Sie hat den Holocaust überlebt - und lacht

Zeitzeugin: Greta Klingsberg ist für ein Späßchen zwischendurch immer zu haben.
Die Exil-Wienerin Greta Klingsberg wird in ihrer Heimat ausgezeichnet. Ein Porträt.
Von Uwe Mauch

Das Hotel Stefanie in der Taborstraße, auf der einst so vertrauten Wiener Mazzesinsel. Greta Klingsberg sitzt in der Lobby und lacht. Wieder einmal. Wieder einmal über sich. Dann sagt sie zum Fotograf mit einem Augenzwinkern: "Wissen Sie, ich bin so, wie ich bin. Das ist alles natürlich. Ich verwende auch keinen Lippenstift. Nur bei meinen Haaren bin ich eitel."

Sie hat den Holocaust überlebt - und lacht
Die Zeitzeugin und Überlebende des Holocaust Greta Klingsberg im Interview am 28.09.2015 in Wien
Aber das müsse man verstehen: "Wir waren damals 14, 15 Jahre alt und wollten auch alle schön sein, doch die haben uns in Auschwitz die Haare geschoren. Da haben wir uns eines geschworen: dass wir nie im Leben so werden wollen wie sie."

Mit einer Leichtigkeit, die betroffen macht und begeistert, surft die 86-jährige Exil-Wienerin durch ihr Leben. Sich selbst nicht so ernst nehmen, erläutert sie, das sei vielleicht die wichtigste Medizin gewesen, um den Terror als Kind zu überleben.

Heute, Mittwoch, wird im Beisein von Greta Klingsberg der Dokumentarfilm "Mut zum Leben" gezeigt, in dem auch sie zu sehen ist. Morgen wird sie zum Ehrenmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung ernannt. Am Sonntag wird sie heim nach Jerusalem fliegen. Doch ihr Auftritt wird in Wien noch länger nachwirken.

Rettung der Mutter

Mit neun ist sie zum ersten Mal Hitlers Mördertrupps entkommen. Das war 1938. Gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer um ein Jahr jüngeren Schwester Trude ist sie von Wien weg. Zu Fuß. So wie syrische Flüchtlinge heute.

Ihre Mutter hat ihr später anvertraut, dass sie ihr das Leben verdankt: "Die Felder an der Grenze zur Tschechoslowakei waren vom Regen aufgeweicht. Sie war müde, wollte zurück. Doch da soll ich gesagt haben, dass wir jetzt, wo wir schon so weit waren, das letzte Stück auch noch schaffen würden."

Auch damals gingen Männer und Frauen getrennte Fluchtwege. Auch damals gab es Menschen, die Flüchtlingen weiterhalfen. Ihrem Vater und ihrer Mutter gelang später die Flucht nach Palästina, die beiden Schwestern sollten schnell nachkommen. Doch da marschierten die Nazis auch in Brünn ein.

Ihre Schwester, der Großteil ihrer Familie und viele Freunde haben den Holocaust nicht überlebt. Auch der von ihr so verehrte Komponist Hans Krása wurde in einem KZ ermordet.

Wie sie es geschafft hat, am Leben zu bleiben, wird Greta Klingsberg gefragt. Eine Frage, die sie nicht beantworten kann. Als Kind sei das Überleben für sie noch keine Kategorie gewesen. Dafür kann sie genau erzählen, wie sie im Lager-Getto Theresienstadt in Krásas Kinderoper Bundibár mehr als 50-mal die Hauptrolle spielen durfte. Ihre Augen leuchten : "Auf der Bühne war ich einfach Aninka, konnte zur Schule gehen, mit Hund und Katze spielen, Eis essen und all das tun, was ich sonst nicht tun konnte."

In der Oper setzen sich am Ende die Kinder gegen den schier übermächtigen Leierspieler mit dem Schnauzbart durch. Ein Happy End, an das sich nicht nur die Kinder in Theresienstadt zu klammern versuchten. Wenn Greta Klingsberg heute vor Schülern spricht, sagt sie immer: "Ihr müsst nicht so sein wie andere, aber ihr solltet bereit sein, andere zu tolerieren. So könnt ihr das Böse überleben."

Ein Wiedersehen

Sie hat das Böse überlebt. In Theresienstadt. In Auschwitz, wo sie ihre Schwester zum letzten Mal sah. Auch im Außenlager Oederan.

Sie hat den Holocaust überlebt - und lacht
Zeitzeugin: Sie hat als Kind den Nazi-Terror überlebt – und sich das Lachen bewahrt
Nach dem Krieg traf sie ihre Eltern wieder. Was für ein Glück! Auch die Geschichte ihrer Eltern wiederholt sich in diesen Tagen: Sie waren Flüchtlinge, die es schwer hatten, sich in einem fremden Land mit fremder Sprache zurechtzufinden. Ihre Tochter konnte ihnen immerhin helfen: "Die Kräfteverhältnisse hatten sich verkehrt. Ich hatte mit 16 mehr erlebt als sie."

Im Hotel Stefanie erinnert die Zeitzeugin so manches an ihren ersten Wien-Besuch nach dem Krieg. 1959 war es, 21 Jahre nach ihrer Flucht aus ihrer Heimat: "Ich wollte sehen, wo meine Eltern einmal zu Hause waren und wo ich die ersten Jahre des Lebens verbracht habe."

Ihr Eindruck damals?

"Die Stadt war schön." Was sie jedoch vermisste, war die Herzlichkeit der Wiener. "Aber das lag wohl auch an mir. Ich war nicht entspannt, fragte mich bei jedem Menschen über 50, was er eventuell im Krieg getan hatte."

Die Flüchtlinge aus Syrien gehen auch ihr durch den Kopf. Auf die Frage, wie die Bilder der Kinder auf sie wirken, wiederholt sie sich: "Ihr müsst nicht so sein wie andere, aber ihr solltet bereit sein, andere zu tolerieren."

Langes Leben

Greta Klingsberg wurde am 11. September 1929 in Wien geboren. 1938 floh sie mit ihrer Familie nach Brünn, 1942 wurde sie von den Nazis nach Theresienstadt deportiert. Seit 1946 lebt sie in Israel. Legendär sind ihre Auftritte als Zeitzeugin.

Mut zum Leben

Die Österreichische Gesellschaft für Exilforschung lädt heute, Mittwoch, ins Metrokino, 1010 Wien, Johannesgasse 4. Dort wird im Beisein von Greta Klingsberg der Film Mut zum Leben gezeigt. Schulvorstellungen um 10 und 14 Uhr, Abendvorstellung um 19.30 Uhr. Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: 0699 / 109 33 411 bzw. office@exilforschung.at.

Auch wenn sie sagt, dass ihr Ehrungen persönlich nicht wichtig sind, wird sie wohl hingehen: Am Donnerstagabend wird der Exil-Wienerin Greta Klingsberg in der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde die Ehrenmitgliedschaft der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung (öge) verliehen.

Die öge ist laut ihrem Präsidenten Univ.-Prof. Fritz Hausjell ein Verein zur Erforschung von Themen wie Vertreibung, Flucht und Exil. Ihr Fokus liegt auf der Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus, der Schwerpunkt auf Österreich. Dabei sollen auch Bezüge zu Fragen von Asyl und Migration in der Gegenwart hergestellt werden.

Wer Ausschnitte von Hans Krásas’ Kinderoper Brundibár live erleben möchte, hat dazu am Mittwochabend Gelegenheit, und zwar im Rahmen der Konzertreihe „Musik in Theresienstadt 1941–45“ im MuTh Konzertsaal im Wiener Augarten. Zu hören sein werden auch andere Meisterwerke, die im Lager-Getto Theresienstadt geschrieben wurden. Auftreten wird das Georgische Kammerorchester Ingolstadt mit Ingrid Habermann und dem Wiener Mozart Knaben- und Mädchenchor.

Die Ausstellung „Komm mit nach Terezín“ ist indes noch bis Sonntag in der Aula der Akademie der bildenden Künste Wien zu sehen.

Berührend ist auch die Aktion der Wiener Historikerin und Psychotherapeutin Anna Wexberg-Kubesch. Sie hat 15.000 Karten herstellen lassen, die an die Karteikarten der NS-Schreibtischtäter erinnern. Auf jede Karte wurde ein Wort gestempelt: NEVER, FORGET bzw. WHY?.

Die Initiatorin der Kartenaktion erläutert: „Ich möchte mit den Karten auf die 15.000 Kinder und Jugendlichen aufmerksam machen, die durch die Hölle von Theresienstadt gehen mussten.“ Geschichte zum Angreifen, zum Berühren. Ihr Ziel : „Dass möglichst viele Karten eine persönliche Widmung erhalten.“ Mehr Infos hier.

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