Tischgespräche: Dieses Mal mit Danielle Spera

Tischgespräche: Dieses Mal mit Danielle Spera
Gespräche bei Tisch. Gemeinsam essen und trinken ist laut Statistik eine aussterbende Art, Zeit miteinander zu verbringen. Angelika und Michael Horowitz haben 20 befreundete Künstler um diese Zeit gebeten.

freizeit-KURIER-Chefredakteur Michael Horowitz und seine Frau Angelika luden 20 befreundete Künstler zu intensiven Gesprächen ein. Bei einem Essen, in einem Wirtshaus, in einer Atmosphäre, bei der sie sich wohlfühlten. Festgehalten wurden die "Tischgespräche" im gleichnamigen Buch. Lesen Sie in den folgenden 20 Tagen was Alfred Dorfer, Christiane Hörbiger und viele mehr bewegt. Dieses Mal zu Gast: Danielle Spera.

Michael Horowitz: Du hast vor etwas mehr als einem Jahr die Direktion des Jüdischen Museums Wien übernommen und hast bereits jetzt vieles verändert. Was willst du alles machen?

Danielle Spera: Es gab und gibt noch viel zu verändern. In den ersten Monaten habe ich vor allem entrümpelt und gelüftet. Dabei kamen mir so viele Ideen und ich brenne darauf, diese in den nächsten Jahren alle umzusetzen. Derzeit können wir beim Vergleich mit anderen Jüdischen Museen bei Weitem nicht mithalten.

Welche Museen sind dir Vorbilder?

Am beeindruckendsten ist natürlich das Jüdische Museum in Berlin. Das besticht nicht nur durch seine Architektur, auch die großen Wechselausstellungen sind einfach grandios. Aber das ist finanziell eine andere Dimension. Allein die phantastische Ausstellung „Koscher & Co“, die ich so gerne nach Wien gebracht hätte, liegt weit über unserem jährlichen Gesamtbudget.

Wie viel hat sie gekostet?

800.000 Euro. Das ist eine Ausstellung, die nur vier Monate lang gelaufen ist. Mein Jahresbudget beträgt 400.000 Euro. Und das für zwei Häuser – das Museum im Palais Eskeles und das Museum Judenplatz. Aber im Jüdischen Museum Berlin spielt Geld keine Rolle. Sowohl der deutsche Staat als auch die Berliner Stadtregierung und viele deutsche Firmen wollen helfen.

Das heißt, deine Aufgabe ist unter anderem, Sponsoren zu finden.

Ja, auch da ist noch sehr viel nachzuholen.

Aber das schmälert die Begeisterung für deine neue Arbeit nicht?

Nein, natürlich nicht. Es ist eine aufregende und schöne Aufgabe.

Du hast einmal gesagt: "Ich war bei meinen früheren Besuchen im Jüdischen Museum immer traurig, dass ich meistens allein dort war." Wie willst du das ändern? Was möchtest du bewirken?

Ja, ich dachte mir immer, wie schade es ist, dass dieses Museum so wenig besucht wird, dass es nahezu unbekannt ist. Während in London, Paris, Amsterdam und Berlin die Menschen vor den Jüdischen Museen Schlange stehen, kann man in Wien allein durch das Museum gehen und trifft keinen Menschen. Das ist eine Schande. Aber nicht nur Fremde kennen das Museum nicht, auch viele Wiener wissen nicht einmal, wo es ist.

Glaubst du, dass viele Menschen in Wien auch Schwellenangst haben?

Ja, das ist sicherlich ein Punkt, und genau diese Scheu möchte ich den Menschen nehmen. In Zeiten wie diesen lässt sich nichts – auch kein Museum – ohne Marketing und PR verkaufen. Aber das muss man sich leisten können.

 

Tischgespräche: Dieses Mal mit Danielle Spera

Was sind deine nächsten Pläne?

Programmatisch steht der Judenplatz an allererster Stelle. Ich möchte dort eine neue Dauerausstellung etablieren, und zwar „Die Juden im Mittelalter“. Das gehört dorthin, auch zur Synagoge, die ja einmal sehr groß war. Wenn man daran denkt, dass es im Mittelalter dort eine blühende jüdische Gemeinde gegeben hat, ist das Thema sicherlich sehr passend für diesen Ort. Für mich ist der Judenplatz ja sowieso einer der spannendsten und stimmungsvollsten Plätze der Stadt. Aber auch dort gehen täglich hunderte Menschen vorbei – und kaum einer besucht das Museum. Das möchte ich ändern – unter anderem durch einen virtuellen Rundgang, der in das Wien des 14. Jahrhunderts führt.

Deine erste große Tat als Direktorin sozusagen.

Meine allererste war es, die Umrisse der ehemaligen Synagoge in weißer Farbe auf den Boden einzeichnen lassen, damit man sieht, wie groß sie einmal war. Ich möchte auch – das wollte ich schon als Journalistin immer in Angriff nehmen – die gesamte Geschichte seit 1945 aufzeigen, denn mit jedem Tag, der vergeht, stirbt ein Zeitzeuge mehr. Es ist mir aber ebenso wichtig, nicht nur von der Vergangenheit zu sprechen, sondern zu zeigen, wie spannungsgeladen dieser Ort ist. Natürlich durch eine sehr traurige Geschichte, aber gleichzeitig durch das jüdische Leben von heute. Das liegt mir sehr am Herzen. Ich will zeigen, dass hier auch nach 1945 gelebt wurde, dass es in Wien eine lebendige jüdische Gemeinde gibt. Die ist zwar klein, aber voller Vitalität und Kultur, und sie wächst. Facettenreich und vielschichtig – von Ultraorthodoxen bis zu Nicht-Religiösen. Das jüdische Leben im Wien von heute soll zeigen, dass die Nazis nicht gesiegt haben …

… und auch dazu beitragen, den Umgang mit Juden zu normalisieren, Tabus zu brechen?

Unbedingt, Ressentiments müssen abgebaut werden!

Wie stehst du zu Aktionen wie "Dancing Auschwitz" der australischen Künstlerin Jane Korman – bei der ein Auschwitz-Überlebender mit Kindern in ehemaligen Konzentrationslagern tanzt? Sind solche extremen Aktionen wichtig? Richtig?

Ich habe eine Gänsehaut bekommen, als ich das Video sah. Es berührt mich sicherlich anders als beispielsweise meinen 15-jährigen Sohn. Der versteht gar nicht, was das soll, was man damit zeigen will. Aber für mich ist auch das ein Zeichen dafür, dass die Nazis nicht gesiegt haben. Und das muss man täglich sagen und zeigen.

Wie empfindest du das Leben in Wien heute? Hat sich der Umgang der Menschen untereinander verändert, verbessert?

Ich glaube, dass sich sehr viel geändert hat. Ich erkenne das auch bei den Freunden meiner Kinder, in deren Schule, wo es eine Art Neugier und Offenheit gibt. Man will mehr wissen über die jüdische Kultur, die Feiertage, die Feste.

Du hast zwar jetzt bereits mehr als ein Jahr als Direktorin des Jüdischen Museums hinter dir, die Menschen kennen dich aber auch als "Zeit im Bild"-Moderatorin. Du hast 4000 "Zeit im Bild"-Sendungen im ORF moderiert und stehst jetzt auf der anderen Seite – jetzt wirst du interviewt. Wie ist das?

Eine große Umstellung. Natürlich kann ich mir keine "Zeit im Bild" wie ein normaler Zuseher ansehen, aber Abschiedsschmerz hatte ich keinen, und zwar deshalb nicht, weil ich hier so schnell eintauchen musste. Ich bin gar nicht zum Nachdenken und Abschiednehmen gekommen.

 

Tischgespräche: Dieses Mal mit Danielle Spera

Was sind für dich die bleibenden Momente in diesen 30 Jahren beim ORF?

Dazu gehört sicherlich die Zeit, als ich als ORF-Korrespondentin am 15. April 1987 für ein Jahr nach Amerika ging und zwölf Tage später ein gewisser Herr Waldheim auf die "Watchlist" gesetzt wurde. Das war Politik hautnah – diese Zeit war extrem spannend. Ein Adrenalinstoß nach dem anderen. Natürlich gehören dazu auch Ereignisse wie der Fall der Berliner Mauer, der 11. September 2001 und der Irakkrieg. Das waren Zeiten, in denen ich Tag und Nacht gearbeitet habe. Dazu gehört aber auch die für mich ungeheuer bewegende Reise mit Franz Vranitzky nach Israel 1992.

Eine wichtige Zeitspanne in deinem Leben?

Natürlich, jeder Tag war spannend, jeder Tag war anders. Es ist in diesen 30 Jahren einfach extrem viel passiert.

Es war sicherlich ein großer Sprung von der Moderatorin zur Museumsdirektorin. Warst du bereits früher sehr an Kunst interessiert?

Ja. Ich kam durch meinen früheren Lebensgefährten Hubert Klocker, der seine Dissertation über den Wiener Aktionismus geschrieben hat, in die Kunstszene und habe mich mit ihm – auch durch sehr viele Reisen – in diese Welt vertieft. Kunst wurde in dieser Zeit für mich zu viel mehr als nur einem Hobby. Ich dachte mir damals, wenn ich je vom ORF weggehen würde, wäre das einzige, das mich darüber hinaus interessierte, die Kunstvermittlung.

Ab wann wusstest du, dass du beim ORF vielleicht nicht alt wirst?

Älter geworden bin ich ja dort. Der ORF war immer meine berufliche Heimat und ich wäre auch bis zur Pensionierung geblieben. Dort bin ich gewachsen, das war meins. Bis mein Mann im Sommer 2009 gehört hat, dass ein Direktor für das Jüdische Museum gesucht wird.

Hast du kurz darüber nachgedacht, ob du das überhaupt machen solltest?

Was heißt kurz, ich habe lange darüber nachgedacht. Immerhin hatte ich nicht nur meinen Beruf, sondern ich habe auch drei Kinder.

Wie alt sind sie?

Sie sind 16, 14 und neun Jahre alt. Wir sind sehr lange zusammengesessen, und ich habe begonnen, all meine Ideen aufzuschreiben. Da ist mir gleich so viel eingefallen.

Was konntest du aus den Jahrzehnten beim ORF in dieses neue berufliche Leben mitnehmen?

Ich glaube, die wichtigste Aufgabe eines Museums ist es, den Menschen zu vermitteln, dass Objekte ihre Geschichte haben, dass sie einmal jemandem gehört haben. Dass sie Menschen gehört haben, die heute nicht mehr da sind. Wir haben hier im Jüdischen Museum unzählige Objekte. Und genau deren Geschichten will ich erzählen. Ich glaube, dass ich das sehr gut kann – diese so zu erzählen, dass sie spannend sind.

 

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Hast du dir diesen Job sofort zugetraut?

Nein, ich hinterfrage immer alles, und daher habe ich mir natürlich die Frage gestellt, ob ich mir das überhaupt zutraue.

Und dich letzten Endes getraut.

Ja.

Hast du deinen Entschluss inzwischen bereut?

Nein, überhaupt nicht. Ich zweifle keine Sekunde daran, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Die Medien haben damals geschrieben: "Danielle Spera: Das jüdische Gesicht Wiens". Möchtest du dem Wiener Judentum ein neues Gesicht geben?

Die offiziellen Gesichter gibt es natürlich – vom Oberrabbiner bis zum Präsidenten der Kultusgemeinde –, aber selbstverständlich sollte auch das Jüdische Museum ein Gesicht haben. Das war bis jetzt allerdings nicht der Fall.

Hat es anfangs Widerstände gegen dich gegeben?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin bereits vor vielen Jahren zum jüdischen Glauben konvertiert. Das habe ich damals sehr bewusst für mich gemacht. Ich lebte jahrelang mit einer gespaltenen Identität – ich hatte einen jüdischen Vater, habe aber eine katholische Schule besucht. Trotzdem wusste ich immer, dass im Jüdischen meine Wurzeln liegen.

Obwohl du nicht jüdisch erzogen wurdest?

Mein Vater hatte immer große Angst, dass uns Kindern etwas passiert. Alle Spuren zum Judentum sollten verwischt werden.

Aber es war dir ein großes Bedürfnis zu konvertieren?

Ja, das war für mich ganz wichtig. Ich bin ein religiöser, traditioneller Mensch und habe mich nach diesen jüdischen Traditionen gesehnt.

Gibst du diese an deine Kinder weiter?

Ja, wir feiern zuhause alle jüdischen Feste und Feiertage.

Hast du ein Lebensmotto?

"Die ganze Welt ist eine schmale Brücke und das Wichtigste ist, keine Angst zu haben!" Das gilt für mich in jeder Beziehung. Denn, wie der Wiener so schön sagt: "Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben."

Am wichtigsten ist es für mich, mit offenen Augen durch das Leben zu gehen und mutig zu sein, jeden Tag neu anzupacken. Ich bin ein positiver Mensch und betrachte jeden Tag als Geschenk.

Was macht für dich die Lebensqualität in dieser Stadt aus?

Es ist diese ganz besondere Mischung. Diese Melange aus vielen Kulturen. Das ist spürbar und das lebt man. Das ist das Salz von Wien.

 

Tischgespräche: Dieses Mal mit Danielle Spera

Was bedeutet Genuss für dich?

In meinem Berufsalltag komme ich kaum zum Essen.

Aber du bist ein Genussmensch?

Ja, absolut. Ich genieße es, Freunde zu treffen, nach Hause zu kommen und mit meinen Kindern zu sein. Ich esse kaum Fleisch und mit Vorliebe Pasta. In jeder Variation und zu jeder Zeit.

Kochst du selbst?

Ja, natürlich. Mit großer Freude.

Auch Pasta?

Am laufenden Band. Auch für meine Kinder. Wahrscheinlich habe ich sie während der Schwangerschaft schon auf den Pasta-Geschmack gebracht.

Das heißt, du bevorzugst italienische Restaurants?

Ja, aber trotzdem esse ich am liebsten im "Salzamt". Ein letztes Relikt aus dem Wien der achtziger Jahre, als Wien noch eine kulinarische Wüste war und ich vor allem in der Triangel zwischen Oswald & Kalb, Hawelka und dem Salzamt hin- und herpendelte. Ich hoffe, das Lokal sperrt nie zu, denn dort bekomme ich meine Spaghetti aglio e olio genau so, wie ich sie mag. Die Speisekarte ist noch mit der Hand geschrieben, so wie es früher war. Dort ist es, wie zuhause zu essen. Außerdem trifft man da immer noch Leute aus der Wiener Kunst- und Kulturszene. Ich mag dieses ganze Viertel rund um den Tempel sehr.

 

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