Zu Besuch bei einer slowakischen Personenbetreuerin

Zu Besuch bei einer slowakischen Personenbetreuerin
Homestory. Iveta Chovancová ist eine von 40.000 slowakischen Personenbetreuern, die in Österreich arbeiten.
Von Uwe Mauch

Heute heißt es wieder einmal Abschied nehmen. Iveta Chovancová hat ihren Koffer bereits gepackt. Und eingekauft. Um ihren beiden Enkelkindern noch ein feines Mittagessen vor ihrer Abreise zu kochen. Der Taxifahrer hat bereits angerufen, er wird gegen Mitternacht bei ihr in Brezno eintreffen.

Brezno ist eine beschauliche Provinzstadt in der Mittelslowakei, am Fuße der Niederen Tatra, drei Autostunden östlich der boomenden Region rund um Bratislava. Die kleine Stadt ist mehr lieblich als heruntergekommen. Ihre 21.000 Bewohner leiden nicht an Hunger, sie haben jedoch schon bessere Zeiten erlebt. Wer Arbeit hat, verdient im besten Fall nicht viel mehr als 500 Euro. Dabei kostet ein Liter Milch so viel wie in Österreich, und der Liter Benzin sogar mehr. Viele Breznover haben daher ihrer Heimat den Rücken gekehrt.

Zu Besuch bei einer slowakischen Personenbetreuerin

Die Arbeit ruft

„Abschied tut immer weh“, eröffnet Frau Chovancová. Die diplomierte Krankenschwester nimmt seit Oktober 2004 alle 14 Tage Abschied: von ihrem Mann, von ihren Kindern und von ihrem Haus, das sie ohne Kredit aufgebaut hat.

Gerne würde sie sich mehr um ihre Enkelkinder und ihren Garten kümmern. Aber auf sie wartet eine 94-jährige Frau im Salzkammergut, die seit zehn Jahren im Wachkoma liegt und rund um die Uhr betreut und gepflegt werden muss.

Warum die heute 58-Jährige eine Arbeit im Ausland angenommen hat, lässt sich mit zwei Kennzahlen bzw. dem europäischen Einkommensgefälle anschaulich erklären: Im Krankenhaus in Brezno hat sie zum Zeitpunkt des EU-Beitritts der Slowakei (2004) gerade einmal 250 Euro verdient, zwölf Mal pro Jahr. In Österreich verdient sie heute wie damals gleich vier Mal so viel, für 14 Tage, allerdings permanente Betreuung.

Froh ist die Mutter von zwei erwachsenen Töchtern, dass ihr Mann seit bald vierzig Jahren einen verlässlichen Ehepartner gibt. Der auch nicht eifersüchtig ist, dass er als langjähriger Finanzbeamter deutlich weniger verdient. Das ist nicht selbstverständlich, weiß Iveta Chovancová nur zu gut: „Viele Frauen, die zum Arbeiten ins Ausland fahren, sind heute geschieden.“

Die Betreuung einer Wachkoma-Patientin erfordert Aufmerksamkeit rund um die Uhr. Auch die An- und Abreise ist beschwerlich: Sie erfolgt über einen legendären Autobahn-Parkplatz bei Bratislava. Aus der Sicht der Mitfahrerin ist der ein großer Bahnhof: „Um halb drei Uhr in der Früh kommen dort 50, 60 Taxis an, wir steigen von einem rasch in ein anderes Auto um, und nach einer halben Stunde ist der ganze Spuk wieder vorbei.“

Mit 62 kann die Personenbetreuerin in der Slowakei in Pension gehen. Solange möchte sie noch arbeiten. Das ist nachvollziehbar: „Alles zusammen werde ich nicht mehr als 350 Euro Pension bekommen. Das wird nicht reichen, um meine Kinder weiter zu unterstützen.“

PS: Krankenschwestern können heute 600 Euro in Brezno verdienen. Die Motivation, im Ausland zu arbeiten, sinkt. Auch deshalb konzentrieren sich die Agenturen heute auf den rumänischen Arbeitsmarkt.

Vom alten Schlag

In ihrem Kaminofen lodert ein Feuer, das mit der Leidenschaft für ihren Beruf vergleichbar ist: „Ich bin noch vom alten Schlag“, sagt Iveta Chovancová. „Für mich ist meine Arbeit auch eine Herzensangelegenheit.“ Die muss es wohl auch sein. Sie hat viel erlebt, drüben in Österreich: Trauriges, Berührendes, Anstrengendes, mit fremden Menschen Tröstliches sowie Verbindendes, immer wieder auch Widerwärtiges. Eine Patientin hat sie nach ihrem Schlaganfall „Hure“ geschimpft („Ich wusste damals gar nicht, was eine Hure ist, musste erst im Wörterbuch nachlesen“).

Angehörige von Patienten haben sie wiederum regelmäßig mit ihrer persönlichen Dienerin verwechselt.

Die Krankenschwester will nichts Schlechtes sagen. Doch die Frage, ob wir ihr und ihrer Kollegenschaft mehr Wertschätzung entgegenbringen sollten, bejaht sie dann doch.

„Den Kamin“, erzählt die Grenzgängerin freudestrahlend dann, „konnten wir mit meinem ersten in Österreich Verdienten kaufen. Schön ist, dass ich nicht jeden Euro viermal umdrehen muss, sondern nur zweimal.“

Zu Besuch bei einer slowakischen Personenbetreuerin

Froh ist die Mutter von zwei erwachsenen Töchtern, dass ihr Mann seit bald vierzig Jahren einen verlässlichen Ehepartner gibt. Der auch nicht eifersüchtig ist, dass er als langjähriger Finanzbeamter  deutlich weniger verdient. Das ist nicht selbstverständlich, weiß Iveta Chovancová nur zu gut: „Viele Frauen, die zum Arbeiten ins Ausland fahren, sind heute geschieden.“

Die Betreuung einer Wachkoma-Patientin erfordert Aufmerksamkeit rund um die Uhr. Auch die An- und Abreise ist beschwerlich: Sie erfolgt über einen legendären Autobahn-Parkplatz bei Bratislava. Aus der Sicht der Mitfahrerin ist der ein großer Bahnhof: „Um halb drei Uhr in der Früh kommen dort 50, 60 Taxis an, wir steigen von einem rasch in ein anderes Auto um, und nach einer halben Stunde ist der ganze Spuk wieder vorbei.“

Mit 62 kann die Personenbetreuerin in der Slowakei in Pension gehen. Solange möchte sie noch arbeiten. Das ist nachvollziehbar: „Alles zusammen werde ich nicht mehr als 350 Euro Pension bekommen. Das wird nicht reichen, um meine Kinder weiter zu unterstützen.“

PS: Krankenschwestern können heute 600 Euro in Brezno verdienen. Die Motivation, im Ausland zu arbeiten, sinkt. Auch deshalb konzentrieren sich die Agenturen heute auf den rumänischen Arbeitsmarkt.

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