Wie viel Berg kann ein Kind?
Einer der schönsten führt um den Schafberg. Damit man ihn mit den Kleinen gehen kann, müssen die nicht nur Kondition haben, sondern sich auch konzentriert können
Die Hand der Sechsjährigen umschließt fest das Drahtseil. Sie setzt auf dem schmalen Pfad, der durch den steilen Hang schneidet, konzentriert einen Fuß vor den anderen. Ihr Vater dahinter weist sie an, den rechten – den talseitigen – Fuß nicht so nah an den Wegrand zu setzen. Der Schritt über die Grasnarbe könnte fatale Folgen haben, der Hang ist steil. Solange die Füße auf dem Pfad bleiben, und die Hände zur Sicherheit am angebrachten Seil, ist es ein Weg ohne Probleme und ohne Steigung, eine Hangquerung eben. Konditionell ein Klacks, aber mit Konzentrationspflicht. Nicht einmal zum karibischtürkisen Wolfgangsee darf man schauen, nicht an dieser schmalen Stelle beim Purtschellersteig auf dem berühmten Schafberg.
Eltern und Kinder haben mitunter unterschiedliche Ansichten, so auch beim Wandern. Während die Großen jene Bergwege als kindertauglich sehen, die möglichst weit entfernt von Abhängen verlaufen und keine Stolpergefahr aufweisen, lieben die Kleinen das Abenteuer im Allgemeinen und daher Klettern, Kraxeln, Drübersteigen, Felswände im Besonderen. Das resultierende Dilemma manifestiert sich oft im Satz „Wandern ist fad“. Aber weil die Erwachsenen halt die Regeln machen, wurden zunehmend die „familientauglichen“ Wege so einfach wie möglich gemacht. Am besten ohne Wurzeln und bretteleben, damit man sie auch mit dem Kinderwagen schafft. Dass die Wegauswahl dadurch nicht attraktiver wurde, liegt auf der Hand.
Die Steige auf dem Schafberg hingegen sind sehr attraktiv. Der Berg ist ein Paradoxon: Mit 1.783 Meter zwar nicht besonders hoch, aber seine Nordwand ist mächtig. Mit dem viel fotografierten Schutzhaus Himmelspforte, dabei ist das Berghotel daneben die eigentliche Attraktion. Die Wege sind steil und teils sehr alpin, weil aber die Schafbergbahn von St. Wolfgang bis kurz unter die Spitze fährt, sind an schönen Sommertagen bis zu zweitausend Menschen auf dem weitläufigen Gipfelplateau. Dafür braucht man nur Sandalen, aber wer hinaufgehen will, muss Kondition und Schuhwerk haben, schon der einfachste Weg von ganz unten dauert gut drei Stunden und 1.200 Höhenmeter. Die schönste Route ist eine andere: Mit der Bahn bis zur Schafbergalm auf 1.364 Meter, dann über den Purtschellersteig, durch den Wald, vorbei an drei Bergseen und unter der Nordwand vorbei quasi auf die andere Seite, bis man im grandiosen Schlussstück dieser Wanderung durch die steile Himmelspforte, eine Rinne im Fels auf Serpentinen, den Berg betritt.
Richtig respekteinflößend ist der Purtschellersteig, wo man durch steile Felsstufen hinab- oder hinaufsteigt. Es sind nur ein paar Minuten, aber hier ist der Berg ausgesetzt und verzeiht kein Stolpern. Die sechsjährige Rosemarie hält sich auch jetzt am Seil an und achtet genau, wohin sie die Füße setzt. Am Ende dieser Schlüsselstelle ist sie merklich stolz.
Wie schwierig ein Wanderpfad für Kinder sein darf, ist nicht allgemein zu beantworten. Es hängt von der Kondition und Gehtüchtigkeit des Kindes ab, vor allem aber auch von der Fähigkeit, sich auf den Weg zu konzentrieren. Wer nicht schaut, wo er hinsteigt, fällt zwar auch in der Großstadt gelegentlich auf die Nase, aber eben nicht in den Abhang. Wenn ein Kind trittsicher ist, ein paar Stunden Gehen ohne Murren schafft, und Mama und Papa an schwierigen Stellen die Gefahr glaubt, kann man mit ihnen auf spannende Bergetappen wechseln. Zum Beispiel auf Steige.
Als Rosemarie im Hotel Schafbergspitze ankommt, begrüßt sie Chef Harald Pasch mit einem herzlichen „Hut ab!“, er staunt, dass sie die Strecke geschafft hat. „Es kommt halt immer drauf an, wie viel Bergerfahrung ein Kind schon hat. Beim Purtschellersteig würde ich aber immer empfehlen, dass Eltern ein einfaches Seil mithaben, um die Kinder an ausgesetzten Stellen am Körper zu sichern.“ Pasch kennt den Schafberg seit er 1968 zur Welt gekommen ist, sein Vater hatte zwei Jahre davor die Pacht hier angetreten. „Mein Bruder und ich sind hier aufgewachsen, und ehrlich gesagt hat die Mama schon oft einmal Angst gehabt, wir sind ja immer herumgekraxelt.“ Pasch, der seit 1983 im Betrieb arbeitet und seit 2002 selbst Pächter des Berghotels ist, erzählt von Abenteuern, die Kindern auch heute gefallen: Wenn man beim Purtschellersteig etwa ein paar Schritte in die Wetterlochhöhle abzweigt („Aber Achtung, da geht es weit und steil hinein“) über Baumstämme steigen muss, oder die beeindruckenden Bergseen unter der Felswand.
Apropos See: Auf diesem Weg wartet hinter jeder Ecke der atemberaubende Blick auf einen neuen. Man startet über dem Wolfgangsee, blickt bald auf den Attersee und endet quasi über dem Mondsee. Auch vom Gipfel und vom Berghotel aus sind die Seen der Hauptblickfang: „Bei guter Sicht sieht man von hier mindestens sieben Seen, manchmal sogar den Chiemsee“, sagt Pasch. Der ist siebenundsiebzig Kilometer entfernt, in der Richtung, in der auch die Sonne untergeht – so eindrucksvoll, dass manchmal zum Staunen sogar der Pasch Harald „noch ausse rennt“.
Kommentare