Warum sich Politiker mit Haustieren umgeben

Der Jack Russell ist in Downing Street 10 eingezogen.
Der britische Premier hat einen neuen Hund. Die Selbstinszenierung mit Vierbeiner reicht Jahrhunderte zurück.

Auf dem Höhepunkt des Brexit-Dramas denkt der britische Premier-Minister an? An einen süßen Hund! Boris Johnson hat sich einen Terrier-Welpen aus dem Tierheim zugelegt. Sein Vorgehen hat eine lange Tradition - und hat nach Expertenmeinung einen Hintergedanken.

Nie zuvor in seiner politischen Laufbahn stand Boris Johnson dermaßen im Kreuzfeuer der Kritik wie diese Woche. Und ausgerechnet jetzt schafft sich der britische Premierminister einen neuen Mitbewohner für Number 10 Downing Street an: Helfer trugen einen 15 Wochen alten Jack Russell gut sichtbar zu der berühmten schwarzen Tür. Johnson und seine Freundin Carrie Symonds hätten ihn aus einem Tierheim adoptiert, hieß es dazu.

Schiefes Gebiss in der Downing Street

Ein Hundezüchter habe den armen Dilyn aussortiert, weil er ein schiefes Gebiss habe und deshalb unverkäuflich sei, wussten britische Medien zu berichten. Ein Sprecher aus der Downing Street sagte: "Der Premierminister war immer ein leidenschaftlicher Anhänger des Tierschutzes und war immer überzeugt, dass Tiere einen guten Start ins Leben brauchen."

Mitgefühl macht Stimmung

Es sei wohl kein Zufall, dass sich Johnson den Hund gerade jetzt angeschafft habe, vermutet der Kommunikationswissenschafter Joachim Trebbe von der Freien Universität Berlin. Die unterschwellige Botschaft: Allen Härten im Brexit-Drama zum Trotz - wer sich eines Hundes mit schiefen Zähnen annimmt, kann kein schlechter Mensch sein. "Wobei hier vielleicht gar nicht mal so sehr der Hund im Vordergrund steht als vielmehr das Tierheim. Es geht darum, die menschliche, mitfühlende Seite herauszustellen. Dafür hätte er auch ein Krankenhaus besuchen können."

Inszenierung mit Tradition

Wenn man erst einmal davon ausgeht, dass Politiker normale Menschen sind, gibt es natürlich eine gewisse Grundwahrscheinlichkeit, dass der eine oder andere auch einen Hund hat. Dass mitunter mehr dahinter steckt, lässt sich aber schon daraus ableiten, dass Politiker ihre Tierliebe oft sehr bewusst öffentlich machen.

Warum sich Politiker mit Haustieren umgeben

US-Präsident Bush trug seinen Barny auf Händen.

So besaß der Hund des früheren US-Präsidenten George W. Bush, Terrier "Barney", eine eigene Seite auf dem Internet-Auftritt des Weißen Hauses. Auch seine Vorgänger führten Hunde medienwirksam Gassi.

Versteckte Botschaften

In Deutschland hat zum Beispiel Attila, der Hund des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke), einen Twitter-Account, der maßgeblich von dessen italienischer Ehefrau gepflegt wird. "Das ist natürlich eine spannende Idee, aus der Sicht eines Hundes die Arbeit des Ministerpräsidenten zu kommentieren", meint dazu der Hamburger Politikberater Martin Fuchs. "Ich fand es gerade dann extrem smart, wenn er politische Aussagen und Aktivitäten kommentiert hat. Wenn er sich zum Beispiel beschwert hat, dass sein Herrchen schon wieder so lange nicht zuhause war. Eigentlich eine Kritik an seinem Herrchen, die dann aber zeigt: Der Typ reißt sich für Thüringen den Arsch auf."

Sozialkompetenz

Das Ganze stehe in einem größeren Zusammenhang, erläutert Prof. Trebbe: "Wir wissen aus der Entwicklung der sozialen Medien, dass es dort eine Tendenz gibt zur Preisgabe privater Informationen, um neben der politischen Kompetenz auch eine Sozialkompetenz zu vermitteln. So nach dem Motto: 'Schaut mal her, ich bin ein Mensch wie ihr, ich habe einen Hund und hole ihn sogar aus dem Tierheim.' Damit macht man natürlich Punkte."

Auch Kaiser und Könige setzten auf Vierbeiner

Diese Selbstinszenierung mit Haustier reicht Jahrhunderte zurück. Viele Könige und Kaiser ließen sich mit ihren Hunden porträtieren. Der vierbeinige Liebling des niederländischen Nationalhelden Prinz Wilhelm von Oranien (1533-1584) wurde nach dessen Tod sogar in Marmor gehauen: Als Teil eines pompösen Grabdenkmals in der Neuen Kirche von Delft ruht er auf ewig zu Füßen seines Herrchens.

Mops Pompey soll Oranien sogar einmal das Leben gerettet haben: Der Prinz schlief, während sich seine Feinde näherten. Da weckte ihn das aufmerksame "hondje", sodass er sich in Sicherheit bringen konnte. Oranien galt bezeichnenderweise als extrem erfolgreicher Propagandist in eigener Sache, der das neue Medium der gedruckten Flugschrift für seine Zwecke zu nutzen verstand.

Rasse pflegt Image

Das Image des Hundes ist dabei nicht immer gleich. Es gibt den süßen Hund und den großen, gefährlichen. Der russische Präsident Wladimir Putin bereitete Angela Merkel vor einigen Jahren mit seiner Labrador-Hündin Koni eine unangenehme Überraschung. Angeblich wusste er nichts von der Hunde-Angst der Kanzlerin. "Hunde haben auch eine Macho-Tradition", sagt Trebbe. "Sie kommen ja von der Jagd zum Menschen. Dass sich Politiker, die sich etwas auf ihre männlichen Qualitäten zugutehalten, mit großen Hunden schmücken, soll ihre Stärke unterstreichen."

Kater gegen Hund

Warum sich Politiker mit Haustieren umgeben

Kater Larry hat die Schnauze voll.

Im Fall von Boris Johnson ist sich Trebbe übrigens nicht sicher, ob die Anschaffung von Dilyn wirklich ein geschickter Schachzug war. "Es könnte auch gefährlich sein, denn es gibt in der Downing Street bereits seit langem den Kater Larry, der sehr populär ist." Auf Twitter hat er 323.000 Follower. "Angeblich zeigt sich Larry seit dem Amtsantritt von Boris Johnson seltener. Wenn sich das bestätigen sollte, könnte man am Ende noch sagen: 'Jetzt hat er sogar die nette Katze vergrault'."

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