Virtuell aneinander vorbeireden

Virtuell aneinander vorbeireden
Ob jemand vertrauenswürdig ist, lässt sich im Internet kaum feststellen – die Mimik fehlt.

Wissenschaft hat häufig mit Spielen zu tun. So auch im Falle von René Riedls Untersuchungen. Der Wirtschaftsinformatiker von der Universität Linz und der FH OÖ hat sich mit Neurowissenschaftlern zusammengetan, Menschen in einen Kernspintomografen gesteckt und sie das Vertrauensspiel spielen lassen. Das geht so: Ich gebe dir 10 Euro, die du behalten oder an jemand anderen weitergeben kannst. Entscheidest du dich für die zweite Variante, hast du die Chance, das Geld zu versechsfachen. Der Gewinn wird dann geteilt.

"Die Frage lautet: Wem vertraue ich, in der Hoffnung auf einen Gewinn", sagt Riedl und zeigte seinen menschlichen Versuchskaninchen im Tomografen Fotos von vertrauenswürdigen und weniger vertrauenswürdigen Leuten. "Die Gehirn-Messungen belegen, dass wir sehr gut darin sind, die Vertrauenswürdigkeit von realen Personen einzuschätzen" Und unser Geld so zu mehren.

Virtuelles Vertrauen

Doch wie schaut das aus, wenn wir mit einem virtuellen Gegenüber konfrontiert sind? Riedl und seine Forscherkollegen zeigten den Probanden Bilder von Avataren, also künstliche Repräsentationen von Menschen im Internet. "Und tatsächlich fiel es den Leuten schwer, ihr Gegenüber als vertrauenswürdig oder nicht einzuschätzen", sagt Riedl.

Die internationale Studie, an der auch die Freie Universität Berlin, die Zeppelin Universität Friedrichshafen, Universität Konstanz und die University of Arkansas beteiligt waren, konnte damit erstmals die negativen Effekte virtueller Kommunikation durch Messungen der Gehirn-Aktivität der Testpersonen belegen.

Dieser Unterschied manifestierte sich in einer signifikant höheren Aktivierung einer Region im medialen frontalen Cortex – jener Region im Gehirn, die für das Verstehen der Emotionen und Absichten anderer Menschen bedeutsam ist. Riedl hat auch eine Erklärung dafür: "Der Mensch hat im Laufe seiner Evolution fast ausschließlich Face-to-Face kommuniziert, was sich in seiner Genetik, daher auch in seiner Gehirnfunktion und seinem Verhalten niederschlägt. Wir sind auf natürliche Kommunikation programmiert, sie funktioniert automatisch und bereitet uns keinerlei kognitive Anstrengung".

Ganz anders bei der virtuellen Kommunikation: Der Mensch sei aufgrund seiner neurobiologischen Ausstattung grundsätzlich weniger auf anonyme Interaktion im Internet vorbereitet. "Allerdings ist das menschliche Gehirn flexibel und passt sich schnell an Neues an – also auch an das Internet", sagt der Wissenschaftler. Das erklärt, warum sich Digital Natives mehrheitlich im Internet wohlfühlen und wirksam online mit vielen anderen Menschen kommunizieren.

Insgesamt zeigen die Studie, dass die möglichen Nachteile anonymer Kommunikation im Internet auf Basis fehlender Gesichtsinformationen nicht zu unterschätzen seien, denkt zumindest IT-Experte Riedl. Und rät zu vertrauensbildenen Maßnahmen, zum Beispiel in Sachen Online-Shopping.

"Da die Bildung von zuverlässigen Vertrauenswürdigkeitsurteilen eine wesentliche Grundlage sozialer und wirtschaftlicher Interaktion ist, sind bei der Kommunikation via Internet geeignete Maßnahmen zu treffen, um den möglichen negativen Konsequenzen anonymer Interaktion entgegenzuwirken." Online-Plattformen haben das längst erkannt und investieren massiv in den Aufbau vertrauensbildender Maßnahmen, etwa Gütesiegel.

... Ärger, Angst, Ekel, Überraschung, Freude und Trauer als globale Universalsprache gelten? Bisher nahm man an, dass die dazugehörigen Mimik von Angehörigen jeder Kultur erkannt wird. Doch Zweifel daran werden immer größer. Jetzt hat man herausgefunden, dass Asiaten enorme Probleme haben, die Mimik von Europäern zu lesen, und umgekehrt. Der Grund: Asiaten konzentrieren sich auf die Augen, während für Angehörige abendländischer Kulturen die Mundregion viel wichtiger ist.

... Forscher aus Österreich und den USA mehr als 10.000 Mikroausdrückein der menschlichen Mimik ausgemacht haben? Mithilfe des Computers analysierten sie unsere vielfältige Mimik. Zum Beispiel beim Lügen: Eine entscheidende Muskelgruppe sei die um die Augen, die für die Krähenfüße sorgt. Man könne sie nicht bewusst anspannen.

... US-Forscher eine Software entwickelt haben, die unsere Gefühle erkennt? Sie kann 21 verschiedene Gefühlskategorien recht zuverlässig zuordnen. Das Modell könnte Menschen mit Autismus, Schizophrenie oder posttraumatischer Belastungsstörung helfen, die Mimik anderer besser zu deuten.

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