St. Anton am Arlberg: Das verrückteste Rennen der Welt
„Sie fahren den Weißen Rausch? Toll!“ Die Bewunderung der Hausherrin der Pension in St. Anton wirkt nicht gespielt und erfüllt mich doch mit Stolz. Ihr Nachsatz lässt mich jedoch grübeln: „Da wäre es aber g’scheit, wenn Sie das Zimmer im Voraus bezahlen.“
Der Weiße Rausch ist das verrückteste Skirennen der Welt – und die etwas andere Art, den Arlberg zu entdecken. Wenn am vorletzten Skitag des Jahres die Lifte am späten Nachmittag geschlossen haben, stürzen sich 555 Starter und Starterinnen (in drei Gruppen) vom höchsten Punkt des Skigebiets am Vallugagrat auf 2.647 Metern in die Tiefe – per Massenstart. Wer als Erster in St. Anton auf 1.320 Metern ankommt, ist der Sieger. Dazwischen liegen haarsträubende Abfahrten mit bis zu 100 km/h, ein knackiger Anstieg, den nur die Allerbesten mit Schlittschuhschritten bewältigen können, meterhohe Buckel auf der schwarz markierten „Kandahar“-Piste und am Ende drei Hindernisse aus Schnee, die zu überklettern sind. Im vergangenen Jahr war ich zum zweiten Mal mittendrin, bei diesem weltweit einzigartigen Skirennen.
- Anreise: St. Anton ist perfekt mit dem Zug erreichbar. Vom Bahnhof ist man in fünf Gehminuten bei der Gondelbahn.
- Das Rennen: Die Anmeldung zum Weißen Rausch am 20. April 2024 läuft seit 1. 12. Die Startplätze sind rasch vergeben.
- Die Teilnehmer: Auch Sportlerinnen und Sportler mit Snowboards oder Kurzski können teilnehmen. Anfänger sollten davon Abstand nehmen.
Die Gondel zum Start ist vollgestopft, man riecht die Angst. Der Start meiner Gruppe der 40- bis 60-Jährigen verzögert sich. „In der ersten Gruppe ist einiges passiert“, sagt der Moderator. Man hört einen Hubschrauber. Muss ein Verletzter geborgen werden? Oder ist er doch nur für Video-Bilder in der Luft?
Dann die Sirene. Los geht’s in die Hocke. Am Ende des Kessels wird es eng, jemand fährt mir bei 80 km/h auf den rechten Ski. Später sehe ich auf einem Youtube-Video, wie er hinter mir schwer zu Sturz kommt. Es folgt der Anstieg. Ski abschnallen, ewig lange Meter in großer Höhe aufsteigen, es wird geschnauft, geflucht. Wieder anschnallen.
Auf direktem Weg geht es Richtung Tal, in der buckligen „Kandahar“ sehen selbst die besten Skifahrer aus wie Anfänger. Plötzlich wird es warm, patzig wird der Schnee. Vor den Skihütten stehen Zuschauer und feuern die Läufer an. Am Ende müssen wir noch über drei Schneehügel klettern. Mehrere Hundert Zuschauer sorgen im Ziel für eine großartige Stimmung – beim Weltcuprennen in Val-d’Isère wäre man froh über diese Kulisse.
Nach 12:52,11 Minuten bin ich im Ziel, einige Teilnehmer kugeln völlig ausgepumpt im Schnee herum, mehr als vier Minuten fehlen auf den Sieger. Der Stolz überwiegt trotzdem. Doch ich bin mir nicht sicher, ob ich mich über Platz 101 freuen soll.
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