Küss mich als wär's das letzte Mal!

Ingrid Bergman und Humphrey Bogart in "Casablanca".
Der heutige Tag ist den Lippenbekenntnissen gewidmet – ein Streifzug durch den Kuss-Kosmos.

"Welche Nationalität haben Sie?" – "Ich bin Trinker." Dem Film "Casablanca" haben wir viele wunderbare Sätze zu verdanken, etwa auch: "Küss mich. Küss mich, als wär’s das letzte Mal", womit Rick und Ilsa (Humphrey Bogart und Ingrid Bergman) ihr Vorhaben besiegeln, Paris zu verlassen, als die Deutschen in Frankreich einmarschieren. Wie so oft kommt alles anders. Und da ist noch jene Szene, in der der Pianist singt: "A kiss is just a kiss." Jeder, der halbwegs zu Emotionen fähig ist, weiß: Da hat’s was. Denn wie auch immer ein Kuss gemeint sein mag: Irgendeine Bedeutung hat er. Immer. Selbst gedankenlose oder flüchtige Küsse entspringen einer Absicht und Gefühlsregung. Küsse sind Ritual, Symbol, verkörperte Emotion. "Küsse sind das, was von der Sprache des Paradieses übrig geblieben ist", heißt es.

Und wieder: Kuss-Tag!

An dieser Stelle könnte man aufhören zu schreiben, denn eigentlich wäre das Wichtigste zum Thema Kuss zusammengefasst. Zumal besser scheint, man schwadroniert nicht lange, sondern küsst einfach. Aber weil heute der "Tag des Kusses" gefeiert wird, ist es auch interessant zu erfahren, dass ein zehn Sekunden langer Zungenkuss 80 Millionen Bakterien überträgt. Keine Angst, Forscher finden, dass das "gut für die Gesundheit" ist. Weil Küssen eine Rolle für die Mundflora spielt, als Form der Immunisierung. Hätten Sie’s gewusst? Zwei Drittel der Menschen drehen beim Küssen ihren Kopf nach rechts. Und: Es gibt viele Kuss-Arten – den Märchenkuss (Dornröschen & Prinz), den politischen bzw. Bruderkuss (Leonid Breschnew & Erich Honecker), den skandalösen Kuss (Madonna & Britney Spears) oder den fatalen Kuss (Judas Iskariot & Jesus von Nazareth).

Auf besondere Weise wird der Kuss in der Kunst verdichtet. Daher empfiehlt sich, nach Berlin aufzubrechen, wo im Bröhan Museum vor Kurzem die Ausstellung "Kuss. Von Rodin bis Bob Dylan" eröffnet wurde. Ein gattungs- und genreübergreifendes Kuss-Panorama der modernen Kunst, vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Mit Beispielen aus Malerei Grafik, Fotografie und Film.

"Obsessiv"

Küss mich als wär's das letzte Mal!
Dr. Anna Großkopf, Kuratorin Bröhan Museum/KUSS
"Wir sind ein Museum für Jugendstil und Art déco – eine Zeit, in der sich die Kunst geradezu obsessiv mit dem Kuss beschäftigt hat", erzählt Anna Grosskopf, Kuratorin der Ausstellung. Und: "Küsse waren immer schon eine große Inspiration für die Kunst, es ist ein Ritual, das fasziniert." Gleichzeitig birgt er ein hohes Maß an Vieldeutigkeit und Ambivalenz. "Der Kuss als Motiv bietet viel Spannung – das geht vom romantischen, unschuldigen, süßlich-kitschigen bis hin zum politischen Potenzial, das der Kuss nach wie vor hat", sagt Grosskopf. Man denke an den Aktionismus der 1960er, wo der Kuss Symbol sexueller Selbstbestimmung wurde. Oder daran, dass der homosexuelle Kuss heute noch enorme Sprengkraft hat – eben, weil er nicht selbstverständlich ist.

"Jetzt hat Deutschland gerade den Weg zur Homo-Ehe freigemacht, aber in vielen Gesellschaften ist es noch lange nicht so weit", meint Grosskopf. Dass Küssen im öffentlichen Raum offenbar immer noch irritiert, zeigte die Kuss-Performance des Duos Römer+Römer zur Ausstellungseröffnung im Juni. Dafür wurden Freiwillige gesucht, die bei der "Postfaktischen Knutschperformance" mitküssen sollten. 200 Menschen wollten schließlich museal schmusen. "Spannend war, dass zum Teil völlig unbeteiligte Besucher mitgemacht haben und zu küssen anfingen", erzählt Grosskopf.

Küssende Männer

Küss mich als wär's das letzte Mal!
Blue Noses, An Epoch of Clemency, 2005, Bröhan Museum, Ausstellung Kuss
Welche Dimension ein Kuss haben kann, zeigt eine Fotoarbeit von Blue Noses, ein Künstlerduo, das aus Sibirien kommt. Darauf sind zwei küssende Polizisten zu sehen. "Ursprünglich war das als Symbol der Nächstenliebe gedacht, politisiert wurde es erst später", sagt Grosskopf. Im Herbst 2007 sollte das Bild in Paris gezeigt werden, es wurde allerdings vom Kreml verboten. Kulturminister Sokolow meinte, dass das Bild – es heißt "Ära der Nächstenliebe" – eine Schande für Russland sei und ließ es beschlagnahmen. Dabei waren küssende Männer in der Gegend einst opportun. Der sozialistische Bruderkuss galt als gängiges Begrüßungsritual kommunistischer Politiker, die damit Zugehörigkeit signalisierten, er wurde zum Ritual zwischen Staatsmännern des ehemaligen Ostblocks.

Zum anfangs erwähnten Kuss Breschnew/Honecker kam es 1979, bei den Feiern zum 30. Jahrestag der DDR. Nach seiner Rede nahm Breschnew die Brille ab, umarmte Erich Honecker und küsste ihn auf den Mund. Das Geknutsche wurde vom Fotografen Régis Bossu festgehalten. Weitere elf Jahre später nützte der russische Maler Dmitri Wrubel das Foto als Ausdruck für private Liebesturbulenzen. Er malte es 1990 als Graffito mit dem Titel "Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben" auf die Berliner Mauer, wenige Monate vor der Wiedervereinigung. Das Stück Mauer wurde schließlich nach dem Mauerfall als Teil der East Side Gallery (das ist ein 1,3 Kilometer langer Mauerabschnitt als Open-Air-Galerie) erhalten. In der Bröhan-Schau ist die Vorlage für Wrubels "Kuss" zu sehen.

Faktum zum Schluss: 34 Gesichtsmuskeln bewegen sich beim Küssen – je nach Kussart. Bussi.

"Liebe hineingeben" – das ist ein Gedanke, den die Künstlerin Nezaket Ekici hat, während sie vier Tage lang die Oberfläche der Wände, des Bodens und der Gegenstände im Rahmen der Ausstellung "Kuss", im Berliner Bröhan-Museum, küsst. Am Ende soll ein ornamental anmutendes dreidimensionales Kuss-Bild entstehen.

Küssen als Kraftakt

Küss mich als wär's das letzte Mal!
Nezaket Ekici, Emotion in Motion, Mailand, Performance Installation 2002, Galleria Valeria Belverdere
Was auf den ersten Blick irgendwo zwischen seltsam und vergnüglich anmutet, ist harte und schmerzvolle Arbeit – ein Kraftakt und eine Reflexion über das Glück und die Schmerzen der Liebe: "Es ist anstrengend für die Lippen, zumal ich versuche, das mit Passion und Leidenschaft zu machen", sagt Ekici am Telefon, während sie vom Publikum in ihrem "Kuss-Raum" beobachtet wird. Mir ist wichtig, dass ich überall eine Art Liebe hineingebe, erzählt die deutsche Künstlerin, die in der Türkei geboren wurde. Weil es ihr auch um die Wertschätzung geht, die ein Kuss ausdrücken kann: "Jedes Objekt, sei es die Wand oder sei es das Bett, wurde von Menschen gemacht. Wir halten das alles so oft für selbstverständlich, es gibt keine Wertschätzung mehr für diese Arbeit oder das, was dahintersteckt."

Ekici sagt mit dem Kuss also auch "Dankeschön" – als wichtige Geste, "in einer schwierigen Zeit, in der keiner mehr auf den anderen achtet". Dabei wäre es so wichtig, dass Menschen gut zusammenleben und dabei einander öfter in die Augen schauen. Heute, am internationalen Tag des Kusses, vollendet Nezan Ekici ihre Performanceinstallation.

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