Spiel ohne Grenzen
Die Welt IST ein Computerspiel“, heißt es im preisgekrönten Science-Fiction-Film „The 13th Floor“, in dem die Grenzen zwischen Realität und Simulation immer mehr verschwinden und am Ende nichts so ist, wie es scheint. Oder eben alles.
Die Zukunft der Unterhaltung könnte durchaus in diese Richtung gehen, denn egal ob 3-D-Film oder hyperrealistische Computerspiele – die Kraft der Bilder, die wir heute schon täglich sehen, ist ungeheuerlich. Und wie wird sie erst in 20 Jahren sein? „Der Zeitraum scheint nicht so riesig, aber ein Rückblick in die frühen 1990er-Jahre zeigt uns, dass sich auf dem Gebiet der Elektronik in 15 bis 20 Jahre doch einiges tut“, sagt Hannes Kaufmann, Leiter der Arbeitsgruppe „Virtual- und Augmented Reality“ an der Wiener TU.
Kuscheln mit Milla Jovovich
Klar: Smartphones? Keine Spur. Handys? Na ja, was sich damals halt so Handy nannte. Computer? Pfuh, 486 mit satten 8 MB RAM Arbeitsspeicher. Flatscreen-TV, Tablets, WWW, Apps, Bewegungssteuerung, GPS, 3-D-Drucker, Datenbrillen, E-Reader, Online-Musikmarkt, ja sogar Digitalfotografie – alles noch Zukunftsmusik. Zumindest für die meisten von uns.
Also, um jetzt mal das Mooresche Gesetz von der zweijährlichen Verdoppelung der Leistung von Computerchips zu strapazieren: Das heißt dann doch wohl, dass ich im Jahr 2030 mit meiner bis dahin absolut nicht gealterten Lieblingsactionheldin Milla Jovovich auf meiner Wohnzimmercouch einen gemütlichen Drink aus dem Replikator, Entschuldigung, 3-D-Drucker, zu mir nehmen werde, nachdem wir gemeinsam die unglaublichsten Abenteuer erlebt, und das Böse wieder einmal besiegt haben.
„Na ja, ganz so prickelnd wird's in 17, 20 Jahren vielleicht noch nicht werden“, sagt Hannes Kaufmann. Aber? Jetzt muss ein Aber kommen! „Aber dass Sie gemeinsam mit der Projektion von Milla Jovovich – oder welcher Action-Heldin auch immer – Shooter- oder RPG-Abenteuer erleben können, das halte ich für sehr wahrscheinlich.“
Das Holo-Deck am Kopf
Bei Oculus Rift handelt es sich um ein „Head-Mounted Display“, also eine Art Daten-Helm, der dem Träger eine virtuelle, dreidimensionale Welt vor Augen führt. Und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. „Das hat natürlich eine hohe immersive Qualität“, sagt Hannes Kaufmann. Unter Immersion verstehen die Experten das völlige Eintauchen in eine künstlich erzeugte Welt, die Identifikation mit dem Gesehenen.
Aber hatten wir das nicht schon einmal? In den 1990ern liefen doch in manchen Spielhallen Menschen mit merkwürdigen Helmen rum. „Ja, das war vor gut 15 Jahren schon einmal ein Hype“, bestätigt Hannes Kaufmann, „aber damals war einfach die Technik noch nicht gut genug, das Sichtfeld war klein, das Bild ruckelig.“ Heute hat man genügend Rechenleistung – so man je genügend Rechenleistung haben kann –, das Sichtfeld entspricht etwa dem, was wir durch eine Skibrille sehen, die Grafik wird immer besser und die Geräte selbst immer leichter und eleganter.
Bequemere Wege
„Videobrillen werden bis 2030 weit verbreitet sein, davon bin ich überzeugt“, sagt Kaufmann, „und auch einzigartige Filmerlebnisse bieten. Bis jetzt war das Bild ja das Hauptproblem bei dieser Technik. Das haben wir jetzt im Griff und es wird in den kommenden 20 Jahren sicher perfektioniert. Womit die virtuelle Realität noch immer am meisten zu kämpfen hat, ist das Spüren. Da gibt’s bisher nur sehr grobe Annäherungen über Handschuhe und dergleichen. Aber genau auf dem Gebiet sollte sich in den nächsten Jahren am meisten tun.“Na dann: Prost Milla, UND Küsschen.
„Die Frage ist allerdings: Wollen wir das überhaupt? Wollen wir, jeder für sich, auf einem Holo-Deck leben mit virtuellen Freunden und Feinden?“, gibt Kaufmann zu bedenken und ich bin in dem Moment grad froh, dass es eine rhetorische Frage ist. Wobei die Bedenken des Professors nicht unbegründet sind. Wir neigen dazu, Dinge aufzugeben, die wir ganz gut können, weil wir einen bequemeren Weg gefunden haben. „Wer kann sich heute noch ohne Navi orientieren?“, fragt er. Zu Recht. Und können Sie sich eigentlich noch Telefonnummern merken, seit Ihr Handy das für Sie erledigt?
Einstellen auf den Fortschritt
Der technische Fortschritt wird deshalb natürlich nicht halt machen, das wäre auch ein Fehler. Es liegt an uns, uns darauf einzustellen – und uns die möglichen Gefahren bewusst zu machen. Dann können wir die fabelhaften Welten und Abenteuer, die die Zukunft uns bringen wird, auch richtig genießen. Gestochen scharfe Bilder auf riesigen LED-Tapeten, aufklappbare Displays, Projektionen in der Luft, die wie bei einem Zaubertrick im Nichts erscheinen.
Holografien? „Prinzipiell ja. Wir wissen, wie’s geht – aber es ist natürlich eine Frage des Geldes. Derzeit arbeitet man eher mit Projektionen, weil es billiger ist, aber oft braucht’s nur einen entscheidenden Durchbruch und so eine Sache kommt ins Laufen“, erklärt Hannes Kaufmann. Holografien sind aber auch gar nicht notwendig, um eine erste Ahnung von einem Holo-Deck zu bekommen, natürlich fürs Erste noch ohne spüren, greifen, riechen oder schmecken zu können. „Dafür brauchen Sie auch nicht bis 2030 zu warten. Wir arbeiten dran. In vier, fünf Jahren sind wir fertig.“
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Der promovierte Computerwissenschaftler und Mathematiker ist Leiter der Arbeitsgruppe „Virtual- und Augmented Reality“ am Institut für Softwaretechnik und Interaktive Systeme. Mit einer neuen Virtual-Reality- Technik sorgte er kürzlich für weltweites Aufsehen: In eine Datenbrille wird eine vom Computer immer wieder neu generierte Welt aus Räumen und Korridoren eingeblendet. Der Spieler kann sich endlos fortbewegen – wird, ohne es zu bemerken, vom Computer allerdings immer wieder im Kreis geführt und bleibt tatsächlich in einem etwa 10x10m großen Raum. Natürlich geht es hier nicht um Holographien, aber die Wirkung ist praktisch die gleiche: Es ist tatsächlich der erste Schritt Richtung „Holo-Deck“ wie wir es von der Enterprise kennen. Jetzt müssen die Räume nur noch mir Leben gefüllt werden.
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