Pflegeheim: Klage einer Helferin kostet 2 Millionen Euro jährlich
Die Klage einer Heimhilfe kostet das Kuratorium Wiener Pensionistenwohnhäuser zwei Millionen Euro. Jährlich. Denn der Gang der Frau zum Arbeitsgericht hat auch Auswirkungen auf 467 weitere Mitarbeiter – obwohl kein Urteil gefällt wurde. Den Heimhilfen und Fachsozialbetreuern steht seit Mai eine Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulage (SEG) zu. Ein Fall, der einen Schneeballeffekt auslösen könnte – auch Heimhilfen einer Einrichtung in Niederösterreich bereiten eine entsprechende Klage vor (siehe Zusatzgeschichte unten, Anm.).
Allein mit 16 Kranken
Tatjana M. (Name geändert, Anm.) arbeitete als Heimhilfe in einem der Wiener Pensionisten-Wohnhäuser. Dort betreute sie Demenzkranke – in Gruppen bis zu 16 Personen. „Ich war sehr oft alleine. Wenn ich aufs Klo musste, mussten die anderen Bewohner allein bleiben“, erinnert sie sich. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Medikamente auszuteilen, die Bewohner aus ihren Zimmern zu holen, ihnen das Essen vorzubereiten, aufzupassen, dass sie nicht weglaufen. Und sie zu waschen. „Es gab Verschmutzungen von Boden und Wänden mit Exkrementen und Urin.“ Zwar gab es einen professionellen Reinigungsdienst – doch der war oft überlastet.
Die Krankheit sorgte auch dafür, dass manche Patienten aggressiv wurden, manchmal sogar übergriffig. Auch das erlebte Tatjana M. Eine Ausbildung, wie sie in solchen Situationen reagieren soll, bekam sie laut eigenen Angaben nur am Rande. „Die Schulung hat ein paar Stunden gedauert.“
Dennoch bekam die 51-Jährige keine SEG-Zulage. Die stand nämlich nur diplomiertem Personal zu. Warum? „Weil die in Notsituationen Abschätzungen machen müssen und Planungen, weil sie das gesamte Setting der Pflege im Auge behalten müssen und einteilen müssen, was andere Berufsgruppen machen“, erklärte die Direktorin vor dem Richter. Oder wie es Pressesprecher Horst Harlacher jetzt erklärt: Zu Beginn habe es nur überschaubare Nachfrage gegeben – das hat sich im Lauf der Jahre geändert. Und somit auch die Anforderung.
Tatjana M. liebte den Job. Mit ihrer ehemaligen Kollegin Johanna Annerl verfasste sie ein Schreiben an die Geschäftsleitung. „Wir haben über die Überlastung informiert und mitgeteilt, dass Heimhilfen mit bis zu 16 demenzkranken Bewohnern alleingelassen werden“, schildert Annerl. Die Antwort ernüchterte die Frauen: „Alles wurde vehement zurückgewiesen.“
Burn-out
Tatjana M. schlitterte ins Burn-out. Und suchte Hilfe bei der Arbeiterkammer.
„Eigentlich ging es nur um 729 Euro plus Zinsen – so viel hätte ihre SEG-Zulage ausgemacht“, schildert Walter Waiss. Er ist selbst Gewerkschafter und in der Arbeiterkammer tätig. Angebotene Ausgleichszahlungen hätte Tatjana M. abgelehnt. „Es ging ihr ums Prinzip und Anerkennung für die Berufsgruppe, nicht um das Geld.“
Vor dem zweiten Verhandlungstermin lenkte das Kuratorium ein. Die Zulagen werden jetzt gezahlt, das Unternehmen wendet dafür jährlich über zwei Millionen Euro auf. „Dieser Schritt war ohnehin schon geplant. Den Prozess haben wir als Anlass gesehen, das Ganze umzusetzen“, sagt Kuratorium-Sprecher Harlacher.
Für Gewerkschafter Waiss ist das ein Erfolg. Wenn er auch gerne den Prozess durchgefochten hätte. „Ein Urteil wäre richtungsweisend gewesen.“ Ein solches könnte nun in Niederösterreich folgen.
NÖ: Krisenhelfer könnten mit Klage gegen Arbeitgeber vorgehen
Ein Auffangnetz für Menschen in Krisensituationen hat die Emmausgemeinschaft St. Pölten geschaffen. Mehr als 300 Menschen, die ihre Jobs und Wohnungen verloren haben, werden hier betreut.
Die Helfer in den Notschlafstellen und Zentren haben keine einfache Arbeit. Sie sind nicht nur mit Tragödien, sondern immer wieder auch mit Verwahrlosung konfrontiert. Bereits im Herbst 2017 wandten sie sich an den Betriebsrat. Auch in diesem Fall ging es um die Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulage. „Es haben in dieser Angelegenheit Gespräche mit der Geschäftsführung der Emmausgemeinschaft stattgefunden“, berichtet Sprecher Christian Veith. Zu einer Einigung sei es bis dato aber nicht gekommen.
Auch die Gewerkschaft (GPA) beschäftigt sich mittlerweile mit der Causa. Allerdings will man sich zu dem Fall nicht äußern, weil es sich um ein „laufendes Verfahren“ handle. Ob die Mitarbeiter der Emmausgemeinschaft Klage einbringen werden, steht noch nicht fest. „Wir setzen weiter auf Gespräche“, sagt Veith.
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