Vollbart: Kult oder Angstmacher?

Ob im Anzug, Schlabberlook oder leger – mit Terrorismus hat der aktuelle Trend zur Gesichtsbehaarung nichts zu tun
Für manche ist er ein modisches Statement, für andere ein Symbol für Terrorismus. Der Vollbart hat noch nie so polarisiert wie heute.

Der Vollbart begeistert, er ist männlich, er ist sexy. Auf den Laufstegen der Modewelt, in der Werbung, in der hippen Szene wird er bejubelt und gefeiert. In Magazinen sieht man den neuen metrobärtigen Mann, mit Gelfrisur in schickem Anzug. Ehemals aalglatte Promis wie Brad Pitt oder Leonardo DiCaprio machen es vor – die Männerwelt macht es nach. Und dann heißt es in Studien, dass bärtige Männer bei Frauen besser ankommen. Na, wenn das so ist ...

Doch in Zeiten von Dschihadismus, Terrorismus und Extremismus schürt er auch immer öfter Ängste. Der deutsche Journalist Jan-Philipp Hein, bekannt für seine konservativ mahnende Haltung, fragt in einem Kommentar nach der Erklärung für die "optische Talibanisierung des westlichen Mannes". Und er wird noch provokanter: "Die Wolle im Gesicht ist das präventive Glaubensbekenntnis der verweichlichten westlichen Metropolenbewohner, die ihre Kultur nicht verteidigen, sondern sich dem Koran und den Hadithen unterwerfen wollen. Wer sich nicht rasiert, ist fast schon konvertiert." Um schließlich daran zu erinnern, dass schon Jesus Bart trug – und auch seinen Vater stellt man sich seit jeher gerne mit langem Rauschebart vor.

Der Vollbart zwischen zwei Welten, die widersprüchlicher nicht sein könnten. Der Kult geht so weit, dass sich Männer dafür sogar unters Messer legen. Der neueste Schrei in der Schönheitschirurgie heißt Gesichtshaartransplantation. Das Gestrüpp im Gesicht wird mit Haaren vom Kopf oder von der Brust aufgeforstet.

Taliban-Terror

An die emotionale Wirkung hatte Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwertner wohl nicht gedacht, als er seinem Bartwuchs freien Lauf ließ. "Dschihadist, Radikaler, Taliban, Hisbollahmitglied, IS-Kämpfer, Terrorist, Asylant, Sandler, Penner, Hipster" – all diese Bezeichnungen schlugen ihm in seiner bärtigen Zeit entgegen. "Ich hielt es nicht für möglich, was ich mir da alles anhören musste", erzählt er via Facebook. "Gleichzeitig bekam ich einen kleinen Eindruck davon, was sich Menschen aufgrund von bloßen Äußerlichkeiten alles anhören müssen, unabhängig davon, ob sie diese Merkmale aus religiösen Gründen, aufgrund von Krankheit, von Geburt an, aufgrund ihrer Herkunft oder einfach, weil es ihnen gefällt, haben."

Für Murat C. ist das nichts Neues. Seine türkischen Wurzeln hat man dem Wiener immer schon angesehen – doch Berichte rund um islamistischen Terror vertragen sich nicht gut mit dem aktuellen Barttrend. "Es ist zwar nicht so, dass ich beschimpft oder angegriffen werde, aber es reicht, wenn ich mit Bart von einem Istanbul-Trip zurückkomme und gefragt werde, ob ich in einem Terrorcamp war. In Zeiten wie diesen trifft das – auch, wenn es nur scherzhaft gesagt wird."

Erklärungsnot

Was bleibt, ist der Rechtfertigungsdruck, warum sich ein Mann den Bart stehen lässt. Ist er ein Modeopfer? Religiöser Fanatiker? Hat er eine Wette verloren? Oder ist der Bart vielleicht Ausdruck einer Midlife Crisis? "Je größer die Angst und Ablehnung, die wir dabei empfinden, desto heftiger die Reaktion und die Vorurteile", stellt Schwertner fest und zeigt sich derzeit ohne Bart – vorerst. Weil er sich weder schubladisieren lassen noch seinen aktuellen Initiativen schaden will.

Murat C. lässt sich von Vorurteilen nicht die Freude an seinem Bart verderben und lässt ihn derzeit wachsen. "Einfach, weil es gut aussieht. Und weil ich gerne Bart trage."

Gesichtsbehaarung kann viel ausdrücken – ob sie religiös oder modisch motiviert ist, lässt sich aber nicht an der Kleidung oder Herkunft festmachen. Und vor allem macht sie aus niemandem einen Terroristen.

Der Blick auf die Anfänge der Bartkultur beginnt wie so oft im alten Ägypten – Pharaonen waren zwar glatt rasiert (und zwar aus hygienischen Gründen penibel am gesamten Körper, inklusive Kopf), sie trugen aber einen Zeremonialbart als Zeichen ihrer göttlichen Macht. Sogar die Frauen unter ihnen.

Die Beliebtheit von stattlichen Bärten als Zeichen der Weisheit sind bei den alten Griechen vor allem durch Philosophen wie Sophokles und Platon bekannt. Nach der Eroberung durch Alexander den Großen wurden Bärte als Bestrafung oder zum Zeichen der Trauer abrasiert. Kurz blieb der Bart vor allem bei Kriegern, damit sie von ihren Gegnern nicht an den Haaren gepackt werden konnten. Mit der Herrschaft der Makedonier wurde es üblich, sich zu rasieren. Aus dieser Zeit stammt der Spruch "Ein Bart macht noch nicht den Weisen".

Auch im Römischen Reich waren Bärte lange Zeit in Mode. Der legendäre Caligula soll seinen Bart nach Vorbild persischer Herrscher sogar mit Goldfäden durchwirkt haben.

Die aktuelle Bartmode ging vor allem nach dem Mittelalter stets vom Herrscherhof aus. Der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. propagierte etwa die Glattrasur, während Heinrich IV. den nach ihm benannten Bart (Behaarung um den Mund, aber rasierte Wangen) prägte. Im 19. Jahrhundert, in der Zeit der Revolutionen, wurde der Vollbart vor allem wieder für Intellektuelle Zeichen ihrer Gesellschaftskritik und revolutionären Haltung – klassisches Beispiel dafür ist etwa Karl Marx. Prägend war auch der voluminöse Backenbart von Kaiser Franz Joseph. Bis heute werden Träger seiner Bartfrisur mit Monarchie assoziiert.

Der Erste Weltkrieg brachte eine radikale Wende – aus praktischen Gründen: damit die Wirkung von Gasmasken nicht beeinträchtigt wurde. Hilfreich war dabei die Erfindung des Rasierhobels durch King Camp Gillette im Jahr 1901. In Kriegszeiten blieb der Vollbart daher älteren Männern vorbehalten.

Erst in den 1960er-Jahren ließen sich Hippies und Beatniks den Bart als Zeichen ihrer Gegenbewegung stehen. Seither gab es auch Modeerscheinungen wie den Ziegenbart in den 1990er-Jahren. Spätestens nach der Jahrtausendwende etablierte sich aber der Dreitagebart, der nach wie vor gerne getragen wird – heute geben vor allem Prominente die Bartmode vor.

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