Die neuen Klimaaktivisten: Von „Fridays for Future“ bis zur „Letzten Generation“

WIEN: KLIMASTREIK FRIDAYS FOR FUTURE IN WIEN
Seit 2020 gehen junge Leute wieder auf die Straße. Erst waren es Schüler, die freitags für mehr Umweltschutz demonstrierten – jetzt kleben sich Aktivisten der „Letzten Generation“ an Kunstwerken und Straßen fest, während „Dumpster Diver“ noch genießbare Lebensmittel aus den Müllcontainern holen.

Der 20. August 2018 ist der Tag, an dem alles beginnt. Statt zur Schule zu gehen, demonstriert die damals 15-jährige Greta Thunberg vor dem schwedischen Parlament für mehr Klimaschutz. Zunächst streikt sie wochenlang allein, mit der Zeit schließen sich ihr immer mehr Schülerinnen und Schüler an. Die Protestbewegung „Fridays For Future“ ist geboren - der Freitag ist seitdem internationaler Streiktag.

Von Greta Thunberg inspiriert, von Katharina Rogenhofer in Österreich umgesetzt. Vor fast vier Jahren sind auch in Österreich zum ersten Mal junge Menschen aufgestanden. Am Wiener Heldenplatz haben sie damals die Politik aufgefordert, das Pariser Klimaabkommen, einen wichtigen Meilensteil im Kampf gegen den Klimawandel, einzuhalten. Angestrebt wird ein 1,5-Grad-Ziel. Fast alle Länder der Welt haben das Abkommen unterzeichnet und sich verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren.

Am Ende zählen Taten

„Trotzdem sind seitdem mehrere hundert Kilometer an Schienen abgebaut und kilometerlange Autobahnen zugebaut worden”, kritisiert Alina Koller, Aktivistin der Klimabewegung FFF “Die Politik muss endlich Rahmenbedingungen schaffen, um ein klimafreundliches Handeln möglich und attraktiv zu machen. Zum Beispiel die öffentlichen Verkehrsmittel ausbauen“. Es sei essenziell, von den fossilen Energieträgern wegzukommen und in erneuerbare Energien zu investieren.

Die neuen Klimaaktivisten: Von „Fridays for Future“ bis zur „Letzten Generation“

Die 21-jährige Studentin Alina Koller setzt sich für die Ziele des Pariser Abkommens und für einen Kohleausstieg bis 2030 ein

Um im stetigen Austausch zu aktuellen Streiks und Demonstrationen zu sein, ist die Organisation gut vernetzt. Die einzelnen Regionalgruppen sind über Kommunikationskanäle wie Signal und WhatsApp organisiert, national funktioniert die primäre Kommunikation über die Plattform Slack.

Als größte Klimagruppe Österreichs konnten die Aktivisten innerhalb kürzester Zeit große Erfolge erzielen.  „Fridays For Future hat so viele Leute mobilisiert. Es hat sich unglaublich viel getan. Es sind so viele Menschen aufgestanden – für ihr Recht eingestanden“, sagt die 21-jährige Aktivistin.

„Als Einzelperson kann man nicht viel an seinem Leben ändern, wenn man in diesem System feststeckt“, so Koller. Sie sieht ganz klar die die Politik in der Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen und endlich eine Kursänderung vorzulegen. Nur so könne eine nachhaltige Zukunft für uns, für kommende Generationen, geschaffen werden.

Die „Letzte Generation“

Seit Februar 2022 sorgen auch Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ in Österreich für Aufsehen. Der Name der Organisation spielt darauf an, dass sie die letzte Generation sei, die noch etwas gegen die Klimakrise unternehmen könne. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und zivilem Ungehorsam versuchen die Mitglieder auf die drohende Klimakatastrophe aufmerksam zu machen. Die letzte Generation will mit ihren Aktionen im Vergleich zu Fridays For Future Aufmerksamkeit generieren.

„Unser Ziel ist, dass die Regierung endlich handelt. Die Emissionen müssen gesenkt und die Warnungen aus der Wissenschaft ernstgenommen werden“, sagt Florian Wagner, Aktivist der letzten Generation. Aktivisten fordern ein Tempolimit von 100 km/h auf der Autobahn. Dadurch könnten laut Wagner jährlich 64 Tausend Tonnen CO2 gespart werden. Damit haben sie es auch in den politischen Diskurs geschafft - Zahlreiche Organisationen, Verkehrsinstitute und Umwelt-NGOs haben das Thema bereits aufgenommen und die Forderung gar ergänzt: mit 80 km/h Überland und 30 km/h Innerstädtisch.

Die neuen Klimaaktivisten: Von „Fridays for Future“ bis zur „Letzten Generation“

Florian Wagner, Aktivist der „Letzten Generation“

Zudem fordern die Umweltschützer einen Stopp aller neuen Öl- und Gasbohrungen in Österreich. Laut Wagner reiche das jedoch nicht, um die Emissionen ausreichend zu reduzieren. Es wäre aber ein erster Schritt, der zeigt, dass guter Wille da ist.

Fakten zum Klimawandel

Österreich ist aufgrund seiner Lage besonders stark vom Klimawandel betroffen. Zusätzlich verstärkt wird die Erderwärmung durch Treibhausgase, die hauptsächlich durch Produktion, Energiegewinnung oder Verkehr verursacht werden. Im Jahr 2021 wurden 77,5 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid emittiert – das entspricht einem Rückgang um 1,9% gegenüber dem Vorjahr und einer Zunahme von 4,9% im Vergleich zu 2020. Die CO2- intensivste Branche der österreichischen Klimabilanz ist die Eisen und Stahlindustrie mit 12,7 Millionen Tonnen CO2, gefolgt von der Energie- und Wärmeerzeugung. An dritter Stelle folgt die OMV-Erdölraffinerie in Schwechat: 2,75 Millionen Tonnen CO2 werden in die Luft emittiert. Auch die Fernreisen und die dadurch entstehenden Treibhausgase boomen: Mehr Menschen denn je sind weltweit unterwegs, leider wird bei der Anreise der ökologische Aspekt oft übersehen.  

Verkehrschaos als Ziel

Die bekannteste Protestform der Letzten Generation ist die Straßenblockade. Dabei kleben sich Aktivisten demonstrativ auf die Fahrbahn und verursachen so eine Störung des Verkehrs. „Es gibt eine ganze Palette weiterer Proteste, bei denen wir immer wieder etwas Neues probieren“, erklärt Wagner. „Vor kurzem ist der sogenannte Slow Marsh dazugekommen. Wir gehen bei grün auf die Zebrastreifen, ziehen uns die Warnwesten an, rollen die Banner aus. Sobald die Autos grün bekommen, marschieren wir sehr langsam im Schneckentempo los.“ Dies sei eine niederschwelligere Protestform. Eine Alternative für jene, die Angst haben, sich festzukleben. Die rechtlichen Konsequenzen sind geringer, auch die Aggressionen der Verkehrsteilnehmer halten sich in Grenzen.

Globale Zusammenarbeit

Während die Gruppe intern hauptsächlich auf Plattformen wie SMUG und Trello kommuniziert, ist sie dennoch international gut vernetzt. Laut eigenen Angaben ist die Letzte Generation Teil des 2022 gegründeten Netzwerkes A22, einem Zusammenschluss systemkritischer Umweltorganisationen. „Durch dieses Netzwerk lernen wir sehr viel von anderen Organisationen“, sagt Wagner.

Mediale und internationale Aufmerksamkeit konnte die Organisation vor allem im November 2022 erregen, nachdem Aktivisten im Wiener Leopold Museum das Gemälde „Leben und Tod“ von Gustav Klimt mit schwarzer Farbe überschütteten. Ein weiterer Aktivist klebte sich zudem an dem Kunstwerk fest, beschädigt wurde es dadurch jedoch nicht. „Die skandalösesten Aktionen waren jedenfalls jene in den Museen. Diese haben für sehr lange und starke Debatten gesorgt“, so der Aktivist.

„Wir versuchen nicht, eine Vision aufzubauen und auch nicht aufzuklären. Wir versuchen nur die Leute zu stören, damit sie nicht weiterverdrängen, was die Wissenschaft schon seit Jahrzehnten kommuniziert. Wir wollen die Klimakrise unignorierbar machen“, so Wagner.

Klimaschutz als großes Anliegen für alle

Nicht nur die junge Generation setzt sich gegen die Klimakrise und für mehr Klimaschutz ein. „Ich möchte, dass meine Kinder eine sichere und lebenswerte Zukunft haben. Deshalb sitz ich hier. Das ist das Letzte, was ich noch tun kann. Ich weiß mir nicht anders zu helfen“, sagt etwa eine protestierende Mutter in Wien. Nicht überall trifft die Letzte Generation auf so viel Verständnis.

AUSTRIA-CLIMATE-PROTEST

Aktivistin Anja Windl bei einer Demonstration in Wien, 3. Mai 2023. 

Aktivisten angespuckt und weggezerrt

„Leider sind wir heute schon angespuckt worden. Das war nicht sehr fein“, sagt die Aktivistin. Das nimmt sich die Mutter jedoch nicht zu Herzen: „Ich denke, das war ein Angriff gegen die Aktion. Mir ist klar, dass unsere Aktionen sehr polarisieren. Ich nehme es nicht persönlich, die Menschen kennen mich ja nicht.“

Nicht nur die Protestaktionen stehen in Kritik. Erst kürzlich haben Behörden der gebürtig deutschen Klima-Aktivistin Anja Windl mit der Abschiebung in ihr Heimatland gedroht. Die 26-jährige Psychologiestudentin wurde in Österreich als Gesicht der „Klima-Shakira“ das Gesicht der Klimabewegung. Viele sind sich einig: Die Aktivistin sei wohl nur in Österreich, weil hier geringere Strafen für derartige Aktionen drohen als in Deutschland.

Um die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten und im Ernstfall einzugreifen, ist bei den Klebeprotesten die Polizei vor Ort. „Wir sind bemüht, sowohl mit den Versammlungsteilnehmern als auch mit der allgemeinen Bevölkerung ein gutes Einvernehmen zu haben. Wir schreiten da ein, wo es nötig ist“, so ein Polizeisprecher.

Spaltet die Letzte Generation die Gesellschaft?

Zwar verfolgen die beiden Klimaschutzbewegungen Fridays For Future und Letzte Generation ähnliche Ziele, die jeweiligen Protestformen unterscheiden sich jedoch stark voneinander. Nach den massiven Verkehrsstörungen durch die Proteste im Juni hagelte es Kritik, nachdem Aktivisten der Letzten Generation den Verkehr in Berlin an mehr als 30 Stellen blockierten. Etwa 200 Demonstranten wurden festgenommen, 500 Polizisten waren im Einsatz. Nach Angaben von Berlins Innensenatorin standen durch die Blockaden 17 Rettungswagen im Stau.

Infolgedessen warf FFF-Sprecherin Annika Rittmann der Letzten Generation vor, letztere würde Leute gegeneinander aufbringen und somit die Gesellschaft spalten. Die Klimakrise brauche gesamtgesellschaftliche Lösungen, hieß es kritisch in Richtung der Letzten Generation. Außerdem sei beim Kampf gegen die Klimakrise der gesellschaftliche Konsens erforderlich.

In einem Podcast erklärt Mirjam Griebler von der Letzten Generation: „Die Themen, die Österreich und Deutschland betreffen, werden sehr oft vermischt. Der Vorfall hat sich in Deutschland ereignet. In Österreich ist die Lage anders.“ Die beiden Organisation hegen in Österreich hingegen einen friedlichen und respektvollen Umgang.

Robin Foods: Eine etwas andere Art von Protest 

Eine ganz andere Form des Protests haben Josef Etzelsberger und seine Mitstreiter für sich entdeckt. Subversiver, weniger aufmerksamkeitshaschend, graben sie im Mülltonnen nach noch genießbaren Lebensmitteln. “Robin Foods” nennen sie ihren Verein – und auch sie betrachten sich als Aktivisten.

Rund ein Drittel der produzierten Lebensmittel weltweit landet im Müll. Die ökosoziale und gemeinnützige Initiative „Robin Foods“ hat sich zum Ziel gesetzt, jene Lebensmittel zu retten. Ins Leben gerufen wurde die Organisation von Josef Etzelsberger und David Sonnenbaum. Dem Sinnbild des Namensgebers Robin Hood entsprechen auch die Aktivitäten der Protestierenden: Lebensmittel retten, verschenken oder verkochen.

Etzelsberger wurde bereits durch sein Engagement bei der LobauBleibt-Bewegung im Sommer 2022 bekannt. Der Protest zum Schutz des Klimas war ein Erfolg – die geplante Autobahn wurde nicht gebaut.

Eine zweite Chance für Lebensmittel

„Dumpstern“ bedeutet Mülltauchen. Diesen Begriff hört Vinko, Aktivist der Bewegung „Robin Foods“ jedoch ungern: „Die Lebensmittel, die wir holen, sind kein Müll. Sie sind oft nicht einmal abgelaufen. Manchmal wurde einfach nur die Kühlkette unterbrochen und deshalb müssen die Lebensmittelgeschäfte gute Produkte wegschmeißen.“

Die neuen Klimaaktivisten: Von „Fridays for Future“ bis zur „Letzten Generation“

Aktivist Vinko beim "Dumpster Diving" in einer frei zugänglichen Mülltonne in Wien, 4.5.2023 

Im Grunde ist Dumpstern ganz einfach: Nach Sperrstunde werden die frei zugänglichen Müllcontainer von Supermärkten durchforstet, wiederverwertbare Produkte aussortiert. Die meisten Mülltaucher sind in der Nacht unterwegs, um unbemerkt zu bleiben. Es gibt jedoch einen Haken an der Sache. Denn in Österreich gilt das Fischen von Lebensmitteln aus Mülleimern teilweise als Diebstahl.

Rechtliche Situation

Bei frei zugänglichen Müllcontainern ist das Dumpstern in der Regel unproblematisch. Im Falle einer Anzeige ist nicht mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen.

Muss man sich jedoch erst Zugang beschaffen, etwa durch Aufbrechen, fällt das unter den Tatbestand des Einbruchs – das ist auf alle Fälle strafbar. Für das Dumpstern per se gibt es keine eigenen Strafbestimmungen. Anzeigen können jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Ob Fridays For Future, Letzte Generation oder Robin Foods: Sie alle setzen sich für Klimagerechtigkeit ein und kämpfen für ihre Grundrechte. Eines ist jedoch klar: Klimaschutz ist nicht nur eine Angelegenheit für Politik und Wirtschaft, sondern auch eine Frage des persönlichen Lebensstils, sind sich alle befragten Aktivisten einig. Produkte recyclen, Bio kaufen, Einweg-Produkte vermeiden – jede Privatperson kann im Alltag selbst gegen den Klimawandel vorgehen.

Mit Blick auf die CO2-Emissionen ist China neben den USA und Russland der größte Produzent der Welt: der Anteil an den weltweiten Treibhausgas-Emissionen liegt hier aktuell bei 32,9% - das entspricht etwa 14,3 Milliarden Tonnen CO2. Die in China emittierten Treibhausgase haben sich seit dem Jahr 1990 etwa um 380% erhöht. Eine deutliche Besserung hingegen ist in Deutschland sichtbar: Laut aktuellen Zahlen des Umweltbundesamtes sind Treibhausgasemissionen um 1,9% gesunken. Das entspricht einer Senkung von etwa 15 Millionen Tonnen CO2 gegenüber dem Vorjahr.  

Fakt ist: China will erst im Jahr 2060 klimaneutral werden, Deutschland bereits im Jahr 2045. Laut eigenen Ankündigungen der chinesischen Regierung wird das Land in den kommenden Jahren voraussichtlich mehr Treibhausgase verursachen. Der Höhepunkt soll am Ende des Jahrzehnts erreicht werden. Zugleich baut das Land mit 1,4 Millionen Einwohner die erneuerbaren Energien aus, um ab 2030 den Anteil der Kohle zurückzufahren.