Dem Gründer des Grazer Reiseveranstalters Weltweitwandern haben die Trekker zu verdanken, dass sie Patagonien-Feeling vor der Haustür erleben. 1987 kam er als Student erstmals ins Velebit und war fasziniert vom Karst-Zauberland mit seinen Dolinen und Höhlen; den aus Kalk geformten Rippen, die sich aus wilden Buchenwäldern erheben und in spitzen Gipfeln kulminieren; den scharfen Kontrasten zur tiefblauen Adria, getupft mit sandgelben, kahlen Inseln.
Den Weg gibt damals wie heute Ante Premužić vor. Der Forstingenieur begegnet einem als Schwarz-Weiß-Fotografie auf einer Infotafel des Nationalparks Nördlicher Velebit: das Kinn vorgereckt, die Augen zusammengekniffen, der Schnauzer ordentlich getrimmt.
Beschäftigungsprojekt mit Weitblick
In den 1930er-Jahren hatte er eine verwegene Idee: Um die örtliche Bevölkerung während der Wirtschaftskrise in Lohn und Brot zu bringen, organisierte er unter österreichischer Patronanz ein „Beschäftigungsprojekt“: den Bau eines siebenundfünfzig Kilometer langen Fernwanderweges durch den wildesten Teil des hier dramatisch zerklüfteten Velebit-Gebirges.
Die Gruppe rund um Christian Hlade lässt sich drei Tage Zeit für diesen Traum- und Genuss-Trail – und zum Staunen über die Kunstwerke aus bleichen, geriffelten Karstfelsen, über die üppige, bunte Blumenpracht, über eine Hornviper, über in den Alpen längst verschwundene Schmetterlingsarten, über die weißen Fähren, die tief unten durch die Adria pflügen.
Hlade erinnerte sich an seine jugendliche Wanderung auf dem Premužić-Trail, als er viele Jahre später mit der Familie Urlaub an der Küste Dalmatiens machte. Allmählich reifte in ihm ein Plan: Dieser Weg müsste sich doch nach Süden fortsetzen lassen, bis zum Nationalpark Paklenica.
Lockdown-Projekt der anderen Art
Zu Fuß und per Mountainbike erkundete er Routen. Er kaufte Karten, studierte GPS-Tracks und zog mit seinem lokalen Partner Edo los, Chef einer Outdoor-Agentur und bekennender Karsthöhlen-Fan. „Es war unser Lockdown-Projekt“, sagt Hlade. „Schnell war klar: Das wird wild und einsam. Logistisch anspruchsvoll. Ein echtes Abenteuer.“
Vor allem dann, wenn sich die Bora aufbaut. Die Trekker kämpfen gegen Sturm und Regen, werden bei Windstärke acht gebürstet. Und fühlen sich doch lebendig wie nie an diesem „bad hair day“. Helfen einander, halten zusammen und bekommen ein Gespür für das harte Leben der Bauern.
Apachen-Kulisse
Als die Bora nach zwei vollen Tagen einschläft, wandern sie durch seltsam vertraute Landschaften. Ja. hier wurden die meisten Szenen für die Winnetou-Trilogie gedreht. Der Apachen-Häuptling aus der Feder des Sesselpupsers Karl May wurde zuletzt ja wieder Gesprächsthema.
Milka und Petar Marasović, die die Gruppe im fast ausgestorbenen Weiler gleichen Namens (Marasovići) für eine Nacht beherbergen und mit Suppe, Gulasch, Schnaps und Pivo aufpäppeln, ist das einerlei. Petar ist jenseits der siebzig und kann nicht mehr so gut gehen. Doch er will die Sommer nach wie vor hier oben verbringen. Bei den weißen Hirtenhunden, groß wie Kälber, die dennoch nicht verhindern konnten, dass sich die Wölfe den Welpen seiner Hündin schnappten. Ja, es geht manchmal ruppig zu auf dem Velebit.
Erst am letzten von sieben Wandertagen nähern sich die Truppe im Nationalpark Paklenica allmählich der Zivilisation. In der Hütte von Marijo Ramić und Tochter Nicolina gibt es ein ganzes Arsenal aus mit Rakija (Obstbrand) angesetzten Likören zum Durchkosten.
Danach geht es ohnehin nur noch bergab durch die imposante Kerbe der Paklenica-Schlucht mit den vierhundert Meter aufragenden Kalk-Mauern, die fest in der Hand der internationalen Kletterszene sind.
Plötzlich so viele Menschen auf einem Fleck zu sehen, ist fast verstörend. Wenn die Wanderer später aber bei Starigrad kopfüber in die Adria springen wollen, müssen sie da durch. Sie schaffen das, immerhin haben sie ja auch die Bora überlebt. Von Günter Kast
Kommentare