Kleine Tiere in großer Not

Kleine Tiere in großer Not
Verdauungsprobleme. Kaninchen und Nager, die das Fressen einstellen, müssen umgehend zum Arzt. Die Begleiterscheinung kann sie töten

Die Kleinsten bereiten mitunter die größten Sorgen. Stellen Meerschweinchen und Chinchilla, Degu oder Kaninchen das Fressen ein, kann das sehr rasch sehr schwerwiegende gesundheitliche Probleme verursachen. Der Futterstau in Verdauungssystem führt im schlimmsten Fall innerhalb eines halben Tages zum Tod des Heimtieres.
Kaninchen und Nager haben kaum Muskeln im Magen“, erklärt KURIER-Tiercoach Dagmar Schratter die anatomische Eigenheit der Vierbeiner. Schieben die Kleintiere keine Nahrung nach, bilden sich Gärgase, der Magen-Darm-Trakt dehnt sich aus, der Blutfluss wird gestört. Die Direktorin des Tiergarten Schönbrunn weiß, dass Schmerzen unterschiedlichster Art zur Futterverweigerung führen. Zoodoc Katharina Reitl aus der Tierärztlichen Ordination Tiergarten Schönbrunn kennt die dramatischen Fälle aus der Praxis. Je früher Patienten in die „Ambulanz für kleine Heimtiere“ gebracht werden, desto größer ist ihre Überlebenschance. „Ich möchte Bewusstsein schaffen für diese Notsituation“, sagt die Expertin aus dem KURIER-Tiercoach-Team: „Bei Kleintieren besteht Aufklärungsdefizit.“

Schmerzen

Zahnerkrankungen, Parasiten wie Ohrmilben, Mittelohrentzündung, Schnupfen, Herzprobleme, Zuckerkrankheit, Blasensteine: Jede Krankheit bringt im Prinzip ein Magen-Darm-Problem mit sich. Es kann mit Durchfall beginnen und sich zu einem massiven Verdauungsproblem auswachsen. „Besitzer von Fluchttieren müssen sofort auf jedes Unwohlsein ihres Lieblings reagieren, bei diesen zeigen sich Erkrankungen erst sehr spät“, rät Reitl. Der Tierarzt muss dann zuerst die Ursache für das Leiden finden. Schritt für Schritt kontrolliert er die Zähne, hört Herz und Lunge ab, tastet den Bauch des kleinen Vierbeiners ab und fertigt ein Röntgenbild an. Bringen diese Untersuchungen keine Diagnose, müssen zusätzlich Blutwerte erhoben werden, sie zeigen u. a. Nieren- und Leberschäden auf. Auch Ultraschall hilft, den Krankheitsauslöser aufzuspüren.

Behandlung

„Primär wird die Krankheit therapiert. Je nach Ausprägung startet auch die Behandlung des Magen-Darm-Problems“, sagt der Zoodoc. Es steht eine breite Palette an Medikamenten zur Verfügung. Oft tun Schmerzmittel gute Dienste, hin und wieder müssen es Antibiotika sein. Manchmal reicht die Unterstützung des Immunsystems, Vitamine stärken. Spezielle Präparate bringen den Verdauungsapparat wieder in Schwung. Bei Kaninchen und Nagern können flüssige Arzneien davon einfach in die Lücke zwischen Schneide- und Backenzähne gespritzt werden. Schwerkranken hilft nur noch die stationäre Behandlung mit Infusionen über die Vene.
Bis die Mittel wirken, muss der Patient mit Brei und streng nach Diätplan ernährt werden. Die Therapie ist so gut, wie sie ankommt. „Die Pflege eines kranken Heimtieres ist ein Aufwand für den Besitzer. Sie ist auch mit Kosten von einigen Hundert Euro verbunden“, sagt Reitl: „Es muss eine gute Zusammenarbeit zwischen Halter und Tierarzt geben.“ Nur in aussichtsloser Lage empfiehlt die Expertin das Einschläfern. Bei optimaler Genesung können die Vierbeiner schließlich nach zwei bis drei Tagen wieder fit sein. Und unverdrossen vor sich hin futtern.

Kaninchen und Nager sind Pflanzenfresser. Viele von ihnen stammen aus kargen Gegenden und sind genügsam, was den Nährstoffgehalt ihres Futters betrifft. Dafür mampfen sie dauernd.
„Die Tiere brauchen einen hohen Rohfaseranteil in der Nahrung“, sagt Katharina Reitl von der „Ambulanz für kleine Heimtiere“ in der Tierärztlichen Ordination Tiergarten Schönbrunn. Heu soll üppig zur Verfügung stehen. Vom Kraftfutter reichen kleine Portionen, ein Kaffeelöffel pro Tag ist genug. Körner können auch als Leckerli von der Hand gefüttert werden. Mäuseartige dürfen Sämereien aus der vollen Schüssel naschen. „Natürlich fressen auch Haustiere lieber, was ihnen schmeckt“, sagt die Expertin aus dem KURIER-Tiercoach-Team. Doch fette Kost in Überfluss schadet der Gesundheit.
Auch allzu viel von süßem Obst tut den Kleintieren nicht gut, es kann Diabetes auslösen. Frisches Gemüse dagegen – gründlich gewaschen oder in Bio-Qualität – soll regelmäßig auf dem Speiseplan stehen. Kohlrabiblätter, Broccoli, Radieschenblätter und Basilikum, am besten Wiesengräser – die Abwechslung macht’s aus. Das Grünzeug muss täglich ausgemistet werden, welke, schimmelige Kost hat im Käfig nichts verloren. Frische Zweige von Obstbäumen pflegen die Zähne, die vorderen Nager wollen abgenützt werden. Ausnahme sind Chinchillas: Sie vertragen Frischfutter nur bedingt.
„Für den Großteil der kleinen Heimtiere haben sich Nippelflaschen bewährt“, sagt Reitl. Mit diesen Tränken ist das Wasser vor Verschmutzung geschützt und der Käfig vor Überschwemmung, das beugt der Schimmelbildung vor. Durstige Kaninchen allerdings brauchen eine Wasserschüssel. Studien haben gezeigt, dass diese Vierbeiner an der offenen Wasserstelle mehr Flüssigkeit aufnehmen als aus der Flasche.
Die Kleintier-Expertin hat noch einen Tipp: „Mäuse, Meerschweinchen, Ratten und Kaninchen sind sehr soziale Tiere. Bei großen Gruppen müssen Heimtierhalter darauf achten, dass bei reduzierter Körnerfütterung bzw. Obstgabe keine Futterkonkurrenz entsteht.“

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