muss echt sein. Wenn man zum Beispiel eine richtige Wut hat, dann kann das zu einer erlaubten Outrage werden, denn dann sind die Wut und das Anliegen echt. Manchmal wirkt auch der Ersatz von Qualität, aber es ist und bleibt eine Fälschung.

Ist das jene "Kunst des höheren Blödelns", von der du manchmal sprichst?
Ja, das geht in diese Richtung. Ich habe einmal mit Helmuth Lohner Minutenszenen entwickelt, wo wir ganz, ganz echt sein wollten. Und je echter wir waren, desto mehr hat uns das Blödeln gefallen.

Ist Helmuth Lohner einer deiner Lieblingspartner?

Ja, das war er immer wieder.

Über wen kannst du lachen?

Das ist sehr schwer. Wenn etwas komisch gelungen ist - man sagt ja im Wienerischen als höchste Auszeichnung "gelungen" -, dann setzt bei mir sofort, noch ehe ich lachen kann, die Bewunderung ein. Ich bin eher baff, als dass ich lachen kann.

Gibt es jemanden, den du bewunderst?
Ich habe Karl Paryla, Hans Moser und Leopold Rudolf bewundert, und Werner Krauß war für mich überhaupt ein unerreichbarer Gipfel. Er hatte etwas, was ich heute am Theater so vermisse. Er gab den Figuren eine Identität, konnte die Kostüme so wunderbar füllen. Sie waren ihm wie eine zweite Haut.

Wenn dir Authentizität so wichtig ist, verzweifelst du dann nicht sehr oft, weil es so wenige Menschen gibt, die wirklich echt sind?
Menschen, die im Leben nicht echt sind, amüsieren mich eher - wenn sie harmlos sind. Aber ich durchschaue sie. Wenn sie etwas anders sein möchten als sie sind, rühren sie mich eher. Dann werden sie zu Objekten, zu Rollen, die ich mir überlege. Ich bin sehr verzeihlich, nur vertrottelte Eitelkeit und Verlogenheit gehen mir sehr auf die Nerven.

Tischgespräche: Dieses Mal mit Otto Schenk

Wärst du gerne ein großer Filmschauspieler geworden?
Ja. Filmen hat mir immer sehr viel Spaß gemacht. Auch einmal ohne Publikum zu spielen, habe ich gemocht, eben diese öffentliche Einsamkeit … Und das Schöne ist, was einmal gelungen ist, hat man ein für alle Mal im Kasten. Das muss man im Theater immer haltbar machen.

Hättest du im Film gerne eine bestimmte Rolle gespielt?
Nein, aber man sollte mir eine schreiben. Ich gehe allerdings ungern ins Kino.

Warum?
Weil es mich so beschäftigt. Es wird mir etwas oktroyiert, die Kamera gibt mir vor, wohin ich zu schauen habe. Es gibt keine Totale, ich kann mir nicht aussuchen, wohin ich schauen will. Man verlangt von mir ein ununterbrochenes Mitgefühl. Ich lebe bei jedem Film so ungeheuer mit - auch wenn er sehr kitschig ist - und ärgere mich danach, dass ich so mitgelebt habe. Mein Vater hat einmal gesagt: "Glaube mir, in jedem Film kommt unweigerlich der Moment, von da an ist es ein Blödsinn." Das ist leider sehr oft der Fall. Erstens kommt dieser zu frühe Verliebungskuss, dann kommt gleich der Koitus und das ist mir unangenehm.

Ist es dir auch peinlich?
Nein, aber ich denke mir, wie machen sie es, dass es nicht wirklich passiert. Oder machen sie es wirklich?

Keine Ahnung. Manchmal sicher.
Für mich ist das genau so, als würde man plötzlich nur mit einem Fuß auftreten, obwohl man vorher zwei hatte.

Du hast einmal gesagt, dass das Volksstück "Der Hofrat Geiger" für dich die Initialzündung war, um Musiktheater zu machen …

Das stimmt. Ich war damals im Theater in der Josefstadt Inszenierer der zweiten Schiene und Erik Frey wollte nicht, dass dieses Stück von einem der alten Routiniers inszeniert wird, sondern von mir. Das habe ich dann auch ohne jede Begeisterung gemacht, bis es zu jener musikalischen Szene kam - da habe ich zum ersten Mal bemerkt, dass ich mit Musik arbeiten kann. Danach wollte ich komischerweise immer "Rigoletto" als Blödelei inszenieren …

Im Jahr 1957 hast du dann deine erste Oper, "Die Zauberflöte", inszeniert. Was ist der Unterschied zwischen der Inszenierung eines Theaterstücks und einer Oper?
Keiner. Musik ist für mich eine sehr realistische Sache. Musik sind nicht nur die Noten, sondern manchmal die Bewegungen, manchmal die Gefühle oder die Gänsehaut - jede Koloratur hat einen Sinn … manchmal ist es Übermut, manchmal die Angst, manchmal die Hysterie, manchmal die Macht …

Deine Inszenierungen kritisierte man einmal mit dem Satz "Beim Schenk menschelt`s." Ist das ein Vorwurf?

Das war mein höchstes Lob, auch im Verriss.

Was war dein ärgster Verriss?
Ich weiß es nicht, weil ich seit Jahren keine Kritiken mehr lese.

Was bedeutet Musik für dich?
Zweierlei. In der Oper ist es das, was ich zu inszenieren habe. All das, was Menschen fühlen, wovor sie Angst haben, worüber sie sich freuen, muss sich ausdrücken. Im Konzert ist es etwas anderes, da ist es das, was einem Thema passiert. Bei Bach zum Beispiel. Bach hat keine Melodie. Manchmal nimmt er auch nur die Buchstaben seines Namens B.A.C.H. und macht daraus ein Riesenwerk. Was bei den Klassikern geschieht - dort, wo es zur Schönheit und dort, wo es zur Qual oder zur Angst wird -, muss sehr konzentriert sein. In einem Konzert kann ich mich dem Gedudel hingeben …

Kann man sagen, die Musik rührt dich mehr als das Wort?

Nicht immer. Aber das Wort wird meistens von jemandem gesprochen, der es nicht so spricht, wie ich es will. Die Musik wird häufiger von Könnern gespielt.

Wie wichtig ist der Dirigent in der Musik?

Wahnsinnig wichtig, viel wichtiger, als man glaubt …

Was hat den von dir so geschätzten Carlos Kleiber so unverwechselbar gemacht?
Er konnte dirigieren wie kein anderer. Er konnte Zärtlichkeiten, Schönheiten und Verrücktheiten aus der Musik herausholen, wie ich es bei niemandem sonst - höchstens noch bei Leonard Bernstein - erlebt habe. Es gab immer nur zwei Dirigenten, von denen ich alles hören wollte: Bernstein und Kleiber. Leider hat Carlos Kleiber nur sehr wenig gemacht, er hatte so einen wahnsinnigen Anspruch und eine Unlust zugleich.
Aber der Wichtigste in der Musik ist natürlich der Komponist. Eine scheußlich dirigierte Fünfte von Beethoven ist immer noch als Meisterwerk erkennbar. Ein scheußlich gespieltes "Was ihr wollt" ist nur ein Blödsinn.

Was hältst du vom Wienerlied?
Es ist geschrieben für Leute, die nicht singen können. Und zwar in Tonlagen, die das Volk beherrscht … aber es bleibt immer die Sehnsucht nach dem hohen Ton.

Du meinst, ein ausgebildeter Sänger kann kein Wienerlied singen?

Er muss verleugnen, dass er singen gelernt hat.

Du hast einmal gesagt: "Begeisterung, Lust, Freuen - das war nie mein Motor." Empfindest du nie Freude im Leben?
Doch, natürlich. Aber ich bin nie mit einer Begeisterung an etwas herangegangen. Die Begeisterung musste erst entstehen.

Tischgespräche: Dieses Mal mit Otto Schenk

Du bist jetzt 81 Jahre alt. Denkst du darüber nach, wie dein Leben weitergehen wird?
Das muss man sehr verdrängen, denn wenn man sich Termine setzt, wann es sein muss oder sein kann oder höchstwahrscheinlich ist, dann wird man einfach wahnsinnig.

Und was du auf keinen Fall willst, ist ohne deine geliebte Frau Renée zu leben …
Nein, wir wünschen uns einen gemeinsamen tödlichen Autounfall.

Das Buch hat den Untertitel "Über Essen, Trinken und die anderen schönen Dinge des Lebens". In welcher Kategorie rangiert für dich der Genuss, Essen und Trinken.

Essen und Trinken verkümmern, weil mein Geschmacksinn nicht mehr so ausgeprägt ist wie früher.

Meinst du den Gaumen?
Den Gaumen und die Lust. Ich habe nicht mehr so eine Lust am Essen wie früher und zwinge mich zu einem üppigen Frühstück.

Aber wenn man von Kalbsnierenbraten spricht, hast du immer noch ein Leuchten in den Augen.
Aus einer Nostalgie heraus. Leider erfüllt sich die Wunschvorstellung dann meist nicht. Aber ich komme zum Beispiel sehr gerne hierher zum Schlosswirt in Sighartstein. Hier entsteht beim Eintritt Appetit, weil ich weiß, dass das, was kommt, gut ist. Der Rehrücken, den ich zuletzt hier gegessen habe, hat mich sogar begeistert.

An welche früheren Lieblingsspeisen erinnerst du dich gerne?
Ich habe ein paar verlorene Lieblingsspeisen. Zum Beispiel das "Blätterteigkipferl" vom Café Breunig hinter der Peterskirche. Ich habe Tränen geweint, als der zugesperrt hat.
Dann gab es in der Bäckerei August Fritz warme Weckerl mit Sardellenschaum; und von der Köchin vom Hansi Fritz süße Pogatscherln - kleine Krapferl, die wir nicht in die Hand nehmen durften, aber von einer dicken, leicht schwitzenden Köchin Anna - das war nicht ganz appetitlich - damit gefüttert wurden. Es ging wie ein Lauffeuer um, wenn es hieß: "Die Anna hat`s wieder." Den Namen dieser Köstlichkeit wussten wir nicht, aber wir stürmten die gotische Treppe … geradezu in den Himmel hinauf, zur Anna, die dort mit einem Reindl stand und uns die Pogatscherln in den Mund steckte. Geliebt habe ich auch die Marillenpalatschinken und die Grammelknödel meiner Schwiegermutter … alles verloren für die Welt.

Und was war das Beste von der "Nonna"?

Sie konnte die besten Semmelknödeln mit Schwammerlsauce machen.

Was kochst du selbst am liebsten?
Gulasch, Risotto milanese, Pasta asciutta …

Leidest du oft, wenn du in Restaurants essen gehst?
Wie ein Tier, fast jedes Mal. Aber hier beim Schlosswirt ist man gut aufgehoben.

Du bist auch dafür bekannt, kein ganz einfacher Gast zu sein. Es gibt ja österreichweit Wirte, die zu zittern beginnen, wenn sie dich einparken sehen …
Weil du alle aufgehetzt hast.

Tischgespräche: Dieses Mal mit Otto Schenk

Nein, weil du ganz gerne deine Vorurteile pflegst und hegst.
Das stimmt zwar nicht, aber meistens ist es ja auch wirklich schlecht.

Du hast in deinem Witzebuch "Garantiert zum Lachen" - von dem du bereits über 60.000 Stück verkauft hast - geschrieben: "Wer nicht lacht, hat Anspruch auf Schadenersatz." Ist schon jemand gekommen und hat gesagt "Herr Schenk, sind Sie mir nicht böse, aber ich habe nicht lachen können."?
Nein, es ist zwar einer gekommen, aber er hat keinen Schadenersatz verlangt …

Was hat er dann gewollt?

Mir sagen, dass er eh schon alle kennt …

Du trittst immer noch sehr erfolgreich im deutschsprachigen Raum bei Lesungen auf. Ist es dir egal, auf welcher Bühne du liest?

Ja, ich brauche ein Podium mit einem Tisch, der nicht wackelt. Das ist allerdings nicht immer leicht zu erzielen, und das Licht muss gut sein, je heller, desto besser - am besten wie bei einem Verhör …

Was war der hässlichste Saal, in dem du aufgetreten bist?
Eine Art Stall, wo hinter dem Podium - durch ein Fenster getrennt - Kühe standen und mich angestarrt haben …

Wann merkst du bei deiner Lesung, ob das Publikum mitgeht oder nicht?
Ich habe einen Testlacher im ersten Satz von Alfred Polgars "Das Kind". Wenn da gelacht wird, weiß ich, dass der Abend ein Erfolg wird.

Gibt es einen Unterschied zwischen dem Publikum in der Stadt und dem auf dem Land?

Erstaunlicherweise nicht. Im Süden Österreichs wird über die gleichen Pointen gelacht wie im Norden Deutschlands. Aber es gibt ein Samstags-Publikum, das mehr lacht. Wahrscheinlich, weil es sich am nächsten Tag ausschlafen kann.

Wie wichtig ist für dich der Text, den du liest?
Ich kann nur Texte vorlesen, von denen ich bewegt, begeistert oder an denen ich zumindest interessiert bin. Begeistert ist am besten. Eine Zeitung vorlesen, das könnte ich nicht. Höchstens eine Kritik, wenn ich eine Wut auf den Kritiker habe …

Worin liegt die Kunst der Zugabe?
Zugaben muss man sehr schnell machen. Ich sage immer den Satz: "Ich ziere mich sonst länger, aber hinter der Bühne ist es so finster." Darauf folgt die erste, dann gleich die zweite und die dritte Zugabe. Danach gibt es keine mehr.

Hast du nie eine vierte Zugabe gemacht?
Nein.

Was ist die dritte Zugabe?

Meistens der "Bumerang" von Ringelnatz, der ist wunderbar. Danach weiß jeder, jetzt ist es aus.

Wie geht die Geschichte vom Bumerang?
"War einmal ein Bumerang; war ein Weniges zu lang. Bumerang flog ein Stück, aber kam nicht mehr zurück. Publikum - noch stundenlang - wartete auf Bumerang."

Gibt es etwas, was man jungen Schauspielern für diesen Beruf mitgeben kann?
Das ist schwer, aber sie müssen Glück haben und bereits sein fürs Glück.

Warst du fürs Glück bereit?
Ja, immer. Aber ich hatte lange Durststrecken.

Durch diese Durststecken hat dich deine Frau Renée jahrzehntelang begleitet. Wo habt ihr euch kennengelernt?
Das war vor 56 Jahren. Wir sind auf de

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