Auszeit im Chiemgau: Leuchtender Winterzauber am See
Als hätte er die Sommerfarben verschluckt, liegt er da in all seiner Ruhe und Größe: der Chiemsee, Spiegel des Chiemgaus. Ein Wintermärchen.
Von Nicola Afchar-Negad
Die Äste knacken unter den Füßen, der Wind ist beißend kalt hier am Ufer des Chiemsees, im Schilf glitzert Raureif, in der Ferne hört man Rufe – und entdeckt doch glatt einen Windsurfer am Wasser. Eingepackt in Neoprenanzug, Haube und Handschuhe frönt er oder sie dem sogenannten „Cold Water Surfing“.
Die Saison geht hier so lange, bis der See zugefroren ist, da kennen die Oberbayern nix. Eine faszinierende Szenerie, nur die Singschwäne zeigen sich gänzlich unbeeindruckt. Der Chiemsee, eingebettet in eine hügelige Landschaft, nur unweit von München, ist im Sommer ein Ort des Trubels, im Winter ein Ort der Einkehr.
Wie ein langer Atemzug der Stille liegt er vor einem ausgebreitet da, fast so, als würde er schlafen, bewacht von den Bergen dahinter. Die sanfte Weite im Norden, die Felder, Moore und Dörfer sowie das schroffe Gebirge im Süden bilden das klassische Postkartenmotiv. Von wirklichen Hochgebirgsdimensionen ist man hier ein Stückchen entfernt – und das bewahrt den Chiemgau vor Halligalli und Humtata.
Hierher kommt, wer das Winterwandern schätzt (erster Premium-Winterwanderweg auf 1.200 Metern in Reit im Winkl!), wer gern seine Langlaufrouten zieht (sogar mit Kinderloipe!), wer im beheizten Outdoor-Pool (Chiemgauhof) vor sich hinträumt oder am Lagerfeuer (Relais & Châteaux Gut Steinbach) Funken in den Sternenhimmel tanzen lässt.
Träume und Erinnerungen
Der Chiemgau ist etwas für Menschen, die das Träumen noch nicht verlernt haben. Das merkt man auch im Gespräch mit Lotte Römer, die unter dem Pseudonym Franziska Blum etliche Chiemsee-Romane im Penguin-Verlag veröffentlicht hat. Mit „Weihnachtsliebe auf den zweiten Blick“ (Kampenwand Verlag) gibt es jetzt auch ein winterliches Pendant.
Die Autorin ist ganz hingerissen: „Bevor es zum ersten Mal schneit, sagen wir hier oft, dass es nach Schnee riecht. Schneit es dann wirklich, dämpft das jedes Geräusch, dann ist es winterstill bei uns. Ist der See auch noch zugefroren und die Luft klirrt vor Kälte, riecht es tatsächlich nach gar nichts.
Ich muss dann immer daran denken, wie meine Eltern mich als Kind im Schlitten über den gefrorenen See bis zur Herreninsel gezogen haben.
“Die Herreninsel, ein gutes Stichwort. Anstatt auf Eis und Schlitten zu warten, setzt man besser auf die Chiemsee-Schifffahrt, die einen auf die Herren- und Fraueninsel bringt. Das Schloss Herrenchiemsee – das bayerische Versailles – ist seit diesem Sommer Teil des Weltkulturerbes (gemeinsam mit anderen Schlössern von König Ludwig II. von Bayern).
Seit kurzem UNESCO-Weltkulturerbe: das Schloss Herrenchiemsee auf der Herreninsel. Das Mini-Versailles wurde von König Ludwig II. beauftragt
©mauritius images / Peter Roland Schreyer/Peter Roland Schreyer/mauritius imagesMan darf damit rechnen, dass dieses Status-Update bald in den internationalen Reisekatalogen Widerhall finden wird. Insofern ist vermutlich genau jetzt die beste Zeit für einen Ausflug. Man kann durchs Schloss spazieren, natürlich. Aber was man nicht auslassen sollte, ist ein Spaziergang rings um die Insel, empfiehlt Römer. „Die Aussicht auf unseren Hausberg, die Kampenwand, ist fantastisch.“
Und das gerade auch im Winter, wenn das Licht zwar oft hart, aber dafür auch wie poliert, erscheint. Nie wirken See und Berge bestimmender als jetzt, wenn der sommerliche Weichzeichner fehlt.
Zurück in Prien dämmert es vielleicht auch schon, und am Weihnachtsmarkt (heuer erstmals mit Happy Hour) warten die Pferde auf die nächste Kutschenfahrt. Die Kombination aus Bergen und See ist kaum zu toppen – trotzdem verlassen wir das bayerische Meer für einen Moment.
Gehört im Dezember einfach dazu: Christkindlmarkt in Traunstein
©Chiemgau GmbHSo geht Winter
Szenenwechsel. Reit im Winkl, 25 Autominuten vom Chiemsee entfernt. Hier auf der Winklmoosalm, einer weitläufigen Hochebene im Dreiländereck Bayern, Salzburg und Tirol, ist Rosi Mittermeier aufgewachsen. Die vielleicht schönste Alm der Chiemgauer Alpen liegt auf 1.200 Metern – sonnig, ruhig und mit einer Aussicht, die ihresgleichen sucht.
An klaren Tagen reicht der Blick bis zum Chiemsee und in mondscheinlosen Nächten erspäht man die Milchstraße als zartes Band über den Bergspitzen. Bereits Anfang Oktober fiel der erste Schnee auf die Hütten und Wiesen, das macht Hoffnung für die Saison.
Es gibt neun Kilometer Talabfahrt von der Winklmoosalm, 13 Kilometer präparierte Winterwanderwege und einen Nordic Park im Tal – dazu Veranstaltungen wie den Mountainman-Wintertrail (7.3.26) oder die „Rauszeit Team Trophy“ (1.2.). Bis in den Februar hinein läuft auch noch ein Wintermarkt.
Im Chiemgau hat man verstanden, womit man sich in anderen Destinationen noch schwer tut und mit der Akklimatisierung kämpft.
Winter muss neu gedacht werden. Skifahren mag für viele das Leiwandste sein, aber clever ist, wer sich breiter aufstellt – und damit ist nicht die Skitechnik gemeint. Ein deutliches Zeichen dafür, dass man auf dem richtigen Weg ist, ist die Hotellerie.
Vom Relais & Châteaux Gut Steinbach, in dem am 13. Dezember Schauspieler und Umweltaktivist Hannes Jaenicke die Geschichte „Der glückliche Prinz“ von Oscar Wilde vor dem Kaminfeuer liest, bis hin zu lässig-moderner Chalet-Architektur (etwa die Agrad Chalets in Aschau) – hier tut sich was, und zwar zum Guten, wenn nicht sogar zum Besten.
Für Aufsehen hat etwa auch die Eröffnung des Chiemgauhofs gesorgt, womit wir auch wieder direkt am See wären. In der Lakeside Bar, auf einem Fauteuil sitzend, mit Kaffee und Kuchen, den Blick durch bodentiefe Fensterfronten auf den metallisch glänzenden See gerichtet – so geht Winter Mitte der 2020er-Jahre.
Erschreckend schön
Nicht nur das Schöne und Beruhigende ist im Chiemgau im Aufwind – auch das genaue Gegenteil. Das Raue und Ungezügelte zeigt sich in Form von Krampus und Perchten. „Diese Läufe werden wieder mehr“, beobachtet Lotte Römer, die Kramperln, wie sie in Bayern genannt werden, über ihre Romanseiten toben lässt. „Ich persönlich mag die mystische Stimmung.“
Wer Mitte Dezember anreist, hat zwar viel vom wilden Treiben verpasst, aber am 20.12. durchbrechen Schellenklang, Holzruten und zottelige Felle noch einmal die Ruhe der Nacht, zeigen Kraxenmandl, Frau Perchta und Schiachpercht noch einmal ihren Tanz aus Furcht und Freude und sorgen für dieses Soll-ich-lachen-oder-schreien-Gefühl beim Publikum.
Aber keine Sorge: Spätestens am nächsten Morgen, in der Gondel oder am Schiff, hört man es wieder: das Chiemgauer Winterflüstern, das zwischen See und Bergen niemals verhallt. Versprochen.
Kuriose Fakten. Wussten Sie, dass…
- … der Sternenpark 2018 der erste seiner Art in den Alpen war?
- … Reit im Winkl auf 1.200 Metern Höhe Deutschlands erste Premium-Winterwanderwege hat?
- ... es außer dem Chiemsee noch 50 andere Seen im Chiemgau gibt
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