Monoskifahrer fährt eine Piste hinunter

Kaunertal: Befreit und barrierefrei auf dem Gletscher Skifahren

Das Tiroler Kaunertal hat sich als Skigebiet auf Menschen im Rollstuhl spezialisiert. Holger Dieudonne ist einer von ihnen: „Glücksgefühl auf der Piste ist unbeschreiblich.“

Dieses Gefühl von Freiheit, Unbeschwertheit und Leichtigkeit. Dieser Adrenalinkick, wenn es rasant bergab geht und der Schnee staubt. Dieser Zug, wenn sich der Körper in die Kurve legt und die Schwerkraft ausgleicht: Das alles wollte Holger Dieudonne nicht missen.

„Ohne Sport könnte ich nicht leben“, sagt der 59-Jährige. Dann schwärmt er weiter von der „kalten Winterluft, den Bergen und dem Glücksgefühl auf der Piste“.

Geschultes Personal

Deswegen reist Dieudonne heuer den zweiten Winter in Folge ins Tiroler Kaunertal. Dort wurde das Skigebiet so adaptiert, dass Wintersport auch für Menschen im Rollstuhl ohne Einschränkungen möglich ist. Mit dem Auto parkt der Sportler direkt beim Lift, gelangt ohne Treppen oder Hindernisse zur Talstation und in die Gondel. Dort ist das Personal geschult. Um Hilfe betteln muss niemand, die Liftwarte sehen selbstständig, wer Unterstützung beim Einsteigen braucht, und sind zur Stelle.

Monoskifahrer steigt in die Gondel ein

Barrierefrei auf den Berg: Im Kaunertal geht das.

©TVB Tiroler Oberland/Kaunertal

Das Kaunertal wurde seit 2013 mehrmals als Siegerdestination in Sachen Barrierefreiheit ausgezeichnet. Etwa mit dem EDEN Award (European Destinations of Excellence) und dem Tirol Touristica Preis.

Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich der Kaunertaler Gletscher somit als ansprechende Location für alle, die trotz körperlicher Einschränkungen auf Pistenaction nicht verzichten wollen, etabliert.

Ebenerdige Liftanlagen

Das beginnt bereits bei der Anreise: Die Gletscher Panoramastraße mit herrlichem Bergpanorama sowie flexible Anreisezeiten sorgen für stressfreie Aussichten. Parkplätze stehen direkt an der Piste für Monoskifahrer und Personen mit Handicap zur Verfügung. Der Kaunertaler Gletscher ist übrigens ein vom Land Tirol ausgezeichnetes Monoskigebiet mit eigenen Kursen. Alle Liftanlagen sind ebenerdig erreichbar.

Monoskifahrer mit Helm auf der Piste

Holger Dieudonne im Vorjahr beim Mono-Skikurs in Tirol.

©Privat

An einem der Kurse wird auch Holger Dieudonne in dieser Saison teilnehmen, zum zweiten Mal. Bereits im Vorjahr war er einer von rund fünfzig Menschen im Rollstuhl, die eine Woche lang die Pisten auf dem Gletscher nutzten, um ihre Fahrkünste zu verbessern.

Plötzlich ging nichts mehr

„Im Moment ist Skifahren für mich auch mit viel Frust verbunden, weil ich mich mit früher vergleiche.“ Früher – das war vor viereinhalb Jahren. Damals erlitt der Deutsche einen mittlerweile anerkannten Impfschaden nach der Corona-Impfung.

„Ich war bei einem Radrennen angemeldet. Nach der Impfung ging plötzlich nichts mehr.“ Es wurde das Guillain-Barré-Syndrom diagnostiziert, eine Auto-Immunerkrankung, die durch Impfungen ausgelöst werden kann. Nach sechs bis acht Wochen sind die Lähmungserscheinungen bei den meisten Betroffenen wieder verschwunden. Holger Dieudonne gehört zu den zehn Prozent, denen die Lähmung bleibt. Es gibt minimale Verbesserungen, aber derzeit keine Aussicht auf Heilung.

"Habe die Challenge angenommen"

„Ich habe nie wirklich resigniert, habe die Challenge stattdessen angenommen, auch wenn jeder Tag ein Kampf war. Schön langsam komme ich aus dem Loch heraus und werde wieder leistungsfähiger.“ Grund genug, den Wintersport wieder zu forcieren. Nicht nur der Monoski reizt ihn, eventuell will er heuer auch das Langlaufen ausprobieren. „Das stelle ich mir sehr anstrengend vor“, sagt der Sportler.

Problemlos ins Restaurant

Auch in Sachen barrierefreies Langlaufen ist er im Kaunertal genau richtig: Es gibt bereits vier geprüfte barrierefreie Loipen im Talbereich, die mit Gütesiegel ausgestattet sind. Eigene Langlaufschlitten können mit geschulten Lehrern auf den blauen und roten Loipen getestet werden. Geräte und diverses Equipment können vor Ort im Rolli-Hotel Weisseespitze, einem komplett barrierefreien Hotel, angefragt und ausgeliehen werden.

Langlaufen

Mit Langlauf-Schlitten auf geprüften Loipen unterwegs.

©TVB Tiroler Oberland/Kaunertal

Nicht nur Skifahren und Langlaufen, auch ausgedehnte Winterwanderungen mit dem Rollstuhl sind im Kaunertal möglich. Und dazu Aussichten vom Feinsten: Mit der Karlesjochbahn erreichen auch Rollstuhlgäste die Aussichtsplattform auf 3.108 Meter Seehöhe problemlos. Das Restaurant Weißsee ist komfortabel mit Lift erreichbar, rollstuhlgerechte Toiletten stehen ebenfalls zur Verfügung.

Menschen in Rollstühlen im Schnee

In der Winterlandschaft unterwegs.

©TVB Tiroler Oberland/Kaunertal

„Ich war mehr als fünfzig Jahre lang auf meinen Beinen und somit in vielen Skigebieten unterwegs. Seit ich im Rollstuhl sitze, habe ich ganz andere Bedürfnisse und Ansprüche an ein Skigebiet“, erklärt der ehemalige Lagerlogistiker. Im Kaunertal bekomme man die Barrierefreiheit wesentlich besser hin als anderswo, erzählt er aus Erfahrung.

Info

Anreise
Mit der Bahn bis Bhf. Landeck-Zams, weiter mit dem Bus. oebb.at

Entwicklung
Seit den 1980ern setzt das Kaunertal auf barrierefreien Tourismus. Unter dem Motto „Urlaub für alle“ wurde die Region – von der Gastro über Seilbahnen bis hin zu Wanderwegen –  an die Bedürfnisse von Menschen mit eingeschränkter Mobilität angepasst.

Auskunft
TVB Tiroler Oberland – Erlebnisraum Kaunertal: 
+43/50 225 200  oder kaunertal.com

Was den Alltag samt seinen Anforderungen betreffe, bekomme er die Höchstmittel vom Staat – „ich werde entschädigt.“ Das spezielle Handbike für die herausfordernden Bergtouren ist aber finanziell sein Privatvergnügen. Ähnlich ist es mit dem Monoski oder der Langlaufausrüstung. Gut also, dass beides bei Bedarf auch vor Ort ausgeborgt werden kann.

Offen für Fragen

Wenn Holger Dieudonne im Sommer mit seinem Handbike und im Winter mit seinem Monoski unterwegs ist, wird er immer wieder interessiert angesprochen, viele Menschen haben Fragen: „Ich werde natürlich wahrgenommen. Das ist total okay für mich, denn ich gehe offen mit meiner Behinderung um.“

So hält er es auch diese Saison wieder, wenn er das Glücksgefühl, den Schnee und die Freiheit sportlich auf dem Kaunertaler Gletscher zelebriert.

Claudia Stelzel-Pröll

Über Claudia Stelzel-Pröll

Claudia Stelzel-Pröll schreibt seit 2003 im Chronik-Ressort des KURIER. Nach langem Einsatz in Wien, arbeitet die gebürtige Linzerin seit Mai 2015 in der Oberösterreich-Redaktion mit. Dabei ist sie immer auf der Suche nach spannenden Menschen mit ebenso spannenden Geschichten - bestenfalls berührend und packend, gerne anders als erwartet und dabei immer stilvoll unterhaltsam.

Kommentare