"Gelähmt ist nicht gestorben"
Zwanzig Jahre nachdem ihn ein Unfall aus dem Auto in den Rollstuhl schleuderte, stellte Tom Gschwandtner am Donnerstag, 3.9., sein Buch vor: "Gelähmt ist nicht gestorben." Es resümiert sein gutes Leben trotz Querschnittlähmung und beantwortet Fragen, die man einem Rollstuhlfahrer aus Rücksicht oft nicht stellt.
Im Waldviertel führt der Weg von Gschwandtners großzügigem Haus zur modernen Pool-Landschaft lang gezogen durch den prachtvollen Garten. Wirkt wie Gartenarchitektur, ist vor allem barrierefrei. Gschwandtner sucht gerade Leseproben für seine Präsentation aus, im Nacken ein nasses Handtuch. Seit der Lähmung schwitzt sein Körper nicht mehr. Auch nicht bei 38 Grad.
KURIER: Sie sagen, man kann "auch sitzend aufrecht durchs Leben gehen". Es gehe Ihnen trotz Querschnittlähmung gut. Jemand ohne Rollstuhl könnte kein Buch herausbringen, weil es ihm gut geht, oder?
Tom Gschwandtner: Es gäbe das Buch ohne Rollstuhl nicht, das stimmt. Ich hatte auch Zweifel und es gibt sicher Menschen, die mir jetzt ins Gesicht springen und meinen: Du Guru, was weißt du schon. Aber es gibt auch jene, die noch immer Fragen zu meinem Alltag haben.
Dann ist das Buch ein Erklärstück für Nicht-Rollstuhlfahrer?
Sie nehmen es auch im Buch oft mit Humor. Aber macht es Ihnen nichts aus, öffentlich über Stuhlgang zu reden?
Ich habe im Buch nichts ausgelassen, auch nicht, wie man als Querschnittgelähmter Kinder kriegt: mit medizinischer Hilfe, in vitro. Denn wie ich schreibe: Eine Biene im Rollstuhl wird ja wohl kaum mehr Weltmeister im Bestäuben sein können!
Welches Verhältnis haben Sie heute zu dem gelähmten Teil Ihres Körpers?
Es ist mein Körper. Am Anfang war er mir fremd. Nach ein paar Wochen griff ich unter die Bettdecke und spürte ein fremdes, behaartes Männerbein. Dein Körper macht, was er will, langsam kommst du ihm wieder näher, zum Beispiel mit den Klogeschichten. Du lernst den Körper zu deuten und zu steuern. Etwa wenn du lernst, dich anzuziehen, nicht leicht mit bewegungslosen Fingern. Ich kann die Arme bis zum Handgelenk bewegen, die Finger wurden zu einer "Funktionshand" versteift, wie ein kleiner Schaufelbagger. Das bewegliche Handgelenk ist mehr wert als ein Ferrari.
Wie lange hat es gedauert, das Schicksal zu akzeptieren?
Ich habe das schnell akzeptiert. Nach Wochen gab es aber den Moment, wo ich erkannt habe: Die Querschnittlähmung gehört wirklich mir. Was mach ich damit, das ist mir zu groß, gebt mir zwei amputierte Beine, aber warum das? Am Anfang bist du auf dich konzentriert, da interessiert dich kein Rollstuhlfahrer. Die Empathie für andere kommt erst später. Manchmal denke ich sogar, ich habe es noch gut erwischt. Nach dem Unfall von Samuel Koch in "Wetten, dass ...", der auch keine Arme bewegen kann, ertappte ich mich bei dem Gedanken, als mir der Kuli runterfiel und das Aufheben umständlich war: Der Koch würde mir jetzt gegenübersitzen und sagen "Tom, du ignoranter Trottel, du kannst das wenigstens selber aufheben."
Viele Menschen zerbrechen an so einem Schicksal, vereinsamen durch Verbitterung. Wieso lief das bei Ihnen anders?
Trotzdem haben Sie 20 Jahre nach dem Unfall ein Buch darüber geschrieben.
Die ersten 17 Seiten hab ich gleich nach dem Unfall geschrieben. Die Idee war immer da, ich hab es weggeschoben, aber der Ehrgeiz blieb, ob der kleine Tom ein Buch schreiben kann. Jetzt ist im Rückblick interessant, wie jämmerlich ich mich damals fühlte, du denkst, dass du alles vergessen musst: Kinder kriegen, Strand liegen, Alltag. Aber in den 20 Jahren konnte ich viel aufbauen, so wie jeder das kann. Ich habe keinen Mangel, mir geht es sogar besser als vielen anderen: Habe Frau, Kinder, Familie, Haus, Garten, Arbeit.
Und viel vor, wie Sie schreiben: "Während Nina und Max aus dem Wasser klettern und sich neben uns in kuschelige Handtücher wickeln, stoßen Gabi und ich an. Der nächste Sommer kann kommen. Wir haben noch viel vor."
Am wichtigsten ist, im Moment zu leben. Aber ich bin draufgekommen, dass es für mich noch nicht aus ist. Es kann viel passieren, auch noch Schlimmes – obwohl ich bei aller Ruhe sage: Was ich habe, reicht mir. Aber verlassen tät’ ich mich nicht darauf.
Tom Gschwandtner, geb. 1969 im Waldviertel, arbeitete nach der Matura im pharmazeutischen Außendienst. Er machte die Ausbildung zum Milizoffizier.
1995 wurde er als Beifahrer in einem Autounfall aus dem Wagen geschleudert und erlitt eine Querschnittlähmung zwischen sechsten und siebenten Halswirbel. Bei seiner Freundin und heutigen Ehefrau Gabi konnte die Verletzung zwischen erstem und zweiten Halswirbel operiert werden. Sie haben zwei Kinder (8 und 10 Jahre).
Beide gründeten als Grafiker und Texter www.datenschmiede.at.
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