Schöne, neue Welt
Die Zukunft kommt immer schneller.“ Der Mann, der das sagt, muss es wissen. Markus Hengstschläger ist Genetiker und einer der klügsten Köpfe Österreichs. Wie unsere Zukunft aussehen wird, dafür werden jetzt die Weichen gestellt. 2030 ist ganz schön weit weg und doch ziemlich nah. 17 Jahre sind es noch bis dahin, ein Zeitraum, den die meisten von uns erleben werden. Noch nie veränderte sich die Welt so rasch, noch nie vermehrten die Menschen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in solchem Tempo. Die fragte Österreichs Top-Wissenschaftler, was uns erwartet. Wie alt werden wir? Wie lang werden wir arbeiten? Oder werden Roboter uns alles abnehmen? Welche Krankheiten kann die Medizin heilen? Wird es so warm, dass wir nur noch am Gletscher Skilaufen können? Oder wird in den Alpen der Wein gedeihen? Womit werden wir uns in unserer Freizeit beschäftigen? Wie werden wir uns fortbewegen? Mit einem intelligenten Gefährt, das von selbst weiß, wann es bremsen oder beschleunigen muss? Was werden wir essen? Und wie werden wir wohnen?
Hengstschläger macht Mut, dass die Welt der Zukunft eine schöne, neue Welt sein wird. Allerdings braucht es schon Anstrengungen, um dorthin zu kommen. „Wir brauchen Vertrauen in die Begabungen und Talente in diesem Land. Jeder hat Talente.“ Und diese Fähigkeiten gilt es zu fördern. „Die Politik muss umdenken und sich um die Menschen und ihre Begabungen kümmern.“ Was das bedeutet, illustriert er mit einem Beispiel. „Ich habe zehn Forscher und muss entscheiden: Fördere ich keinen, weil ich ja nicht weiß, welcher von ihnen wirklich gut wird. Oder fördere ich sicherheitshalber alle zehn.“ Letztere Variante ist zuerst einmal teuer und in Österreich nicht üblich, aber für Hengstschläger die richtige. „Wenn nur einer davon eine echte Entdeckung macht, kann ich mir mit dieser Innovation das investierte Geld und viel mehr zurückverdienen.“ Und neue Förderungen finanzieren. „Man muss durchs Tal, um an die Spitze zu kommen.“ Was jetzt begonnen wird, zeigt in 15 bis 20 Jahren Wirkung. 2030 also. Österreich ist ein Land, das seine Zukunft mit Köpfchen meistern muss. Denn wir sind weder mit Rohstoffen in großem Ausmaß gesegnet, noch ist Österreich etwa ein Billiglohnland.
Für den Quantenforscher Anton Zeilinger steht die Bildung sowieso an erster Stelle. Er würde „die Lehrer zum bestbezahlten, renommiertesten und angesehensten Teil der Bevölkerung machen.“ Denn sie sind es, die Kindern unendlich viel nützen, aber auch unendlich viel schaden können. Hengstschläger wünscht sich gezielte Begabtenförderung, indem man vermeintliche Außenseiter dazu ermutigt, anders zu sein.
Die Gesellschaft wird sich jedenfalls bis zum Jahr 2030 grundlegend ändern, ist Hengstschläger überzeugt. Durch den Effekt, für den er das Schlagwort „das neue Alt“ verwendet. Was er damit meint: Wir werden chronologisch altern, aber nicht so sehr biologisch.“ Anders ausgedrückt: Die Menschen werden auch im fortgeschrittenen Alter immer fitter. „In 20 Jahren werden auch die Alten windsurfen wollen.“ Und nicht nur das. Die „Alten“, die sich gar nicht alt fühlen, werden länger arbeiten. Freiwillig. „Man wird gar nicht mehr auf die Idee kommen, zu einem fixen Zeitpunkt in Pension zu gehen.“ Hengstschläger ist überzeugt, dass die Gesellschaft klug genug sein wird, den richtigen Weg zu finden zwischen Arbeit und Pension. Und dass dabei genug Zeit bleibt, sich an den Dingen des Lebens zu freuen. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, die Lebenserwartung stetig zu steigern, also 100, 110 oder gar 120 Jahre alt zu werden. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein heute Neugeborenes 100 Jahre alt wird, bei 50 Prozent liegt. Es geht vielmehr darum, wie man seine Lebenszeit verbringt. „Wir wollen nicht auf alles verzichten, für das es sich lohnt, alt zu werden. Wir wollen den Jahren Leben geben und nicht nur dem Leben Jahre.“
Ein Beispiel: Auch heute schon werden Neugeborene auf die Krankheit PKU, eine genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung, die zu schwerster geistiger Behinderung führt, gescreent. Dabei wird jedem Säugling ein einziger Blutstropfen aus der Ferse entnommen und analysiert, das macht Prophylaxe möglich. Der Ausbruch der Krankheit kann mit einer speziellen Diät bekämpft werden. Wenn man weiß, dass die Gene des Babys diesen Defekt aufweisen.
Der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft: „In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Medizin den größten Fortschritt bei der Diagnose gemacht. Bei der Therapie hinken wir noch nach. In den kommenden zwei Jahrzehnten wird sich die Schere zwischen Diagnose und Therapie schließen“, sagt Hengstschläger. Eingriffe ins Erbgut, von denen nicht ganz klar ist, welche Folgen sie haben, lehnt er allerdings ab. Der Weg in die Zukunft: Stammzellentherapie – und damit ein Paradigmenwechsel in der gesamten Medizin. „Weg von der reparierenden hin zur regenerierenden Medizin.“
Auch dafür, was das für Möglichkeiten bietet, weiß Hengstschläger Beispiele. Den Diabetiker, der heute Insulin spritzen muss, wird es in der Zukunft vielleicht nicht mehr geben. Statt dessen wird es möglich sein, aus Stammzellen Insulin produzierende Zellen herzustellen und sie in die Bauchspeicheldrüse zu injizieren. „Autoregeneration des Körpers“ nennt Hengstschläger das. Oder, am Beispiel Herzinfarkt: Heute gibt es eingeschränkte Möglichkeiten – Medikamente oder eine Transplantation. Stammzellen können im Labor zu neuen Herzmuskelzellen werden. Auch das Herz wird sich in Zukunft regenerieren lassen. Weitere Therapiemöglichkeiten könnte es eines Tages bei Querschnittslähmung, Parkinson, nach Schlaganfällen oder bei Leber- und Nierenschäden geben.
Dass das keine Spinnereien fortschrittsgläubiger Frankensteins sind, zeigen die Versuche, die etwa Stammzellenforscher Robert Lanza in den USA treibt. Der Chefwissenschaftler der Firma Advanced Cell Technology (ACT) erprobt bestimmte Stammzellen derzeit erstmals an Menschen. Sein Ziel klingt ziemlich unbescheiden: Gelähmte sollen wieder gehen und Blinde wieder sehen können. Lanza ist nicht unumstritten, er war massiven Protesten von Abtreibungsgegnern ausgesetzt. weil er mit embryonalen Stammzellen arbeitete. Nun hat er bestimmte Zellen gezüchtet, die aus normalen Körperzellen, etwa Haut- oder Blutzellen entstanden. Noch in diesem Jahr will Lanza damit klinische Tests – an Menschen – beginnen. Ein weiterer Weg in die Zukunft ist die Nanotechnologie. Die Forschung darüber läuft, sie wird bis 2030 jedenfalls einen großen Schritt weiter sein. Auch wenn wir noch nicht genau wissen, wie das geht, spekulieren über den Einsatz von Nanotechnologie kann man heute schon. Winzige Maschinen, kleiner als Mikrochips, würden in den menschlichen Körper eingepflanzt. Sie messen alles mögliche – vom Blutzucker bis zu den Leberwerten. Und die Körpermaschinen der Menschen sagen nicht nur ihrem Träger, dass er demnächst Kopfschmerzen bekommen wird, sondern sie kommunizieren auch von Mensch zu Mensch. Das hat nachvollziehbaren praktischen Nutzen. Wenn ich etwa so erfahre, dass in der Autokolonne 500 Meter weiter vorne ein extrem übermüdeter Lenker fährt, der einzuschlafen droht. Oder wenn ich gewarnt werde, dass der Lenker des Busses, der mein Kind zur Schule bringen soll, alkoholisiert ist.
Ob das, was uns die Zukunft bringt, wirklich eine schöne, neue Welt ist, hängt von uns ab. Oder mit den Worten des Genetikers Hengstschläger: „Die Gene sind Bleistift und Papier. Die Geschichte schreibt jeder selber.“
Es war der Bestseller des Jahres 1910 – Arthur Brehmers Buch „Die Welt in 100 Jahren“. Vieles, was die Autoren damals vorhersagten, traf punktgenau ein: Wir telefonieren mit Handys, wir fliegen in den Weltraum, es wurde ermöglicht, „die Wärme, die von den Sonnenstrahlen ausgeht, nutzbar zu machen“. Das wurde nicht nur durch den „Kohlemangel“ notwendig, sondern auch durch den Umstand, dass die Verbrennung von Kohle „die Luft zum Atmen untauglich“ macht. Kluge Voraussicht. Manches stimmte nicht ganz – etwa der Sonntagnachmittags- Ausflug auf den Mond. Und mit manchen Prognosen lag das Buch total daneben: Davon, dass wir in einem Zeitalter „völliger Krankheitslosigkeit“ leben, kann leider keine Rede sein. Der Blick in die Zukunft hat die Menschen immer schon fasziniert. Deshalb gibt es nun eine Neuauflage des Buches, Herausgegeben von Ernst A. Grandits: 2012 Die Welt in 100 Jahren (OLMS-Verlag). Sie wird nicht untergegangen sein, es wird keine Kriege geben, und wir werden uns mit Genuss, aber wesentlich vernünftiger ernähren. Schöne Aussichten. Was davon eintreffen wird? Überprüfbar in 100 Jahren.
- Wir werden unser Leben mit den Augen steuern. Ein Lidschlag genügt. Das Internet wird in Wände, Möbel oder Anzeigetafeln integriert. Einmal blinzeln – und schon sind wir online.
- Im Ausland werden alle Straßen- schilder, Werbung etc. übersetzt in unserer Sprache erscheinen.
- Autos ohne Benzin. Fahrzeuge mit Hybridmotoren und Brenn- stoffzellenautos, angetrieben von Sauerstoff und Wasserstoff, erzeugen keine Abgase mehr.
- Keine Verkehrsunfälle mehr. GPS-gelenkte Automobile können selbst Hindernisse wahrnehmen und so rechtzeitig Maßnahmen ergreifen.
- Virtuelle Welt. Wie in manchen Videospielen können wir via Computerbildschirm auf den Mond, auf den Mars oder in exotische Länder reisen.
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