Ein großes Tabu: Stuhlinkontinenz

Bis zu zehn Prozent der Bevölkerung sind von Stuhlinkontinenz betroffen.
Ingrid Haunold, Chirurgin, Abt. für Chirurgie im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Wien; Vorstandsmitglied der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich.

Wie viele Menschen sind von Stuhlinkontinenz betroffen?

Ein großes Tabu: Stuhlinkontinenz
Ingrid Haunold, Oberärztin, Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern

Die Dunkelziffer dürfte bei rund zehn Prozent der Bevölkerung liegen, wobei von zehn Betroffenen neun Frauen sind. Häufig kommt es bei Schwangerschaften und Geburten zu einem unbemerkten Riss des äußeren Schließmuskel, der mit der Bildung von Narbengewebe verheilt und dadurch an diesen Stellen nicht mehr funktionsfähig ist. Oft können andere Muskeln des Beckenbodens diese Beeinträchtigung des Schließmuskels sehr lange – 20, 30 Jahre – kompensieren. Gelingt das nicht mehr, kann es zu unfreiwilligem Verlust von Darminhalt (Stuhl oder Wind) – mit und ohne vorherigem Stuhldrang – kommen. Auch Operationen im kleinen Becken – z. B. bei Darmkrebs – oder Strahlentherapie können ein Auslöser sein.

Trauen sich die Betroffenen, mit Ärzten darüber offen zu reden?

Nicht immer, und auch Ärzten fällt es oft schwer. Viele Betroffene ziehen sich zurück und glauben, die Entwicklung sei schicksalshaft – das stimmt aber nicht. Hier sind noch viel Aufklärungsarbeit und Enttabuisierung notwendig.

Welche Behandlungsmethoden gibt es?

An erster Stelle stehen Beckenbodentraining und Physiotherapie. Mit spezieller Ernährung und Medikamenten kann man den Stuhl festigen. Mit Hilfe von Kohlensäurezäpfchen und Einlaufsystemen kann man den Darm gezielt entleeren. Dadurch wird unwillkürlicher Stuhlabgang verhindert, wenn man unterwegs ist. Bei leichter und mittlerer Stuhlinkontinenz kann man auch rund um den Schließmuskel spezielle Substanzen einspritzen ("bulking agent"), die ihn aufpolstern und so den Mastdarm abdichten.

Welche Operationsmethoden gibt es?

Man kann die Funktion des Schließmuskels vielfach wiederherstellen, wenn man die Muskelstümpfe, die durch Narbengewebe unterbrochen sind, frei präpariert und überlappend neu vernäht (Sphincter repair). Ein zweites Verfahren ist die sakrale Neuromodulation (SNM). In einem ersten Schritt werden im Sakralbereich (unter halb der Lendenwirbelsäule) die Nerven, die für den Schließmuskel verantwortlich sind, gereizt. Reagiert der Muskel, zieht er sich zusammen, werden an den Nervenwurzeln Elektroden platziert. Diese werden mit einem batteriebetriebenen Schrittmacher verbunden, der unter der Haut eingesetzt wird. Er gibt elektrische Impulse an die Elektroden ab, dadurch kontrahiert der Muskel und dichtet ab. In 80 Prozent der Fälle kann die Stuhlinkontinenz damit verbessert werden.

Vom 22. bis 28. 6. findet die Welt Kontinenz Woche mit zahlreichen Veranstaltungen für Betroffene in ganz Österreich statt. Eine Termin-Übersicht und nähere Informationen zum Thema allgemein: www.inkontinenz.at.

OA Dr. Haunold am Tel. (01/526 57 60): Mi., 24. 6., 16 bis 17 Uhr. Anfragen per eMail: gesundheitscoach@kurier.at

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