Der verrückte Forcolaio: Wie eine venezianische Gondel gebaut wird

Der verrückte Forcolaio: Wie eine venezianische Gondel gebaut wird
Wie eine venezianische Gondel gebaut wird, wissen die wenigsten. Kunsthandwerker Piero Dri stellt die Rudergabel her.

Die Calle de L’Oca ist eine eng verwinkelte Gasse, gegenüber vom Campo Santa Sofia. Gleich am Anfang der Calle befindet sich die Werkstatt von Piero Dri, oder besser gesagt des Forcolaio Matto – des verrückten Rudergabelbauers. Um zu wissen, was ein Forcolaio oder eine Forcola ist, muss man aus Venedig kommen: Die Forcola ist die Rudergabel für die Gondel und etliche andere typische Boote der Lagunenstadt.

In Dris Werkstatt riecht es angenehm nach Holz. Auf den Stellagen entlang der Wände stehen Forcole, unter der Decke erblickt man bunte Ruder, Dri ist nämlich auch Remèr, Ruderbauer. Gerade steht er an einer Werkbank, schnitzt, hobelt und hebt das Holzstück immer wieder in die Höhe, kontrolliert, ob Wölbungen und Größe passen. „Die Rudergabel muss perfekt passen“, erklärt er. Während er spricht, nimmt er das Teil von der elektrischen Säge, geht zu einer großen Holzzwinge, macht es fest und schnitzt manuell weiter.

Piero Dri ist achtundreißig Jahre alt und einer der letzten fünf Forcolai in der Stadt. Eigentlich hat er ja Astronomie in Padua studiert, „doch mir fehlte Venedig, ich hatte das Gefühl, meine Stadt aus den Augen verloren zu haben.“ Also packte er seine Sachen, kam zurück und ging bei Meister Paolo Brandolisio in die Lehre. Dem Laien sagt der Name natürlich nichts, doch Brandolisio war Lehrling bei Giuseppe Carli, dem unbestrittenen Maestro der Forcolai.

Der verrückte Forcolaio: Wie eine venezianische Gondel gebaut wird

Jahrhundertealte Kunst

Für Dri ist die Gondel die höchste Form des venezianischen Kunsthandwerks, immerhin ist sie das Produkt jahrhundertealter Handfertigkeit. „Freilich, die Gondel gehört zu Venedigs wichtigsten Touristenattraktionen“ fügt er hinzu „sie ist und bleibt aber bis heute ein zu hundert Prozent authentisches Manufakt.“ Für jede Gondel braucht es zehn unterschiedliche Kunsthandwerker. Neben dem Forcalio, auch den Squerarol, den Bootsbauer. Oder den Fondidor, den Eisengießer, der die Pferde- oder Molchköpfe an der Seite der Gondel formt. Zur Zeit der Republik Venedig waren die Zünfte strikt voneinander getrennt, um sie zu schützen. Für den Forcolaio ist die Forcola eine „funktionale Skulptur“, die er auch als solche verkauft, unter anderem in Österreich. Die Dimension ist für die Position der Rudergabel wichtig, während die Ästhetik dem Rudern die Eleganz verleiht.

Fachkenntnis und Leidenschaft

Wenn Piero Dri über seine Arbeit und die Boote spricht, ist es nicht nur seine Fachkenntnis, die man heraushört, sondern auch Leidenschaft, wenn nicht sogar eine gewisse Innigkeit. Und der Gedanke ist nicht verkehrt. Von seinem Großvater hat er ein Sandolo geerbt, ein eher schlichtes Boot mit flachem Boden, in dem man, wie in der Gondel, stehend rudert. Mindestens zwei Mal pro Woche fährt er zum Trainieren hinaus in die Lagune. „Ich nehme an Regatten teil, auch am alljährlichen Ruderwettrennen Vogalonga. In diesem Fall aber nur aus Vergnügen.“ Heuer findet die Vogalonga am 5. Juni statt. Zum Abschied zeigt Dri noch ein Foto, das er früh morgens vom Boot aus gemacht hat. Man sieht die Lagune im Sonnenaufgang und versteht, warum er zurück nach Venedig wollte und sich für diesen „verrückten“ Beruf entschlossen hat.

Info

Klimafreundliche Anreise
Mit der Bahn ist Venedig sehr gut erreichbar. Die ÖBB bieten täglich mehrere Direktzüge an. Mit dem Nightjet erreicht man die Lagunenstadt in zirka elf Fahrstunden über Nacht  (ab 29,90 Euro pro Person)
oebb.at

Flanieren
Ghetto Ebraico: Im Viertel Cannaregio liegt das jüdische Viertel von Venedig.  Ab dem 16. Jahrhundert lebte die jüdische Bevölkerung im „Ghetto Ebraico“. 1953 wurde das jüdische Museum der Stadt eröffnet
museoebraico.it/en/museum

Kunst
Im Palazzo Ca’ d’Oro aus dem 15. Jahrhundert kann man neben sehenswerten Gemälden zwei besondere Meisterwerke bewundern: Mantegnas „Heiliger Sebastian“ und Tizians „Venus im Spiegel“
cadoro.org/?lang=en

Essen
Die urige Trattoria da’a Marisa ist  nicht weit vom Bahnhof entfernt gelegen. Sie ist so etwas wie Stammlokal der Gondolieri  

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