Trendforscher Gatterer: "Die Welt wird tatsächlich weiser"

Was wünscht sich Zukunftsforscher Harry Gatterer für 2015? "Schwierige Frage. Wenn sich Wien beim Song Contest im Mai als weltoffene Stadt präsentiert, dann ist das bei aller Oberflächlichkeit der Veranstaltung ein Schritt in die richtige Richtung."
Was sich der österreichische Trendforscher Harry Gatterer von der Zukunft wünscht.
Von Uwe Mauch

Eigentlich darf sich einer wie Harry Gatterer nichts wünschen: "Denn die Gefahr ist groß, dass man dann in der konkreten Forschung einer selbsterfüllenden Prophezeiung unterliegt." Andererseits sind auch Trendforscher nur Menschen: "Und da gibt es schon Dinge, die einem persönlich wichtig sind."

Trendforscher Gatterer: "Die Welt wird tatsächlich weiser"
Zukunftsforscher, Harry Gatterer
KURIER: Was wünscht sich ein Zukunftsforscher von jener Zeit, die er tagtäglich zu ergründen versucht?
Harry Gatterer:Ich wünsche mir einen kompetenteren, entspannteren Umgang mit der heute schon hochgradigen Komplexität. Faktum ist, dass jeder von uns in allen Lebensbereichen mehr Entscheidungen treffen muss und dabei an seine persönlichen Grenzen stößt.

Wie werden wir kompetenter?
Indem wir uns zunächst bewusst werden, dass wir uns permanent selbst überfordern. Und indem wir uns daher zugestehen: Hey, ich kann nicht alles wissen!

Und wie kommen wir weiter?
Indem wir die Irritationen zulassen, indem wir uns auf das Neue, das Fremde einlassen. Dadurch kann man am meisten lernen.

Österreich ist nicht dafür bekannt, euphorisch Unerwartetes zuzulassen.
Das ist natürlich schade. Wir beobachten etwa im Bildungsbereich einen Trend zur totalen Spezialisierung, obwohl wir zunehmend mehr Allrounder, Brückenbauer und Vernetzer mit einer guten Allgemeinbildung und ebenso viel Hausverstand benötigen.

Wo sind Brückenbauer ganz konkret gefragt?
Allgemeinmediziner sollten grundsätzlich gute Brückenbauer sein. Aber die haben nicht die Zeit und immer seltener die kommunikative Kompetenz, um den Patienten die Diagnosen der Spezialisten so zu erklären, dass diese sie verstehen. Daher wird es künftig Übersetzer benötigen. Und ich höre schon die Frage: Wie sollen wir die finanzieren?

Würde Sie die gute Fee treffen und würde die Fee Ihnen in Aussicht stellen, dass eine Prognose, die Ihr Institut für 2030 erstellt hat, in Erfüllung gehen darf: Welche sollte es sein?
Dann bitte jene Prognose: Die Welt wird aufgrund der demografischen Veränderungen tatsächlich weiser, weil mehr Menschen älter, erfahrener und gebildeter sein werden. Es kann daher überlegter, weniger überhitzt agiert werden. Dieser Paradigmenwechsel ist nicht nur wünschenswert, er ist sogar notwendig. Das heißt allerdings nicht, dass wir uns jetzt gemütlich zurücklehnen können. Denn das hohe Tempo der Globalisierung ist einfach nicht aufzuhalten.

Und für 2020?
Dass der Trend zu einem deutlich gesteigerten Ernährungs- und Gesundheitsbewusstsein weiter anhält. Denn nur so können wir die höheren Ansprüche an unser Gehirn bewältigen, ohne dabei auszubrennen und frühzeitig krank zu werden.

Was wünschen Sie sich für die Arbeitswelt der Zukunft?
Dass im Bildungsbereich und in den Unternehmen in die adäquate Ausbildung und Gesundheit der Mitarbeiter investiert wird. Das ist auch ein zentraler Garant für wirtschaftlichen Erfolg. Dass junge Menschen etwa durch Lehrlingssharing die Chance bekommen, unterschiedliche Unternehmen kennenzulernen. Und dass man die Weisheit der älteren Mitarbeiter nicht frühzeitig entlässt, sondern versucht, Symbiosen von Alten und Jungen herzustellen.

Und was wünscht sich der Zukunftsforscher Harry Gatterer für 2015?
Schwierige Frage. Wir denken in unserem Institut selten in so kurzen Kategorien. Aber vielleicht so: Wenn sich Wien beim Song Contest im Mai als weltoffene Stadt präsentiert, dann ist das bei aller Oberflächlichkeit der Veranstaltung ein Schritt in die richtige Richtung. Diese Stadt war schon einmal ein kreativer Schmelztiegel, ein Ort, in dem Zukunft entstanden ist. Allerdings passiert das nicht, wenn man sich auf die eigene Schulter klopft und mit der hohen Lebensqualität zufrieden gibt.

Lesen Sie auch Teil 2: Was sich Michael Chalupka, Leiter der Diakonie, für das Jahr 2015 wünscht.

Der Forscher
Harry Gatterer ist Geschäftsführer des Wiener Zukunftsinstituts und Experte für "New Living". Seine Domäne: Die Zukunft der Arbeit, neue Lebensstile und ihre Wirkung auf Gesellschaft, Unternehmen, Konsum und unsere Freizeit.

Das Institut
Das Zukunftsinstitut wurde 1997 von Matthias Horx gegründet. Seit 2010 verfügt es auch über eine Wiener Filiale. Neu 2015: Auszüge aus Studien sind künftig unter www.zukunftsinstitut.at frei zugänglich.

Gesundheit

Das Thema Gesundheit bleibt allgegenwärtig, wird für den Einzelnen noch bedeutender. Der individuelle Zugang zur eigenen Gesundheit beruht auf der Erkenntnis, dass Gesundheit kein fester Zustand, sondern ein gestaltbares System ist, das stets neu ausbalanciert werden muss. Dadurch steigt das Wissen über den eigenen Körper stetig an, verstärkt durch die vielen Kleingeräte und Apps, die es zur Selbstoptimierung bereits auf dem Markt gibt. Gesundheit wird Taktgeber für das eigene Verhalten.

Wissenschaft

In einer stark vernetzen Welt ist es wichtig wie nie zuvor, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Auch in der Wissenschaft. Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen forschen gemeinsam. Vor allem Themen, die auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeit aufweisen, werden wissenschaftlich untersucht, um neue Perspektiven zu gewinnen und innovative Lösungsansätze zu finden. Die Einsicht, dass radikal neue Erkenntnisse vor allem an Schnittstellen entstehen, ist auch in der freien Wirtschaft angekommen.

Soziales

Das Ehrenamt erlebt ein Revival. Der sozial engagierte und involvierte Teil der Bevölkerung Österreichs wird weiter wachsen. Die soziale Netzwerkgesellschaft, in der wir heute leben, motiviert vor allem die Digital Natives zu sozialem Engagement – neben einem Job, der auch Geld bringt. Karriere und karitatives Handeln ist für die Generation Y kein Widerspruch. Wenn es in Zukunft um soziales Engagement geht, liegt der Fokus deshalb nicht mehr allein auf dem sogenannten Dritten Sektor, den Non-Profit-Organisationen, sondern auch auf den staatlichen, unternehmerischen und privaten Akteuren, die mit einer neu gedachten Form der Gemeinnützigkeit frischen Wind in den sozialen Bereich bringen.

Style

Der Unisex-Modetrend Normcore bezeichnet modeaffine Personen, die jedoch unauffällige und extrem durchschnittliche Kleidung tragen. Die Mischung aus dem Stil der eigenen Eltern und einem Pauschalurlauber mit Funktionsjacke, weißen Socken und Sandalen wird als Antwort auf die totale Überforderung in einer (Mode-)Welt gewertet, in der in immer kürzerer Taktung zu immer günstigeren Preisen die neuesten Trends direkt vom Laufsteg kopiert und angeboten werden.Genuss. Die wachsende Anzahl an Vege- und Flexitariern führt zu einer neuen, vegetabilen Vielfalt in Restaurants. Gemüse wird sexy – in der Sterneküche, aber auch im Schnell-Imbiss von nebenan. Dabei schwappt der Trend der Vegivoren (aus den USA) zu uns herüber. Vegivore machen Gemüse zum Hauptbestandteil ihres Gerichts, verzichten dabei aber nicht auf geschmacksintensivierende tierische Produkte. Gegenüber Rinderbrühe im Steinpilzrisotto oder etwas Speck in der Eierspeise sind die Vegivoren durchaus aufgeschlossen.

Reise

Neben dem Trend des Medizintourismus (länderübergreifende Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung auf hohem Niveau) spielt der Begriff der Mindcoolness besonders in der Business-Welt eine entscheidende Rolle. Es geht dabei schlicht um die neue Sehnsucht nach innerer Stille unterwegs.

Chia-Samen, Boyfriend-Jeans, Smokey Eyes, Herbsthüte, vegane Ernährung – diese und weitere Begriffe stehen für die Trends des vergangenen Jahres. Das ständige Up-to-Date-Sein kann schon sehr anstrengend sein.Daher kann ich Sie für 2015 beruhigen, denn nun lautet das Motto: aus Alt mach Neu!

Sei es das Benutzen von alten Glasflaschen, das Einkaufen in Second-Hand-Läden oder der Genuss übrig gebliebener Speisen vom Vortag. All das fällt unter den Begriff "Nachhaltigkeit", welcher 2015 bestimmt wieder groß geschrieben wird.

Die Themen Verschwendung und das Ausbeuten der Natur beschäftigen die Menschen schon lange. Doch zunehmend wird nach Lösungen gesucht. Auch ich habe diese Weihnachten fast vollkommen umweltfreundlich verbracht. Anstatt immer wieder neue Geschenke zu kaufen, habe ich meine alten Häkelsachen, die ich schon seit der Volksschule nicht mehr benutzt habe, rausgesucht und begonnen, für Familie und Freunde, Handschuhe, Schals und Tassenwärmer zu häkeln. Das hat nicht nur viel Spaß gemacht, es war auch noch nachhaltig und umweltfreundlich. Trotz der anfänglichen Skepsis, ob meine Geschenke gut ankommen, haben diese – mit viel Liebe gemachten – Präsente die üblichen Parfums und Dekorationen in den Hintergrund gedrängt.

Das Umdenken erreicht immer mehr Menschen. Vielleicht wird 2015 das Kantinenessen in den Schulen in Bio-Qualität angeboten, die Fahrkarten auf recyclebarem Papier gedruckt oder lieber auf Glas- statt Plastikflaschen gesetzt. Es wird spannend. Willkommen im neuen Jahr!

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