Sexualität: Was der Koran erlaubt

Enthüllung: Der Koran ist freizügiger als wir Westler meinen
Die Verschleierung intimer Gefühle hat zu vielen Fehlinterpretationen geführt. Ein Aufklärungsversuch.
Von Uwe Mauch

Der Islam sei mittelalterlich und prüde. Wird in diesen Tagen vor allem von jenen verbreitet, die vom Koran und seinen Lehren nur gehört haben. Dabei müssten sie keine einzige Sure lesen, geschweige denn verstehen. Sie müssten auch keinen Imam zum Thema Sexualität zu Rate ziehen. Es würde schon reichen, europäische Religionswissenschafter anzuhören.

Zum Beispiel Thomas Bauer, einen international angesehenen Professor für Islamwissenschaft und Arabistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Bauer ist nicht der Meinung, dass der Islam eine sexuelle Revolution nach westlichem Vorbild benötigt. Er macht lieber darauf aufmerksam, dass arabische Mediziner schon im 9. Jahrhundert Sexualratgeber verfasst haben. "Sie setzten damit eine antike Tradition fort, die erst durch das Aufkommen des Christentums unterbrochen worden war. Über viele Jahrhunderte entstanden arabische sexualhygienische Leitfäden, die sachlich und ohne moralische Bevormundung von Liebe und Sex handelten." Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sind laut Bauer auch unzählige homoerotische Gedichte als anerkannter Teil der Hochliteratur entstanden. Erst als Gelehrte im 19. Jahrhundert auf diese Texte aufmerksam wurden, wurden sie als Pornografie abgewertet.

Im Rahmen der Ehe

Auch Bauers österreichischer Kollege Stephan Procházka, er ist Arabistikprofessor an der Universität Wien, widerspricht dem gängigen Klischee: "Körperliche Liebe wird innerhalb der islamischen Ethik durchaus positiv gesehen – solange sich ihre Ausübung nach den in der Scharia festgelegten göttlichen Regeln bewegt." Die fordern: "Im Rahmen der Ehe." Eine klare Einschränkung, die auch junge Katholiken nur zu gut kennen – aus der eigenen Religion.

Procházka verweist auch auf etliche Hadithe (das sind gesammelte Aussprüche des Propheten; Anm.), welche die Vorzüge der geschlechtlichen Liebe betonen. Nicht zuletzt wird den gläubigen Männern versprochen, dass sie im Paradies von immerwährenden Jungfrauen erwartet werden. "Demgegenüber existiert aber auch eine dunkle Seite der Sexualität", erklärt Procházka. "Sexuelle Betätigung versetzt den Menschen in den Status der rituellen Unreinheit." Und dieser Status darf vor allem vor der Ehe auf keinen Fall erreicht werden. Wiener Jugendliche im Magazin biber klagen diesbezüglich über die Restriktionen.

Sie klagen hinter vorgehaltener Hand. Denn mit ihren Eltern können sie darüber nicht diskutieren. Dazu notiert die in Kanada aufgewachsene Journalistin und Immunologin Shereen el Feki: "Was die Sexualität anlangt, so könne man meinen, die arabische Welt gleiche einer Zitadelle, einer uneinnehmbaren Festung, deren Außenmauer jeden erdenklichen Angriff auf die Bastion heterosexueller Ehe und Familie abwehrt."

Faktum ist, dass viele junge Muslime, die in Österreich sozialisiert wurden, zwischen zwei Welten hin- und hergerissen werden: Außer Haus erleben sie eine schier grenzenlose Freizügigkeit, in ihren Familien dagegen das Festhalten an traditionellen Werten.

Gleichzeitig sind die Imame in einigen Bereichen weitaus liberaler als der fortschrittlichste katholische Papst es je sein darf. So ist etwa die Verhütung überhaupt kein Problem. Unverkrampft werden die Gläubigen auch aufgeklärt, was wie wirkt. Einige Empfehlungen der religiösen Führer mögen für uns fremd anmuten ("während des Beischlafs nicht in Richtung Mekka liegen, weil Gotteslästerung"), insgesamt sind die Dinge jedoch viel weniger verschleiert als allgemein angenommen.

Heute Abend ab 18 Uhr: Podiumsdiskussion in Wien. Zum Thema: Christentum, Islam und Judentum: Was trennt, was verbindet? Mit Weihbischof Franz Scharl, Amina Baghajati und Schlomo Hofmeister. Die Diskussion wird moderiert von KURIER- Herausgeber Helmut Brandstätter.

Sexualität: Was der Koran erlaubt
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Raiffeisen Forum, 1020 Wien, Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Platz 1.

Eintritt frei! Um Anmeldung wird gebeten: telefonisch 05 9030 – 22361 oder per Mail events@kurier.at.

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