Und weg sind sie! Wie es ist, wenn Kinder das Nest verlassen
Drei Quart glatt, zwei kariert, ein A4-Heft liniert, mit Korrekturrand, zwei ohne Korrekturrand. Und einen neuen Zirkel bitte, der alte ist futsch.
Keine Ahnung, wie oft ich durch diverse Papierfachgeschäfte geirrt bin, um die Heftbefehle meiner Kinder zu exekutieren, Einbände, Filzstifte und Malfarben zu sammeln und schließlich mit der Beute müde daheim anzukommen. Irgendwann hatte ich es so satt. Ich hatte es satt, mit einem Berg aus rutschigen Ringmappen, sperrigen Geo-Dreiecken und Tonnen von Heften am Ende einer langen Schlange zu stehen, in der fünf weitere Menschen mit rutschigen Ringmappen, sperrigen Geo-Dreiecken und Tonnen von Heften erst an der Kassa draufkommen, dass sie den Bleistift mit der Nummer 4 vergessen haben und ich mir dann dachte: Jössas, ich auch!
24 Jahre Elternabende
Unlängst rechnete ich: Zwei Schulkinder, macht in Summe 24 Jahre als Schulkind-Mutter. 24 Jahre Elternabende, 24 Jahre Elternsprechtage, 24 Jahre Weckerklingeln zur Unzeit. 24 Jahre lang die Frage: Hast eh genug gelernt? Hast eh die Turnsachen mit? Hast eh das Jausenbrot gegessen? 24 Jahre der Ermutigung, der Diskussionen, des Streits, der Verzweiflung, der Ermattung, der Tränen, des Lachens und des Stolzes. Gute Jahre, schlechte Jahre. Jetzt, an deren absehbarem Ende, zum Start des (hoffentlich) allerletzten Schuljahres meiner Tochter, kommt eine neue Emotion dazu. Sie heißt Wehmut. Weil etwas endet, das so, in dieser Form, nie mehr wiederkommen wird. Nie mehr Schule. Keine Schule mehr. Nie. Nie. Mehr.
Erleichterung. Freude. Und ganz schön viel Melancholie.
Jägerin des Zirkels
Nach der Matura meines zweiten Kindes fängt meine Reifeprüfung an. Die Rolle der Jägerin des verlorenen Zirkels will neu definiert werden. Das Kind geht, ein erwachsener Mensch kommt. Der letzte Vorhang im Stück „Mutter Courage“ fällt, ich schlüpfe final aus der Rolle der Behüterin. Das erleichtert, das fällt schwer.
Wie sehr, habe ich jetzt zu Schulbeginn bemerkt, als dieses, wie gesagt, letzte Schuljahr für meine Tochter anbrach – sie besucht eine fünfjährige BHS. Und ich sie tatsächlich fragte, ob ich für sie, allenfalls…., hm, nicht doch ein paar Schulsachen besorgen dürfe?! Wohl wissend, dass sie sich das Bisschen locker selbst organisieren kann. Stattdessen biederte ich mich geradezu an, für sie Stifte und Collegeblöcke kaufen zu gehen. Ein letztes Mal noch durch den Papier-Supermarkt stapfen und Eltern dabei beobachten, wie sie mit ihren Kindern Zeichenblocks, Filzstifte und Bastelscheren aussuchen. Nur zum Spaß schrieb ich meiner 18-Jährigen eine WhatsApp-Nachricht: Soll ich den Handarbeitskoffer mit der Eisprinzessin drauf nehmen oder magst lieber einen in Pink? Später umarmten wir einander und erinnerten uns an ihren ersten Schultag, als sie mit Zahnlücke, rosa Bluse, Schleife im Lockenhaar und Glück in den Augen ihren ersten Schultag feierte.
Schreibe etwas über das Leben ohne Schulkinder, lautete der Wunsch der Redaktion. Schon komisch: Malt man sich diese Freiheit im Geiste aus, wirkt die Welt bunt und leicht. Wieder was geschafft, nächster Schritt, Abschiede sind bekanntlich Tore zu neuen Welten.
Adieu, Muttertier
Zunächst aber wird etwas fehlen. Viele kleine Rituale, Gesten und Gewohnheiten. Das Gebraucht-Werden, das Dasein als Muttertier, das Schenken von Geborgenheit und Trost in anstrengenden Momenten. Auch Teilhabe – am Tun der Schulfreundinnen und Freunden, an einem Geschehen, das mir oft ein Stück Jugend ins Leben holte. Nicht zuletzt rückt jetzt auch jener Moment näher, den viele Eltern so herbeisehnen wie fürchten: Das Kind zieht aus. „Empty Nestlers“ werden in den USA jene Mütter und Väter genannt, deren Nachwuchs weg ist. Viele tun sich schwer damit.
Ich erinnere mich an jenen Moment, als mein Sohn den letzten Karton aus seinem Jugendzimmer holte, um in seine erste Wohnung zu ziehen. Ich habe mich so für ihn gefreut, und gleichzeitig geheult. Keine dreckigen Hosen und feuchten Handtücher mehr vom Boden aufheben, nie mehr keppeln müssen. Aber auch nicht mehr dabei sein können, wenn der Bub in der Früh verstruppelt „Guten Morgen“ sagt und um Rat fragt. Mama und Papa – alleine zu Hause.
„Zwei Dinge sollten Kinder bekommen: Wurzeln und Flügel“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe. Erziehung ist ein Abenteuer, das – wie die meisten Abenteuer – irgendwann einmal endet. Das ist dann die Chance, sich selbst und seine Partnerschaft neu zu justieren und zu definieren. Denn ja: Ohne diese ganze Verantwortung zu leben, ohne diese permanente Zuständigkeit, kann auch recht lässig sein. Außerdem: Die Kinder sind zwar nicht mehr da, aber auch nicht ganz weg. Wenn die Schule endet und das eigenständige Leben beginnt, sind die Eltern im besten Fall immer noch Begleiter – ohne erhobenen Zeigefinger, aber stets bereit, da zu sein, wenn es das braucht. Dazwischen aber baumeln wir ein bisserl in der Hängematte und freuen uns, dass die Quartheft-Ära für immer Geschichte ist.
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