Familie und Job geht nicht: Eltern basteln neue Modelle

Familie und Job geht nicht: Eltern basteln neue Modelle
Kaum jemand glaubt mehr an die „Alles geht“-Idee. Also suchen Mütter und Väter nach eigenen Lösungen.

Eltern auf der Karriereleiter, aber mit perfekter Bindung zum Kind. Beliebt bei der Familie und selbst dann ein Lächeln im Gesicht, wenn auf dem Weg zum Fußballtraining das Handy eingeht, die Leitung zum Büro abreißt, das Auto eine Panne hat und sich der Jüngste auf der Rückbank übergibt. Das postemanzipatorische Ideal ruft bei vielen nur mehr ein müdes Lächeln hervor. Kaum jemand glaubt noch an die „Alles kein Problem, wir müssen uns nur bemühen“-Vorgabe. Sie ist für viele kein Ziel mehr, sondern führt zur Erkenntnis: Ich will das so gar nicht. Und immer, wenn vorgegebene Rezepte nicht wirken, suchen sich Menschen eigene Wege. Der Rückzug auf die Kernfamilie ab den 1970er-Jahren hatte mit Urbanisierung zu tun, mit Konsumverlangen, mit der Emanzipation von der Elterngeneration. Unter den vielfältigen Problemen, die sich daraus ergaben, war das offensichtlichste die Kinderbetreuung. Viele wollen das Kind, das sie womöglich ohnehin schon spät bekommen haben, nicht gleich wieder wegorganisieren.

15 dichte Jahre

Längst betonen auch Soziologen, dass „Quality time“ als Pauschallösung nicht funktioniert, sie betrachten das Dilemma differenziert (Buchtipps unten). Besonders schwierig sind die 15 intensiven Jahre ab ungefähr 30, in denen Kindererziehung, Karrieresprünge und der Wunsch nach Spaß zusammenfallen. Lösungsansatz: Für diese Zeit Arbeitszeit und Einkommen runterfahren, bis die Kinder flügge werden. Zu soviel Flexibilität sind Wirtschaft und Politik aber nicht bereit. Also wurschteln alle Familien durch das eigene, und doch immer gleiche Chaos und zimmern individuelle Modelle. Die Überlegungen sind überall ähnlich: Was macht alle Familienmitglieder glücklich? Welche Möglichkeiten haben wir, von Oma bis Onkel bis Nachbar? Wie wichtig sind Geld und Job?
Viele dieser Modelle sind eine Rückbesinnung auf frühere Zeiten. Eine neue Rolle dabei spielen kinderlose Onkeln und Tanten, in der Familienforschung „Punks/Panks“ genannt (Professional Uncle/Aunt No Kids) und meinen eine moderne Symbiose: Die einen bleiben für die Karriere kinderlos, partizipieren aber stärker am Leben derer, die zugunsten der Familie auf die große Karriere verzichten. Und lösen so ab und zu den Betreuungsengpass. Prominentes Role Model: Die 42-jährige kinderlose Cameron Diaz nimmt immer wieder Nachmittage lang ihre drei Nichten.

Disziplin, Konsequenz und ein gutes Netzwerk sind nötig, wenn man Kind und Vollzeitjob unter einen Hut bringen möchte. Davon ist Irene Kloimüller überzeugt: "Da ich selbstständig bin, fällt es mir manchmal leichter, meine Termine so zu koordinieren, dass ich den Nachmittag mit meinem Sohn verbringe. Wenn ich bei ihm bin, dann konzentriere ich mich voll auf ihn, Hausarbeit und Job müssen dann liegen bleiben."

Gearbeitet wird oft am Abend – von 19 Uhr bis Mitternacht. "Dazu braucht es Disziplin." Und natürlich Freude an der Arbeit: "Ich wäre nicht glücklich, wenn ich die ganze Zeit Hausfrau und Mutter wäre."

Wenn es sich einrichten lässt, nimmt die Mutter den Zehnjährigen zu Veranstaltungen mit: "Das war noch nie ein Problem." Allerdings: "Das kann ich machen, weil ich nur ein Kind habe. Mit mehreren könnte ich das nicht." Ist Kloimüller am Abend oder am Wochenende auf Terminen, kümmern sich Papa, Oma oder Nachbarin um den Buben. "Ich geniere mich nicht anzurufen, wenn ich Hilfe brauche."

Viel Arbeit war Martina Antal-Barnert (38) immer gewohnt. Doppelstudium Internationale Betriebswirtschaft und Jus, doppeltes Doktorat, zehn Jahre in einer internationalen Wirtschaftskanzlei mit 60-Stunden-Wochen. Dann bekam die Wienerin zwei Kinder und eine neue Sicht der Dinge: "Jeder hat gesagt: Nach einem Jahr fällt dir zu Hause die Decke auf den Kopf. Aber das war nicht so. Im Gegenteil, jeden Tag mit den Kindern fand ich erfüllender als zwei Firmen zu fusionieren."

Die Kanzlei wollte sie wieder zurück: "Der Partner hat mir erzählt, dass unsere Londoner Anwältinnen Kinder und Babysitterin auf Dienstreisen mitnehmen. Sie verbringen Zeit zusammen und dann übernimmt die Babysitterin und die Mutter geht verhandeln. Da habe ich mir gedacht: Da habe ich lieber den Job der Babysitterin."

Also blieb sie zu Hause bei den Kindern. Heute geht die Größere nur vormittags in den Kindergarten. "Ich komme mir vor wie ein Alien: Nur 3 von 70 Kindern werden zu Mittag abgeholt." Sie könne die Kinder mehr genießen als Mütter, die Teil- oder Vollzeit im Jobeinsatz sind und "sich immer aufteilen müssen. Das verursacht den Stress."

In ihrer Auszeit machte sie sich Gedanken über Leben und Arbeit: "Ich will etwas für Kinder machen und meine brauchen mich ja nicht ewig voll zu Hause". Noch ein Jahr mit den Kleinen, dann hat die Leistungsgesellschaft sie wieder. In gewohnter Zielstrebigkeit hat sie den Aufnahmetest für Medizin absolviert: "Zuerst studiere ich sechs Jahre, dann sechs Jahre Facharzt und mit 50 möchte ich endlich meine eigene Kinderarztpraxis eröffnen."

Die Journalistin Birgit Kelle hat vier Kinder und sagt: "Es ist eine Illusion, dass sich Job und Kinder vereinbaren lassen." Wenn beide Eltern arbeiten, bedeute das für die ganze Familie Stress. Kelle selbst arbeitete einige Jahre kaum, als ihre Kinder klein waren.

Sie will sich aber nicht als "Heimchen am Herd" bezeichnen lassen. Ich entscheide mich bewusst für meine Lebensform." Natürlich falle ihr zu Hause manchmal die Decke auf den Kopf. "Aber auch ein Job ist nicht immer das süße Leben, wie uns vorgegaukelt wird." Kelle kämpft öffentlich dafür, dass die traditionelle Familie akzeptiert und vom Staat gefördert wird. Sie ist in Talkshows und Diskussionen Dauergast, um Müttern und Vätern, die zu Hause bleiben, eine Stimme zu geben. Sie kämpft vor allem für mehr Geld für kinderreiche Familien: "Wir geben Unsummen für Kinderbetreuung aus. Würde man den Familien nur einen Bruchteil dafür geben, käme es dem Staat billiger. Und die Familien müssten nicht befürchten, dass sie in die Armut kippen." Das Argument, dass manche dann nur wegen des Geldes Kinder bekommen, lässt sie nicht gelten: "Bei allen Sozialleistungen gibt es Missbrauch. Warum stört er uns hier?"

Den Wunsch nach einer größeren Wohnung nahmen Britta und Alexander Döring vor drei Jahren zum Anlass, an die Zukunft zu denken: Seine Mutter lebt in Mödling, ihre Eltern in Deutschland. Ausbildungen waren abgeschlossen, beide hatten Jobs in Wien, ein Kind war vorstellbar. Nach vielen Gesprächen und langem Nachdenken erschien die perfekte Lösung in Form eines einstöckigen Holzhauses mitten in Mödling. Das Erdgeschoß für Brittas Eltern, gemeinsam finanziert, Alexanders Mama in der Nähe. Kurz nach dem Einzug war Britta schwanger.

Matteo ist jetzt fast ein Jahr alt und alle sind glücklich: Brittas Eltern, beide in Pension, leben immer wieder für ein paar Wochen bei ihrer nach Österreich übersiedelten Tochter, Schwester Nora kann trotz Distanz Tante sein. Alexanders Mutter genießt die Oma-Zeit, wenn Termine oder Abendpläne anstehen. Es denken viele wie die Dörings: Großfamilie erleichtert die Kinderbetreuung nach der Karenz – flexibel, kostenlos. Sie schafft eine enge Bindung zu Enkel, Neffe oder Nichte. Eine moderne, aber seltene Variante sind Freunde, die eine gemeinsame Wohngegend suchen, bevor alle Kinder bekommen. Auch dieses Konzept hat Vorteile: gemeinsame Karenz-Tage und gegenseitige Kinderbetreuung nach dem Motto: "Bitte, nimm du meins vom Kindergarten mit, ich brauch’ noch im Büro!"

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