Haben Sie einen Sohn? Gratuliere, dann ist Ihre Ehe sicherer. „Wenn Eltern eine Tochter haben, ist die Scheidungsquote höher als bei einem Buben“, zitiert die US-Soziologin Susan L. Brown von der Universität Bowling Green State (Ohio) die Statistik. Die erste Ehe hält durchschnittlich acht Jahre, zeigen US-Daten.
Kein Wunder, dass das Thema Scheidung alle Volksschulkinder beschäftigt, weiß ihre Wiener Kollegin Ulrike Zartler aus dem neuen Forschungsprojekt „Smile“: „Es ist in ihrem Umfeld sehr verbreitet, aber negativ behaftet. Scheidungen werden nicht normaler, nur weil sie häufiger vorkommen.“
Für die Forscherinnen ist klar, in welchem Alter Kinder besonders unter einer Trennung leiden: „Wenn sie noch im Kindergarten-Alter sind, können sie gar nicht verstehen, dass die Eltern sich trennen – und dass sie nicht schuld sind“, erklärt Zartler.
Es reicht aber für eine stabile Ehe nicht, dass die Eltern in der Kindererziehung aus dem Gröbsten heraus sind: „Es gibt eine Zunahme von ’Grey Divorces’ – grauen Scheidungen – von Ehepaaren über 50. Deren erwachsene Kinder nehmen sich die Trennung genauso zu Herzen wie jüngere, weil sie sich fragen, seit wann ihr Familienleben nicht mehr intakt war“, sagt Brown.
Eltern sehen die Scheidung meist als einen einschneidenden Moment, sind sich die Expertinnen einig, aber „das Trennen dauert ein Leben lang, es ist ein Prozess. Es beginnt vor der Scheidung und bekommt immer neue Facetten, etwa durch die andere Wohnsituation oder neue Partner und Kinder“, sagt Zartler.
Dabei machen Eltern eine Menge falsch. Was denn?
Streiten oder nicht?
In Familie A streiten die Eltern zu Hause, die Kinder erleben die Konflikte mit und irgendwann sind alle erleichtert, dass die Eltern sich für eine Trennung entscheiden. In Familie B bemühen sich die Eltern, nicht vor den Kindern zu streiten und entfremden sich still voneinander. Wenn sie das Kind über die Scheidung informieren, ist es geschockt. Für US-Soziologin Brown sind die Konsequenzen klar: „Wenn Kinder von der Scheidung überrascht werden, bringt das ihr ganzes Selbstverständnis durcheinander. Die heile Familie bricht zusammen und sie müssen ihr ganzes Weltbild hinterfragen. Was habe ich übersehen?“
Wer sagt es dem Kind?
„Selbst wenn sich die Eltern gar nicht mehr verstehen, müssen sie es den Kindern gemeinsam sagen, dass sie sich trennen.“ Die wichtigste Kernaussage beider: „Sie lassen sich voneinander scheiden, nicht von ihrem Kind.“ Doch häufig stimmt das leider nicht, wie es schon in den Märchen gezeigt wurde, sagt Brown: „Wir nennen das ’serielle Vaterschaft’, wenn sich ein Mann vor allem um das Kind aus der aktuellen Beziehung kümmert und das andere vernachlässigt.“
Immer neue Fragen
„Österreich ist eines der letzten Länder, wo das Verschulden im Scheidungsverfahren noch von Bedeutung ist“, erklärt Zartler. Das belastet die Situation noch mehr. Beim Gericht geht es vor allem darum, was für das Kind gut ist. Ab dem Alter von zehn Jahren werden Kinder nach ihrer Meinung gefragt, aber sie wollen möglichst keine Position beziehen, um nicht zwischen die Fronten zu geraten, weiß Zartler: „Es muss den Eltern auch klar sein, dass viele Regelungen für den Moment richtig sind, aber die Situation sich bei älteren Kindern verändert.“
Während Kinder früher während der Woche eher bei der Mutter wohnten und am Wochenende beim Vater waren, geht der Trend eindeutig zu Doppelresidenzen, sagt Zartler: „Meist ist das Kind im Verhältnis 70:30 zwischen den Eltern aufgeteilt, immer öfter auch 50:50. Man darf nicht unterschätzen, was das für eine Belastung für die Kinder ist. Jüngeren ist besonders wichtig, dass die Aufteilung zwischen den Eltern fair ist. Teenager sagen oft, dass sie das nicht mitmachen wollen.“
Wie entsteht Stabilität?
„Viele Nachwirkungen, die mit der Scheidung begründet wurden wie Bindungsangst, sind nicht nur von der Trennung verursacht, sondern etwa von den langen Konflikten davor“, erklärt Zartler über die neuere Forschung. „Was Kinder vor allem wollen, ist eine Routine, an der sie sich wieder orientieren können. Dann können sie sich an alles gewöhnen“, erklärt Brown.
Keine falsche Harmonie
Die rundum glückliche Patchwork-Familie wirkt als Idealbild. „Geschiedene Promis werden immer gezeigt, wie sie mit allen Kindern zusammen Geburtstage oder Weihnachten feiern oder sogar auf Urlaub fahren. Das erzeugt einen enormen Druck auf Eltern“, betont Zartler. „Manchmal ist es besser zu sagen: ’Feiern wir lieber getrennt’ als still unter der emotionalen Belastung zu leiden.“
Eine Herausforderung sind neue Personen im Familienverband. Sie können das fragile Gleichgewicht schnell durcheinanderbringen. Besonders schwierig laut Zartler: „Wenn die neue Freundin des Vaters nicht weiß, ob sie die Mutterrolle übernehmen darf und die Kinder erziehen will. Oder der neue Freund cooler ist als der eigene Papa. Das hängt auch sehr von der Situation und den Kindern ab.“
Kompliziert wird es mit Kindern verschiedener Eltern: „Wenn Kinder unter einem Dach wohnen, kann man sie nicht unterschiedlich behandeln, selbst wenn es nur ein Wochenende ist. Man kann nicht zu seinem Kind streng sein und zum anderen nicht.“
Wer trägt die Verantwortung?
Sofern die Eltern nicht sehr gut miteinander abgesprochen sind, können Kinder sie gegeneinander ausspielen. „Kein Elternteil will der Böse sein und unpopuläre Entscheidungen treffen, vor allem, wenn er das Kind nur am Wochenende sieht“, sagt Brown. Es gebe eine Bezeichnung für die Väter, die sich nur für den Spaß zuständig fühlen: „Disneyland-Papas“.
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