"Eine große schmerzhafte Verlusterfahrung"

Angehörige psychisch Erkrankter stehen ihrer Situation zumeist hilflos gegenüber. Hinzu kommen Gefühle wie Scham, Schuld und Ohnmacht.

Ich sehe Gregor als meinen Bruder, der krank ist. Damit verbunden ist eine unglaublich große Verlusterfahrung, die mir manchmal sehr schmerzhaft bewusst wird", erzählt die 35-jährige Lisa K. über ihren an Schizophrenie erkrankten gleichaltrigen Bruder. Die Belastung von Eltern und Ehepartner psychisch Erkrankter ist gesellschaftlich weitestgehend akzeptiert. Die Schwierigkeiten von Geschwistern hingegen weniger. Einer Publikation des "Bezirksklinikum Regensburg" zufolge zählen Geschwister zu den "vergessenen Angehörigen". "Eine Schwester bzw. ein Bruder zu sein" wird fälschlicherweise häufig mit "nicht direkt betroffen sein bzw. außen vor zu sein" assoziiert, heißt es in dem Bericht.

Das bestätigt Lisa im Gespräch mit KURIER.at: "Es war schwierig für mich, mir zu erlauben, klare Grenzen zu ziehen. Als die Krankheit ausgebrochen ist, war ich selber Anfang 20. Am Beginn, mir ein eigenes Leben aufzubauen. Jegliche Verantwortungsübernahmen für andere haben mich sehr überfordert (…) Meine Eltern hingegen fanden es ungehörig, dass ich mich stark abgrenze und die Krankheit quasi nicht auch zu meiner eigenen mache. Hier die Grenzen zueinander zu finden, hat lange gedauert und war ein sehr konfliktreicher - und schließlich von Therapeuten und Therapeutinnen begleiteter Prozess."

Angehörige psychisch Erkrankter erleben ihre Situation als ausweglos. Der Umgang mit dem Patienten ist an sich schon schwierig, hinzu kommen Gefühle wie Scham, Schuld und Ohnmacht. Aus all diesen Faktoren resultiert eine Hilflosigkeit, die innerhalb der Familienstrukturen kaum aufzulösen ist. Nur ein kleiner Teil aller Patienten werden über einen längeren Zeitraum professionell betreut. In den meisten Fällen sind die Angehörigen die wichtigsten Bezugspersonen. Für Eltern, Geschwister aber auch Freunde ist das je nach Schweregrad der Erkrankung kaum bewältigbar. Was ist das Resultat? Die Angehörigen sind überfordert. Hilfe von Außen für die Familien ist deshalb unerlässlich und auch notwendige Bedingung zur Besserung der Situation alles Beteiligten. Hinzu kommen finanzielle Probleme, der "kranke Sohn" wird im schlimmsten Fall als Belastung gesehen. Nachbarn und Bekannte stehen der Situation mit Unverständnis gegenüber. Gleichzeitig wird von den Angehörigen verlangt, die nötige Distanz zum Erkrankten zu halten, was eine Forderung ist, die kaum zu erfüllen ist. Distanz der eigenen Schwester, dem eigenen Bruder gegenüber? Schwer zumutbar.

Lisa suchte Unterstützung bei der HPE ("Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter") und schaffte den Weg aus ihrer Ohnmacht: "Irgendwie habe ich mich auch gefragt, wie denn andere Geschwister mit solchen Situationen umgehen. Und da hab ich bei der HPE eine Geschwistergruppe gefunden. Ich hab mich in meiner abgrenzenden Haltung sehr bestätigt gefühlt. Als hätte mir nach Jahren das Leben gezeigt, dass ich vieles richtig gemacht habe im Umgang mit dem Ganzen".

Der Verein HPE ist eine Vereinigung von Angehörigen und Freunden psychisch Erkrankter. Die HPE ist in allen Bundesländern aktiv und stellt sich als Hauptaufgabe, die Lebensqualität der Angehörigen psychisch Erkrankter zu verbessern. Zu den Angeboten der HPE zählen unter anderem Beratungen, Gruppentreffen, Informationsveranstaltungen und -materialen, Tagungen und Seminare.Praktische Tipps gibt auch die "Österreichische Schizophrenie Gesellschaft": - Familienmitglieder sind nicht an der Entstehung der Schizophrenie schuld. Lassen Sie sich nicht von anderen ein schlechtes Gewissen machen! - Vergessen Sie nicht auf Ihre eigenen Bedürfnisse. Mit Ausnahme von Akutsituationen soll sich nicht alles um die Krankheit drehen. - Medikamente und Psychotherapie können Rückfälle vermeiden. Für die meisten Kranken sind beide Formen der Behandlung wichtig. Medikamente können aber nicht durch Psychotherapie ersetzt werden - und umgekehrt. - Wenn Sie als Angehöriger eine Behandlung für nötig halten, sagen Sie das dem Kranken auf ruhige, aber klare Art. Nehmen Sie den Kranken und seine Einschätzungen ernst, aber teilen Sie ihm Ihre Ansichten und Überlegungen mit.

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