Stadtporträt Klagenfurt: Zwischen Sonne, See und Nebel
Should I Stay or Should I Go? Der Titel der Band „The Clash“ lief in den Neunzigern auf jeder Party in halboffiziellen Lokalen (eines hieß wenig originell „Kult“), wo man sich die Klagenfurter Nächte um die Ohren schlug. Bei mir standen die Zeichen bald auf „Go“ – der Wunsch nach mehr Chancen, mehr Abwechslung, mehr Urbanität (und weniger von dem zähen Nebel, der vom See aufsteigt) war groß.
Seither pflege ich ein ambivalentes Verhältnis zu meiner Heimatstadt. Natürlich haben bestimmte Orte einen festen Platz im Herzen – über den Wörthersee, den man rechtzeitig zur Fußball-EM 2008 noch offiziell an die Ortsbezeichnung „Klagenfurt“ anhängte, reden wir da gar nicht. Doch beschleicht mich immer wieder der Eindruck, dass die Kärntner Landeshauptstadt, die auch eine Universitätsstadt und dank eines Konservatoriums und musealer Einrichtungen ein Sammelort für Kunst und Musik ist, ihr Potenzial nicht in dem Maße ausschöpft, wie sie es könnte.
Viel Platz auf wenig Raum
Meine mentale Landkarte von Klagenfurt wird aus einer Abfolge von charaktervollen, mit Leben erfüllten Orten gebildet. Da sind zunächst die öffentlichen Plätze, von denen es in der Innenstadt überdurchschnittlich viele gibt: Den Neuen Platz mit dem Lindwurm und den Alten Platz mit den schönen Fassaden, dazu den Landhaushof und den Heiligengeistplatz sowie den Benediktinerplatz, auf dem sich donnerstags und samstags, wenn die Standler den Raum um die permanenten Markthallen befüllen, ein reges Treiben entfaltet.
Kasnudeln
Kulinarisch ist hier von Kasnudeln bis zu Köstlichkeiten aus Italien und Slowenien die ganze Vielfalt zu schmecken, die die – entgegen populistisch befeuerter Grenzziehungen – immer schon diverse Region hergibt.
Doch nicht nur einzelne Plätze, auch Gegenden definieren das psychogeografische Puzzle Klagenfurts. Der Lendkanal, eine Wasserstraße, verbindet die Innenstadt mit dem See, die Radetzkystraße läuft wie ein Pariser Boulevard vom Zentrum schnurgerade zum Kreuzbergl, wo eine Kirche als Aussichtspunkt thront. Zwischen diesen Linien haben sich Gründerzeithäuser und Villen angesiedelt: Man spürt hier den Gestaltungswillen des 19. Jahrhunderts mit Sinn für das große Ganze.
Fliehkräfte
Irgendwann scheint Klagenfurt dieser Sinn abhandengekommen zu sein. Die Abwanderung von Geschäften an die Peripherie und die Zersiedelung ist freilich kein exklusives Problem der Landeshauptstadt, doch der politische Wille, diesen Kräften etwas entgegenzusetzen, war in den vergangenen Jahrzehnten nicht wirklich spürbar.
Die dominierenden Bauten der Nullerjahre waren das 2006 eröffnete Einkaufszentrum „City Arkaden“, das heute immerhin als Frequenzbringer für Teile der Innenstadt dient – nahe des Lindwurms ist die gähnende Leere der Geschäftslokale aber nicht zu übersehen. Und es gibt das 2007 eröffnete, überdimensionierte Fußballstadion, das 2024 unter anderem Schauplatz zweier Rammstein-Konzerte sein wird. Was Klagenfurt fehlt, ist zum Beispiel ein Hallenbad und eine städtische Bibliothek. Letztere urgiert der Büchner-Preisträger Josef Winkler, ein brillanter wie lästiger Denker, immer wieder.
Kulturmetropole
Künstler, Dichter und Denker gehören zu denen, die in Klagenfurt oft ein „trotzdem“ formulierten. Neben Winklers literarischen Vorgängern Robert Musil und Ingeborg Bachmann waren das bildende Künstler wie Maria Lassnig oder Hans Bischoffshausen. Mithilfe der heute nicht mehr existenten Galerie Hildebrand entstand in Klagenfurt einst eine Drehscheibe für die Avantgarde – von der breiten Bevölkerung freilich unbemerkt. Lassnig wiederum unterhielt zu Beginn ihrer Karriere einen kleinen Salon nahe am Heiligengeistplatz: Auf private Initiative hin wurde dieser Ort nun renoviert, es gibt Pläne für eine halböffentliche Nutzung als Kunstraum.
Überhaupt sind es oft die engagierten Einzelnen, die dafür sorgen, dass in Klagenfurt Orte zu beseelten Teilen des Stadtmosaiks werden: So ist der Lendhafen dank der Kulturprogramme des „Lendhauer“-Vereins und der Lokale „Hafenstadt“ und „Lendhafencafé“ zu einem Hotspot geworden, den es früher so nicht gab. 2020 stellte der Theatermann Bernd Liepold-Mosser ein neues Kulturfestival auf die Beine (heuer: 22. 5. – 4. 6.). Der „Kunstraum Lakeside“ belebt das Uni-Viertel, es gibt außerdem engagierte Galerien, einen „Raum für Fotografie“ und mehr. Nein nein, in die „Früher war alles besser“-Falle tappe ich dann doch nicht. Ich komme wieder.
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