Wo die Kinder den Ton angeben

Mit der Musik in Wien Freude und Freunde gewonnen: Beyza Ayan
Aufgeigen, aufsteigen: Der Verein "Superar" formt junge Menschen zu Musikern und Persönlichkeiten.
Von Uwe Mauch

Beyza Ayan strahlt mit ihrer Mutter Yasemin und ihrem Vater Resul um die Wette. Die Ayans sind gemeinsam in die ehemalige Brotfabrik im Süden von Wien gekommen. Wo früher die gestaubten Wecken, die Topfenkolatschen und Semmeln für den Anker gebacken wurden, wird heute fleißig musiziert.

Der Verein Superar, von Vertretern der Caritas, dem Wiener Konzerthaus und der Wiener Sängerknaben im Jahr 2009 ins Leben gerufen und von zwei Privatstiftungen finanziell unterstützt, beschäftigt 26 Chorleiter und sechs Instrumentallehrer. Ihre Aufgabe ist es, Kinder und Jugendliche aus allen sozialen Schichten, aber vor allem aber aus dem untersten Drittel der Gesellschaft kostenlos und dennoch möglichst hochwertig in den Fächern Chor oder Orchester auszubilden. Nebenbei soll auch ihre schulische und ihre persönliche Entwicklung gefördert werden.

Selbstbewusst

"Ich möchte die Matura schaffen und dann Psychologie studieren", sagt die 15-jährige Tochter der Ayans vor dem Unterricht im zehnköpfigen Kammerorchester, dem musikalischen Prunkstück von Superar.

Eine schier unglaubliche, eine kometenhafte persönliche Entwicklung: Vor fünf Jahren kam Familie Ayan aus einer kleinen Stadt südlich der türkischen Hauptstadt Ankara nach Wien. Beyza verstand damals kein Wort Deutsch, vermisste ihre Freunde in ihrer Heimat und fühlte sich in der fremden Stadt und in der fremden Schule anfangs in erster Linie unwohl.

"Die Sprache war für mich die größte Barriere", erzählt die Schülerin heute in fast akzentfreiem österreichischem Deutsch. Das Angebot eines Lehrers von Superar, ein Instrument und nebenbei die fremde Sprache zu erlernen, konnte sie zunächst nicht wirklich begeistern. Musik machen doch die anderen Kinder, die Kinder aus den besseren Familien. Für Kinder wie sie und ihren Bruder ist es viel wichtiger, den Pflichtschulabschluss zu schaffen und eine Lehrstelle zu finden.

Wo die Kinder den Ton angeben
Superar

Doch zum Glück wurde Mutter Yasemin sofort hellhörig. Gegen das Unverständnis in der Verwandtschaft und die Mahnungen eines konservativen Lehrers meldeten die Ayans ihre Tochter bei Superar an. Beyza bekam eine Chance – und nützte sie: Die Tochter eines Hilfsarbeiters und einer Hausfrau, die zuvor musiklos aufgewachsen war, spielt jetzt mit großer Leidenschaft Geige. Hat neue Freunde und nebenbei auch viel Selbstvertrauen gewonnen. Und somit auch die Stadt Wien als ihre zweite Heimat schätzen gelernt. Nicht der Pflichtschulabschluss, sondern ein reguläres Studium an der Universität ist nun ihr Ziel.

Sie war mit dem Orchester inzwischen in Salzburg, Zürich und Istanbul. Ist im Kinofilm Kinders der Riahi-Brüder (siehe unten) zu sehen. Und durfte gemeinsam mit Gustavo Dudamel, dem Dirigenten des diesjährigen Neujahrskonzerts, vor der Kamera posieren. Kein Wunder, dass ihre Eltern und auch ihr jüngerer Brüder stolz auf sie sind. Kein Wunder, dass ihr Bruder auch musizieren möchte. Kein Wunder, dass auch die ursprünglichen Skeptiker beginnen, Beyzas Karrieresprung zu begreifen und Vertrauen in Integrationsangebote zu fassen.

Piano in der Brotfabrik

Diese gelingt bei Superar im Dreivierteltakt. Piano bei den Proben in der alten Brotfabrik, fortissimo auch bei den öffentlichen Auftritten des Vereins. Die Fortschritte der jungen Geigerin und die Euphorie der Familie freut auch Werner Binnenstein-Bachstein, der Superar mitbegründet hat. Der Verein bildet derzeit 1200 Kinder und Jugendliche in Österreich aus, weitere 1150 in der Slowakei und der Schweiz sowie in Liechtenstein, Bosnien und Rumänien. Binnenstein-Bachstein betont: "Wir wollen über unsere hochwertige musikalische Förderung einen Beitrag zur Bildung und Integration leisten. Wir fördern die gegenseitige Wertschätzung über das Medium Musik in breiten gesellschaftlichen Schichten." Der eine oder andere hat übrigens auch schon den prestigeträchtigen Sprung zu den Wiener Sängerknaben geschafft.

Beyza Ayan genießt indes das Musizieren mit anderen, ihren neuen Freunden. Sie nimmt ihr Instrument liebevoll zur Hand, dann sagt sie: "Wenn ich Geige spiele, vergesse ich die Schule und alles andere, was mir Stress bereitet." Und nach einer kurzen Pause: "Die Musik ist mehr als ein Hobby für mich. Ich könnte mir auch gut vorstellen, später einmal mit Kindern zu arbeiten und Musikunterricht zu erteilen."

Der Verein:

Der Musikverein Superar ist heute eine europäische Musik- und Bildungsinitiative, die in sechs Ländern aktiv ist. Derzeit sind 2350 Kinder in Ausbildung.

Das Festkonzert:

Wo die Kinder den Ton angeben
Beyza Ayan und Gustavo Dudamel

Am 20. März lädt Superar zum alljährlichen Festkonzert ins Wiener Konzerthaus. Die Eintrittskarten kosten 25 €. Nähere Infos und Kartenbestellungen unter:http://austria.superar.eubzw.www.konzerthaus.at.

Der Dokumentarfilm:

Die Brüder Arash T. Riahi und Arman T. Riahi haben im Vorjahr über Superar einen Dokumentarfilm gedreht. Kinders ist ein dramatischer, berührender Film über verborgene Potenziale, Integration, die Macht der Musik und eine mögliche Zukunft der Gesellschaft. Er war zuletzt beim Österreichischen Filmpreis 2017 in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“ nominiert.

Eine Sondervorstellung:

Der Filmverleih und Superar laden 90 KURIER-Leser am 27. März ab 19 Uhr zu Filmvorführung und Publikumsgespräch mit Protagonisten und Regisseuren in das Top-Kino, Wien 6, Rahlgasse 1. Eintritt: 7 € plus freie Spende zugunsten Superar. Anmeldung ist erforderlich: anmeldung@superar.eu bzw. 01 / 600 53 51.

Hier lesen Sie mehr über den Film.

Kommentare