Wie Feminismus zum Verkaufsschlager wurde
Das Bild von Feministinnen als frustrierte Furien in lila Latzhosen, die Faust geballt und mit Haaren auf den Zähnen ist im Jahr 2016 endgültig passé. Denn Feminismus gilt plötzlich als angesagt. Diese Entwicklung, die mit dem Outing diverser Prominenter als Feministinnen begann, gipfelte in diesem Jahr unter anderem darin, dass bei der vergangenen Dior-Schau Models in T-Shirts mit der Aufschrift "We Should All Be Feminists" über den Laufsteg liefen. Monki, ein Tochterunternehmen der H&M-Gruppe, bringt mit einem "Monkifesto" Botschaften wie "Periods are cool" an die Frau, um sie letztlich dazu zu animieren, ihre Kleidung dort zu kaufen.
Man könnte vor lauter Coolness und käuflich erwerblicher Produkte beinahe vergessen, dass Feminismus eine politische Bewegung ist, die seit Jahrzehnten für Gleichberechtigung kämpft. Ähnliches beobachtet auch Andi Zeisler, die sich als Journalistin und Mitbegründerin des US-amerikanischen Bitch Magazin seit über 20 Jahren mit Feminismus und Popkultur auseinandersetzt. Im Interview mit kurier.at erklärt Zeisler, warum Feminismus im Kern weder sexy noch lustig ist, Prominente der Verbreitung von Feminismus aber trotzdem Vorschub leisten können.
kurier.at: Ihr jüngst erschienenes Buch heißt "We Were Feminists Once: From Riot Grrrl to CoverGirl®, the Buying and Selling of a Political Movement". Inwieweit steht der Feminismus als politische Bewegung vor dem Ausverkauf?
Andi Zeisler: Seit es feministische Bewegungen gibt, hat es immer auch Industrien gegeben, hauptsächlich aus dem Umfeld von Werbung und Marketing, die von diesen profitieren. Weil man Geld mit ihnen machen kann. Je bedeutender die feministischen Debatten wurden, desto stärker wurde versucht, sie dafür zu nutzen, uns Dinge zu verkaufen. Und wenn ich sage uns, meine ich damit hauptsächlich Frauen.
In dem Buch beschreiben Sie, wie diese Entwicklung zu einem "Marktplatz-Feminismus" geführt hat. Was meinen Sie damit konkret?
Die Idee dahinter ist, dass das Kaufen von Dingen als ermächtigende Entscheidung präsentiert wird. Dafür müssen die Produkte den Anschein erwecken, cool oder feministisch zu sein oder zumindest etwas für Frauen zu tun.
Darum gibt es jetzt einen Haufen lächerliches Zeug, das als feministisch vermarktet wird, weil das im Moment eben angesagt ist. Vor zehn oder zwanzig Jahren wären diese Produkte eher dahingehend vermarktet worden, indem sie an die Unsicherheit oder die Eitelkeit von Frauen appellieren. Jetzt sprechen sie eher die Macht von Frauen an oder suggerieren, dass sie das Frausein feiern.
In den vergangen Jahren haben sich immer mehr Prominente als Feministen deklariert, wie zum Beispiel Beyoncé, Emma Watson oder Taylor Swift. Schadet das dem Feminismus oder nutzt es ihm letztlich?
Es kann definitiv nützlich sein. Die Symbolkraft, die es hat, dass diese Frauen die Repräsentantinnen des Feminismus sind, ist riesig. Ich bin in den späten 1970er- und 80er-Jahren aufgewachsen. Damals wollten Prominente mit diesem Wort nicht in Verbindung gebracht werden. Nicht einmal jene, die sich wie Feministen verhielten. Dass das jetzt beispielsweise bei Beyoncé, Emma Watson oder Taylor Swift der Fall ist, kann nützlich für Menschen sein, die zu diesen Prominenten aufschauen und mehr über das Wort Feminismus und darüber, was die Bewegung bedeutet, herausfinden wollen. Das sollte nicht unterschätzt werden.
Die Frage für mich ist eher, was diese Promis wirklich daraus machen. Vor allem in Bezug darauf, dass die Industrien, in denen sie arbeiten - Hollywood und die Musikbranche - nicht gerade für Geschlechtergerechtigkeit bekannt sind. Darum ist für mich die zentrale Frage: Werden sie ihr feministisches Bewusstsein dafür nutzen, diese Industrien zu verändern und ist das überhaupt etwas, was Konsumenten von ihnen verlangen können?
Und was werden Sie Ihrer Einschätzung nach tun?
Das ist schwierig zu sagen. Beyoncé ist definitiv in einer Position, in der sie viele Dinge ändern kann, weil sie ihr eigenes Unternehmen und ihre eigene Plattenfirma hat und ihre eigenen Regeln aufstellt. Sie nutzt das bereits, um die Stimmen von jungen Frauen zu fördern, die eine andere Sicht auf die Dinge haben, vor allem junge schwarze Frauen. Frauen, die in der Mainstream-Popmusik keine Stütze haben. Ich finde, dass sie ihre Prominenz und ihren Feminismus bereits auf eine gute Art und Weise nützt.
Haben diese Promis aus Ihrer Sicht eine Verantwortung gegenüber ihren Fans, etwas zu verändern oder genügt es, sich einfach als Feminist zu bezeichnen?
Ich bin mir nicht sicher, was man von Berühmtheiten verlangen kann, wenn sie erstmal eine politische Identität angenommen haben. Aber ich finde, wenn sie das Wort Feminist in ihre Marke integrieren, müssen sie auch offen für Konsumenten sein, die wissen wollen, was genau sie diesbezüglich zu tun gedenken.
Feminismus war jahrzehntelang eine soziale Bewegung, die für Gleichberechtigung gekämpft hat. Durch den "Marktplatz-Feminismus" scheint diese zu einem Trend geworden zu sein, bei dem man durch eine individuelle Kaufentscheidung mitmachen kann. Wo bleibt da der solidarische Gedanke?
Ich glaube, dass der Feminismus in einigen Aspekten nie aufgehört hat, eine kollektive Bewegung zu sein. Die politische Arbeit im Hintergrund ist immer weitergegangen. Das ist aber nichts, worüber die Leute gerne sprechen, weil es nicht sexy ist. Es ist sogar richtig hart, es geht um Dinge, über die Menschen nicht ständig nachdenken wollen, wie zum Beispiel Armut, gleichberechtigte Bezahlung und Reproduktionsrechte. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen müde davon sind.
Außerdem ist ein Großteil der Amerikaner nicht daran interessiert, über Leute, die zusammenarbeiten, zu hören. Für sie sind Geschichten attraktiver, die von Individuen handeln, die etwas erreicht haben, wie zum Beispiel Oprah. Die Botschaft dahinter lautet: 'Du brauchst niemanden, du hast das ganz allein geschafft.'
Warum ist das Wort Feminismus aber, wenn es um politische Dinge geht, noch immer so negativ behaftet?
Ich glaube, dass das mit der Idee von Wut als etwas Unattraktivem zu tun hat. Viele Menschen wollen damit nicht in Verbindung gebracht werden. Auch Politiker nicht, weil sie dann ironischerweise besorgt sind, zu politisch zu klingen, was komplett absurd ist.
Es gibt auch nicht sehr viele wütende Frauen, die im Vordergrund stehen und dafür gefeiert werden.
Es sollte aber so sein. Damit sich Dinge ändern, muss man wütend sein, das ist einfach Teil davon. Wenn einem gesagt wird, man sei zu wütend oder zu emotional, dann tilgt das die Idee, dass es hier nicht um ein abstraktes Konzept, sondern das Leben von Menschen geht. Es geht um die Zukunft von Menschen und um ihre Möglichkeiten, Kontrolle über ihren Körper und ihr Leben zu haben. Das ist es wert, wütend zu sein.
Sie sind Begründerin und Mitherausgeberin des US-amerikanischen Bitch Magazin, das vor 20 Jahren startete und heute ein etabliertes feministisches Pop-Magazin ist. In welcher Beziehung stehen Feminismus und Popkultur zueinander?
Die beiden haben seit vielen Jahren einen Einfluss aufeinander. Die Popkultur hat den Feminismus beeinflusst, aber der Feminismus genauso die Popkultur. In den vergangenen zehn Jahren hat sich definitiv ein stärkeres Bewusstsein dafür entwickelt, dass die Popkultur es einerseits schafft, die Bedeutung von Feminismus zu verdeutlichen, andererseits aber auch jene Bereiche aufzuzeigen, in denen Feminismus noch nicht den Einfluss hat, den er hätte haben können. Ein Großteil meiner Beispiele bezieht sich dabei auf die amerikanische Popkultur.
Jedenfalls gibt es immer mehr Menschen, die über den feministischen Aspekt eines Films oder einer TV-Show sprechen. Ich glaube, dass die Popkultur ein Bereich ist, in dem Feminismus einen Einfluss darauf hat, wie Menschen über Kultur sprechen, ihre Bedeutung und in welche Richtung sie sich entwickelt.
Wie sehr hat sich Ihre Arbeit in Bezug auf die Verbreitung feministischer Ideen durch das Internet verändert?
Das Internet war vor allem wichtig, um die Ideen und die Schöpfung der feministischen Community zu verbreiten. Als wir damals als Printmagazin gestartet sind, gab es noch andere Printmagazine, von denen wir wussten. Es gab aber nicht diese sofortige Verbindung, um miteinander kommunizieren zu können oder Ressourcen zu teilen; oder die Möglichkeit, ein Konzept oder Neuigkeiten weltweit zu verbreiten. Diese Verbindung macht einen riesigen Unterschied, auch dahingehend, wie Menschen von Feminismus erfahren und ihn verstehen. Ich glaube, dass die meisten Menschen heute hauptsächlich durch Diskussionen im Internet Informationen über Feminismus bekommen.
Wie sich mittlerweile gezeigt hat, sind es aber vor allem auch Frauen, die den Hass im Netz zu spüren bekommen.
Man weiß, dass man eine Stimme hat, gleichzeitig macht man sich selbst aber sehr verwundbar für Menschen, die diese nicht hören wollen. Das kann wirklich furchterregend sein. Darum erheben viele auch nur anonym ihre Stimme, obwohl das wirklich nicht so sein sollte.
Wie beurteilen Sie die Berichterstattung traditioneller Medien in puncto Geschlechtergerechtigkeit?
Ich denke, dass traditionelle Medien noch immer ein Problem damit haben, zu stark mit Feminismus in Berührung zu kommen. Ich glaube aber auch, dass sich diesbezüglich im Moment einiges ändert. In dem Sinne, dass zum Beispiel Mainstream-Medien in Amerika im Rahmen der Vorwahlberichterstattung über sexuelle Übergriffe berichtet haben. Hier zeigt sich auch ganz deutlich der Einfluss der feministischen Sprache, vor allem online. Die Tatsache, dass ein Medium wie CNN den Begriff rape culture verwendet, ist enorm wichtig. Das wäre vor zwei Jahren nicht passiert. Andererseits ist es auch eine Schande, dass diese dumme und peinliche Wahl der Grund dafür ist, dass darüber gesprochen wird.
Andi Zeisler hielt am Business Riot Festival am 22. Oktober in Wien die Keynote zum Thema "Wie viel Pop verträgt Feminismus".
Andi Zeisler wurde 1972 geboren. Sie ist Journalistin, Mitgründerin und –herausgeberin bei Bitch Media, einer feministischen Non-Profit-Mediengruppe in den USA.
In ihrem jüngsten Buch "We Were Feminists Once: From Riot Grrrl to CoverGirl®, the Buying and Selling of a Political Movement" (2016) beschreibt sie, wie der "Wohlfühlfeminismus" für marktwirtschaftliche Zwecke instrumentalisiert wird.
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