Norbert Meier, Wiens letzter Bürsten- und Pinselmacher
Es kommt nicht oft vor, dass man eine Gurkenwaschbürste in Händen hält. Gurken – wasch – bürste! Klingt einigermaßen ulkig, doch dahinter steckt viel zweckmäßiges Know-how, „denn die Bürste darf nicht zu hart sein, um die Schale der Gurke nicht zu verletzen. Dennoch soll sie robust genug sein, um das Gemüse von Schmutz zu befreien. Deshalb braucht es für diese Bürste, die in der Produktionsstraße eines Lebensmittelherstellers im Einsatz ist, eine ganz besondere Mischung aus Kunst- und Naturhaaren“, sagt Norbert Meier, Profi in Sachen Bürsten, Besen, Pinsel. Tatsächlich reicht sein Sortiment von Modellen zum Waschen von Gurkerln bis zu riesigen Bürstenköpfen zum Reinigen der Trommeln von Betonmisch-Lkw.
Tausende Modelle
Gurkenbürsten freilich sind Sonderfälle, Meier hat noch mehr Haariges im Repertoire. "Einige Tausend Modelle sicher“, sagt er. "Überlegen Sie nur, in wie vielen Bereichen Bürsten gebraucht werden.“ Wir überlegen: Zahnbürste, Haarbürste, Rasierpinsel, Lippenpinsel, Nagelbürste, Handbürste, Kleiderbürste, Schuhbürste, Autowaschbürste, Abstaubbürste und, und, und – auf Anhieb bringen wir es auf eine ansehnliche Zahl und haben dabei die vielen Besenvarianten zum Kehren für Heim und Straße noch gar nicht berücksichtigt. Meier kennt alle und macht alle.
Werkstatt wie damals
Aber wie wird man eigentlich Bürsten- und Pinselmacher? „Ich bin mit 14 Jahren in die Fußstapfen meines Vaters getreten. Der hat 1918 in Hernals mit einer Bürstenproduktion begonnen. Besen- und Pinselmacher gab es dazumal Dutzende.“ Und heute? Von ehemals 30 Bürstenmachern in Wien ist Norbert Meier heute der Letzte. 1973, mit 23 Jahren, hat er den väterlichen Betrieb in der Taubergasse 23 übernommen. Dort ist er heute noch, mit einer Werkstatt wie aus einer anderen Zeit. Mit viel Patina und monumental anmutenden Maschinen. „Alt, aber gut“, sagt Maier und wirft eine Drehmaschine an. Die Rauchfangkehrer-Innung hat Tschimperlinge bestellt. Dazu spannt Meier bereits zur Schlaufe gearbeitete Metallstränge in die Maschine ein, legt büschelweise Borsten – eine Mischung aus exakt 50 Gramm Rosshaar und Nylon – dazwischen und drückt den Startknopf. Flugs verdreht das Gerät alles kunstvoll zum Strang, automatisch entsteht am oberen der typische Bürstenkopf.
Bürsten und Pinsel
Loch um Loch
Hier schießt Herr Adam Metallstifte in bereits vorgeborte Löcher eines Holzrohlings. Am Ende werden mit der Handbürste Bäcker eine Backstraße reinigen - siehe auch nächstes Bild.
Für Bäckereien
Hier die fertigen Bürsten mit Metallborsten, eine Spezialanfertigung für eine Großbäckerei.
Für Rauchfangkehrer
Auch die Wiener Rauchfangkehrer-Innung ist Kunde des Bürstenmachers, der die bewährten Tschimperlinge, eine spezielle Kehrbürste für Rauchfänge, produziert. Siehe auch nächstes Bild.
Für Rauchfangkehrer
Ein Tschimperling, auch heute noch ein wesentliches Utensil der Rauchfangkehrer zur Reinigung von Schloten.
Für Getränkeabfüller
Der gute alte Flaschenwascher. Zuhause kommt er nur gelegentlich zum Einsatz, Groß-Getränkeabfüller hingegen benötigen die Spezialbürste en gros.
Werkstatt-Stillleben I
Ein Grundelement der Bürstenfertigung sind natürliche Tierhaare und Borsten. Die Preise für Naturhaar sind in den letzten Jahren allerdings massiv, um gut 150 Prozent, gestiegen. Auch diesen Markt beherrschen die Chinesen längst.
Werkstatt-Stillleben II
Die Maschinen in der Werkstatt von Norbert Meier haben schon ein paar Jahre "am Kasten", sind aber dank der sorgfältigen Wartung durch den Meister nach wie vor perfekt in Schuss.
Werkstatt-Stillleben III
Ein bisschen scheint es so, als wäre die Zeit in der Werkstatt des Bürstenmachers stehengeblieben. Die Atmosphäre mit vielen schönen Details wirkt bisweilen nostalgisch antiquiert.
Im Gefühl
Wieviel Gramm es an Haaren oder Borsten für einen Besen oder eine Bürste braucht, hat Norbert Meier nach etlichen Jahrzehnten der Praxis längst im Gefühl, dennoch ...
Auf das Gramm genau
... wiegt Norbert Meier stichprobenartig das eine oder andere Quantum Borsten mit einer alten Waage ab.
Eingespannt
Für einen Tschimperling spannt Meier die Borsten zwischen zwei Metallstangen ein.
Verdreht
Auf Knopfdruck werden die Metallstäbe maschinell verdreht, der Tschimperling nimmt Form an.
Am Werk
Norbert Meier ist auch ein technisches Genie. Mit speziell entwickelten Maschinen hat er seine Produktion von Bürsten und Besen vereinfacht.
Endprodukt
Norbert Meier hat Hunderte Artikel im Sortiment. Maler ordern bei ihm Spezialpinsel genauso wie Gärtnerein oder Reinigungsunternehmen die handwerklich solide gemachten Besen.
Meiers einziger Mitarbeiter, Herr Adam, auch gelernter Bürsten- und Pinselmacher, schießt unterdessen mit einer anderen Maschine kleine Metallstifte in vorgebohrte Löcher eines Buchenholzkörpers. „Das werden Handbürsten zum Reinigen von Backöfen“, verrät Adam. Der Kunde hat mehrere hundert Stück bestellt. Ein ansehnlicher Auftrag, wenngleich Meier auch solche mit 1.000 oder 2.000 Stück übernimmt.
Kunden aus China
Kunden aus Saudi-Arabien, den USA oder China schätzen die gute Handarbeit aus Wien. Das ist insofern witzig, da ausgerechnet China den Weltmarkt mit billigen Besen und Bürsten überschwemmt. Vor allem aber beherrschen die Chinesen längst auch den Markt für Naturhaar wie Rosshaar, Schweineborsten, Marder- oder Ziegenhaar, alles Materialien, die hierzulande entsorgt werden. Damit aber haben die Asiaten preislich das Sagen. "In den vergangenen fünf Jahren sind die Naturhaarpreise um gut 150 Prozent in die Höhe geschnellt. Alleine der Preis für Marderhaar ist derzeit so hoch wie der Goldpreis“, sagt Meier und bedauert, dass man in Europa das Wissen für diese nachhaltig produzierte Gerätschaft aus der Hand gegeben hat. Doch Meier hält tapfer mit seinen handwerklich solide gemachten Besen dagegen.
Sonderanfertigungen für Industriebetriebe, Bäckereien oder Druckereien sind ein wichtiges Standbein. So bestellt etwa die österreichische Nationalbank regelmäßig Bürsten aus Messingdraht, um damit die Druckmaschinen für die Geldscheine abzubürsten. Ein Kekshersteller aus Deutschland ordert Bürstchen, um damit Kekse zum Glänzen zu bringen. Apropos Glänzen: Selbstverständlich macht Meier auch Einzelstücke. "Will jemand eine gute Schuhputzbürste, machen wir die genauso wie feine Abstaubbürsten aus Ziegenhaar. Und natürlich Besen für jeglichen Bedarf“, sagt Meier und greift selbst zu einem, um Sägespäne aufzukehren. "Der ist schon 40 Jahre in Verwendung. Kehrt immer noch wie die Hölle.“ Von wegen Goethe und "Besen! Besen! Seid’s gewesen“.
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