Und manchmal spürt sie noch die alte Wut

Und manchmal spürt sie noch die alte Wut
Feminismus gestern und heute: Die Autorin und Frauenrechtlerin Erica Fischer erinnert sich und erzählt, was sich verändert hat.

Hat sich der Feminismus womöglich überlebt? "Ganz im Gegenteil", sagt die Bestsellerautorin und Feministin der ersten Stunde, Erica Fischer. Für ihr Buch „Feminismus Revisited“ hat sie mit  jungen Frauen gesprochen, die eine neue und  selbstbewusste  Form des Feminismus leben.

KURIER:  100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich, Weltfrauentag. Wie steht es aktuell um die Frauenrechte?

Erica Fischer Gesetzlich ist mehr oder weniger alles erreicht, deshalb nimmt die Frauenbewegung heute andere Formen an. Die ungleiche Bezahlung ist nach wie vor da, da hat sich  seit den 1990er-Jahren nichts verändert. Die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf  ist ebenso ungelöst. Von  Frauen wird immer noch erwartet, dass sie sich um die Kinder kümmern.  Damit wird ihr berufliches Fortkommen behindert, sie werden ökonomisch abhängig von ihrem Mann.

Feminismus ist nicht mehr isoliert zu denken – es existieren viele Formen von Diskriminierung. Rassismus, zum Beispiel. Macht Ihnen das Sorge?

Das macht mir große Sorge. Die Diskriminierung von Frauen und die Diskriminierung von Fremden habe ich mein Leben lang zusammengedacht.  Rassismus, Nationalismus und Sexismus gehören  in  rechtspopulistischen Regierungen und Bewegungen weltweit zusammen.  Im Zuge meiner  Arbeit mit jungen Feministinnen habe ich gesehen, dass viele  von ihnen einen starken Fokus auf das Thema Rassismus legen. Es ist wichtig, dass wir nicht mehr nur die Mann-Frau-Polarität im  Blick haben, sondern einen weiteren Bogen spannen.

Aktuell erleben wir eine Renaissance des autoritären Mannes. Siehe: Trump, Putin. Empfinden Sie das, im Verbund mit der politischen Lage, als Gefahr für die Frauen?

Ja, absolut. Was das genau bedeutet,  werden wir wohl erst später erkennen. Es könnte sein, dass es sich um ein letztes Aufbäumen des Patriarchats handelt. Aber das haben wir  schon in den Siebzigerjahren gedacht, das Patriarchat erweist sich aber als sehr überlebensfähig. Gleichzeitig denke ich schon, dass sich etwas verändert hat. Frauen lassen sich weniger gefallen, sind  sich ihrer Potenziale bewusster und wehren sich.  Ich bin optimistisch, dass sich die Frauen nicht zurückdrängen werden lassen.

 

Sie gelten als maßgebliche Mitbegründerin der zweiten Frauenbewegung in Österreich. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?

Für mich war sie lebensgeschichtlich  fundamental. Ich war sehr schüchtern und stamme aus einer Flüchtlingsfamilie. Das hat mein Lebensgefühl als Teenager maßgeblich geprägt. Als die Frauenfrage in meinen Blick geriet, habe ich mich von Grund auf verändert. Plötzlich hatte ich keine Angst mehr,  öffentlich zu sprechen und meine Meinung zu verteidigen.  Das hat mein ganzes weiteres Leben geprägt.

Eine Zeit, die von Leidenschaft und Engagement geprägt war...

Es war es eine äußerst lustvolle Zeit, aber auch  anstrengend, weil es ununterbrochen  Debatten gab und ich mich für das, was da in mein Leben getreten war, sehr verantwortlich fühlte. Es war lustvoll zu protestieren, es war lustvoll, Teil einer Gruppe zu sein. Wir waren damals überzeugt, wir sind die Avantgarde und werden das Patriarchat  vom Tisch fegen (lacht…). Ich denke, eine solche Selbstgewissheit gehört dazu, um voller Leidenschaft kämpfen zu können. Spaß hat auch gemacht, die Frauen zu entdecken. Bevor ich in diese Phase eingetreten war, waren Frauen isoliert. Doch plötzlich waren wir zusammen und haben den Wert der anderen Frau erkannt. Und damit auch unseren eigenen.

Wie würden Sie sich als junge Feministin von damals  im Vergleich zu  jungen Feministinnen von heute sehen?

Die jungen Feministinnen von heute sind viel selbstbewusster.  Zu studieren, einen Beruf zu ergreifen, ist für sie heute selbstverständlich. Was vielleicht am auffälligsten ist, ist die selbstbewusste Sexualität. Ich bin zwar in einer progressiven Familie aufgewachsen, aber die Atmosphäre in den 1950er und 1960er-Jahren im katholischen Österreich war sexuell total repressiv. Auch meine Eltern, so progressiv sie waren, waren sehr prüde. Aufgeklärt wurde ich von ihnen  nicht. Von meiner Mutter wurde mir ein negatives Bild der Sexualität vermittelt, immer verbunden mit der Gefahr, schwanger zu werden. Die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln ist ein unglaublicher Befreiungsschritt gewesen. Mittlerweile ist auch die sexuelle Orientierung kein Problem mehr, zumindest in den Großstädten. Da ist es möglich, lesbisch, homosexuell oder bisexuell zu sein. Die sexuelle Orientierung ist  fluider geworden. Das trägt  zum Selbstbewusstsein der jungen Frauen bei, die ein anderes Körpergefühl an den Tag legen. Ich habe mich für meinen weiblichen Körper eher geniert.

Ist Feminismus  noch zeitgemäß?

Ja,  aber er ist auch ein Modebegriff geworden. Alle bezeichnen sich jetzt als Feministinnen, inklusive Ivanka Trump. Das Wort Feminismus ziert T-Shirts. Es ist halt eine Frage, was man darunter versteht. Der Feminismus wurde  in den Mainstreammedien immer als Polarisierung zwischen Männern und Frauen verstanden, als Hass auf Männer. Ich habe Feminismus so nie erlebt, für mich war er ein umfassendes Konzept zur Vermenschlichung der Gesellschaft. So wie das Wort Sozialismus. Wobei Sozialismus, wie er gelebt und erkämpft wurde, die Frauen meist nicht eingeschlossen hat, oder nur am Rande. Der Feminismus geht weiter. Für mich bedeutet er auch, die Welt von unten zu betrachten – von den Schwächsten, von den Kindern, von den armen Frauen, von den Geflüchteten, von den Kriegsopfern aus.  Die Frauen, mit denen ich gesprochen habe, sind alle in diese Richtung orientiert. Engagiert gegen Rassismus und Nationalismus, sie arbeiten sich keineswegs nur an der Polarisierung von Männern und Frauen ab. Heutzutage sind junge Frauen so selbstbewusst, dass sie männliche Stimmen  gelten lassen können.

 

Sie erwähnen  Laurie Penny, schreiben über Netzfeminismus, haben mit vielen Frauen gesprochen. Da ist immer noch viel Wut. Wie wichtig ist diese Wut?

Ganz wichtig. Laurie Penny mag ich total gerne und ich spüre diese Wut in ihrer Literatur. Ich bin 76 Jahre alt – wenn man älter wird, ist  die Wut nicht mehr so groß. Weil sich ja auch die Beziehung zu Männern verändert hat, das Leben insgesamt. Ich habe meinen Feminismus in meine ganze Person integriert, ich muss ihn nicht ständig betonen. Wenn mir aber Männer begegnen, die irgendeinen Schwachsinn von sich geben, dann spüre ich einen heißen Schwall, eine Wallung. Dann denke ich – ah, das ist das Siebzigerjahre-Gefühl. Die Wut ist wieder da. 

Was hat #MeToo bewirkt, was ist noch zu tun?

Man könnte  im Zuge der Debatte die Frage der ungleichen Bezahlung nochmals massiv diskutieren.  Die Regel, dass Gehälter nicht offen gelegt werden und so Frauen nicht wissen, dass sie weniger bekommen, ist unsäglich. Generell glaube ich, dass Männer jetzt aufpassen werden, was sie tun. Weil sie  nicht mehr sicher sein können, dass  Frauen aus Scham und  Angst schweigen. Dieses Schweigen ist gebrochen, das halte ich für wesentlich. Es wurde  oft kritisiert, dass Frauen sich bei #MeToo zu Opfern machen, das sehe ich so nicht. Über etwas offen zu sprechen und sich dadurch selbst angreifbar zu machen, ist Selbstermächtigung.

Manche behaupten, die aktuelle Entwicklung würde sich negativ auf das Beziehungsleben von Frauen und Männern auswirken – und auf die Erotik. 

Alles  in Maßen. Dass man nicht mehr flirten darf,  wie manchmal behauptet wird, ist Quatsch, denn  bei #Metoo  ging es um Gewalt und das Ausnützen der männlichen Machtposition. Es ging nicht um einen Flirt, der ja auch Gegenseitigkeit beruht. Aber ich denke, im Zuge dieser Debatte ist den Männern so manches klar geworden. Das bewirkt eine Verhaltensänderung.

Sie schreiben, dass Sie Männer nie abgelehnt haben, was Ihnen auch zum Vorwurf gemacht wurde. Ist es wichtig, dass Frauen Männer ins Boot holen?

Prinzipiell ja. Aber heute wird oft gefordert, dass man Mann und Frau nicht mehr unterscheiden solle, da wir alle ja alle Menschen sind. Irgendwann mag diese Situation ja auch eintreten, aber heute stimmt es eben nicht. So lange eine Bevölkerungsgruppe diskriminiert wird, so lange muss sie benannt werden und solange muss sie um ihre Befreiung kämpfen.  Aber selbstverständlich bin ich dafür, dass sich Männer engagieren und ich habe sie immer mitgedacht, weil es ja um eine befreite Gesellschaft geht, in der es eben auch Männer gibt. Damals war es aber so, dass wir uns erst einmal abschotten mussten, um überhaupt zu uns zu finden. 

Was finden  Sie an Männern spannend?

Mich hat dieses Fremde immer interessiert. Mein Impuls damals war auch die Liebe.  Ich wollte, dass wir uns angleichen, einander näher kommen, damit wir uns besser lieben können. Meine Theorie war, dass Liebe unter Ungleichen nicht oder nur schwer möglich ist.  Mein Leiden an den Liebesbeziehungen war  ein starker Impuls für mich.

Und manchmal spürt sie noch die alte Wut

Im Exil geboren

Erica Fischer wurde 1943 in St. Albans als Tochter österreichisch-kommunistisch-jüdischer Eltern bei London geboren. Dorthin waren die Eltern aus Wien emigriert. Sie wuchs in Wien auf und studierte am Dolmetschinstitut der Universität Wien. 1972 war sie eine der Mitbegründerinnen der autonomen Frauenbewegung in Wien. Heute  arbeitet sie als freie Journalistin, Autorin und Übersetzerin. Seit 1988 lebt sie in Deutschland, seit 1994 in Berlin. Ihr Buch „Aimée & Jaguar. Eine Liebesgeschichte“ wurde zum Weltbestseller.


Neues Buch "Feminismus revisited"

In ihrem neuen Buch zeigt Erica Fischer in einer Mischung aus autobiografischem Essay und Porträts junger Frauen, für die der Feminismus mehr ist als Quoten und Frauen in den Aufsichtsräten,  warum sich beherztes Engagement nach wie vor lohnt.  Die Buchpräsentation findet  anlässlich des Weltfrauentags am  8. März 2019 um 19:30 Uhr im  Lesesaal der Wienbibliothek im Rathaus statt.   Der Eintritt ist frei. Anmeldung unter oeffentlichkeitsarbeit@wienbibliothek.at oder +43 1 4000-84926.

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