Warum sich die Radfahrer gut fühlen
Das Fahrrad nach der Winterpause ins Freie schieben, aufsitzen und dann fest in die Pedale treten – das wirkt. Da sind sich Stadtplaner, Mediziner, Sportwissenschaftler und Psychologen einig. Das wirkt auf mehreren Ebenen.
Schon nach wenigen Metern kommt der Kreislauf ordentlich in Schwung. Muskeln bewegen sich, Blut braust durch Venen und Arterien. Doch es tut sich auch einiges im Gehirn, wie Markus Reichert vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim aus eigener Erfahrung weiß. Der Sportwissenschaftler fährt regelmäßig mit dem Fahrrad: wochentags zur Arbeit, in seiner Freizeit mit dem Rennrad auch mal schneller. Er weiß somit, wie die unterschiedlichen Belastungen wirken.
Aktuell untersuchen Reichert und seine Kollegen, welche Areale des Gehirns beim Radfahren aktiviert werden. Bereits als gesichert gilt dabei für sie, dass Alltagsaktivitäten wie zum Beispiel das Zur-Arbeit-Radeln energiegeladener und wacher machen, während Rennradfahren die Stimmung aufhellt und gleichzeitig beruhigt.
Weniger gestresst
Menschen, die regelmäßig mit dem Fahrrad unterwegs sind, fühlen sich gesünder, geistig fitter, auch weniger gestresst und weniger einsam als andere Verkehrsteilnehmer. Dies geht wiederum aus der groß angelegten PASTA-Studie hervor (siehe unten), die von 15 internationalen Partnerinstitutionen erstellt und von Forschern der Wiener Universität für Bodenkultur geleitet wurde.
Offen ist noch die Frage, ob sich diese positiven Selbsteinschätzungen der Radfahrer kausal auf das Radfahren zurückführen lassen oder allgemeiner auf einen speziellen Lebensstil, der mit der sanften Mobilität indirekt verbunden ist. Immerhin ist davon auszugehen, dass sich Radfahrende länger im Freien aufhalten. Zudem meinen sie, dass sie dank ihres Fahrrads mehr Leute kennen lernen als jene, die mit dem Auto oder mit den Öffis unterwegs sind.
Deutlich weniger Gewicht
Elisabeth Raser, die am BOKU-Institut für Verkehrswesen arbeitet und viel lieber mit ihrem Fahrrad als mit dem öffentlichen Bus zur Arbeit fährt, verrät dem KURIER ein weiteres Ergebnis der großen europäischen Studie: „Wer regelmäßig Rad fährt, bringt deutlich weniger Gewicht auf die Waage als etwa Autofahrer.“ Bei Männern beträgt der Unterschied im Schnitt 3,5 und bei Frauen 3,1 Kilogramm.
Auch bei allen anderen Gesundheitsparametern schneiden Radfahrende besser ab. Neun von zehn Radler erreichen problemlos die Bewegungsempfehlung der Weltgesundheitsorganisation (30 Minuten pro Tag, und das fünf Mal die Woche). Zum Vergleich: Unter den Nicht-Radfahrern schaffen diese ominöse Marke der WHO nicht einmal 30 Prozent.
„Radfahrer leben grundsätzlich gesünder“, erklärt Elisabeth Raser, gibt aber gleichzeitig zu bedenken. „Dafür ist ihr Unfallrisiko höher.“ Speziell in jenen untersuchten Städten, die nur einen geringen Radverkehrsanteil aufweisen, sollte die Verkehrsstatistik doch zu denken geben: So müssen Radfahrer in Wien laut PASTA-Studie mit immerhin 1,6 Unfällen pro 1000 Radfahrstunden rechnen.
Weniger Stau, weniger Abgase
Abgesehen von den gesundheitlichen Auswirkungen verändert das Radfahren auch das Verkehrsgeschehen, vor allem in den Städten. Die Rechnung ist diesbezüglich relativ einfach: Jeder Radfahrer mehr ist ein Autofahrer oder Fahrgast in öffentlichen Verkehrsmitteln weniger. Woraus sich ergibt: weniger Staus zu den Stoßzeiten und auch weniger Gedränge in der U-Bahn. Nebenbei kann das Strampeln helfen, dass wir bei den in immer weitere Ferne rückenden Klimazielen doch noch irgendwie die Kurve kratzen.
Elisabeth Raser würde sich genau aus diesem Grund „mehr Miteinander auf der Straße“ wünschen: „Ein positiver Zugang zum Radfahren von allen Verkehrsteilnehmern könnte uns dabei helfen, dass sich mehr Menschen aufs Radl setzen.“ Das Tempolimit auf der Autobahn zu erhöhen, ist für die Verkehrsplanerin hingegen die falsche politische Stoßrichtung. Die PASTA-Studie zeigt nämlich auch: „Dort, wo aktive Mobilität von der Politik gefördert wird, sind die meisten Veränderungen zu erkennen.“
Und noch eines: Radfahrer sind davon überzeugt, dass ihnen ihr Fahrrad Zeit sparen hilft und Radfahren an sich die gemütlichste Fortbewegungsart darstellt. Eine Erkenntnis, der Elisabeth Raser zu 100 Prozent zustimmt: „Beides, Linienbus 40A und Fahrrad probiert, beides kein Vergleich.“
PASTA oder: eine europaweite Studie
Das Forschungsprojekt: PASTA steht nicht für italienische Nudeln, sondern etwas sperriger auch für „Physical Activity Through Soustainable Transport Approaches“. Das Forschungsprojekt wird von der EU finanziert. Am Projekt beteiligt sind 15 Partner: sieben Städte, dazu die Weltgesundheitsorganisation sowie Forschungseinrichtungen wie etwa die Wiener Universität für Bodenkultur. Nähere Infos unter: http://www.pastaproject.eu/home/
Ein zentrales Ergebnis der Studie: „Investitionen in ein fahrrad- und fußgängerfreundliches Umfeld tragen nicht nur zur Verkehrsberuhigung und Schadstoffreduktion bei. Sie helfen den Menschen auch, aktiv unterwegs zu sein, und reduzieren das Risiko chronischer Erkrankungen.“ So Elisabeth Raser, die das PASTA-Projekt geleitet hat.
Spannendes Detail am Rande: Der Ausbau des Radwegenetzes und ein damit verbundener Anstieg des Radverkehrsanteils könnte in Wien jährlich knapp 150 vorzeitige Todesfälle verhindern.
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