Bouldern im Maltatal: Meditation im Wald und am Fels

Bouldernde Frau auf einer Route im Maltatal in Kärnten, am Boden liegen Crashpads
Bouldern liegt im Trend. In der Halle, aber auch in der Natur. Was das mit Meditation zu tun hat und warum junge Menschen Matten durch die Wälder schleppen
Von Lea Moser

Der Wald dampft. Man hört einen Bach rauschen, dann immer lauter einen Wasserfall. Nur wenige Autos parken hier, Wanderer gibt es kaum. Die wenigen, die sich ins Tal verirren, wollen zum Bügeleisen, zur Miza von der Weixl oder zum Meilenstein. Alle drei sind Boulder – auf Deutsch: Felsblöcke. Der nicht kletternde Spaziergänger zieht an diesen bemoosten Blöcken in Richtung hoher Gipfel vorbei, weil er nur Felsen sieht. Eine kleine Gemeinschaft von Sportlern erkennt darin aber begehbare Routen.

Im Maltatal in Kärnten, etwa dreißig Minuten vom Millstätter See entfernt, hinter der mittelalterlichen Künstlerstadt Gmünd und unter der Kölnbreinsperre, liegt eines der besten Bouldergebiete Europas. Bouldern – das ist Klettern ohne Seil und Gurt in Absprunghöhe, weiter als fünf Meter geht es selten hinauf. Geprägt wurde die Sportart in Fontainebleau, in der Nähe von Paris, und war eigentlich als Training für die „richtigen“ Berge gedacht. Bouldern ist seit ein paar Jahren sehr populär, überall eröffnen neue Boulderhallen.

Im Gegensatz zum Klettern am Seil besteht eine Boulderroute nur aus wenigen Bewegungen. Griffe und Tritte sind schlecht – sehr schlecht. Oft passt nicht einmal das vorderste Fingerglied auf den Felsvorsprung, der nur ein paar Millimeter breit ist. Das fordert Fingerkraft, ein Gefühl für den Schwerpunkt des eigenen Körpers, Kreativität und gute Technik. Viele kennen den Sport nur auf Kunststoffgriffen in der Halle.

Draußen ist alles anders.

Anreise
Mit dem Zug nach Spittal an der Drau, vor Ort ist man auf ein Auto oder die Wanderbusse angewiesen

Leave no trace
Die wichtigste Regel beim Bouldern lautet: „Hinterlasse keine Spuren“ – weder Müll noch Markierungen auf den Felsen

120 Boulder
warten im Gebiet Schleierwasserfall. Die ersten Erfahrungen sollte man aber zuerst in der Halle machen, z. B. in der Boulderbar. Auch Alpenverein und Naturfreunde bieten Einsteigerkurse

Kletterführer Band 2 von „Alpen en bloc“  (Panico Alpinverlag) mit Routenbeschreibungen und Infos

Auskunft
maltatal.com
maltatal.rocks 

In der Natur

Valerie wärmt ihre Finger auf, dehnt sich, macht ein paar Hampelmänner. Für Anfänger ist das erste Mal Outdoor-Klettern eine Herausforderung. Was sich auf Plastik leicht anfühlt, ist auf Stein fast unmöglich. Nach ein paar Versuchen beginnt Valeries Haut zu reißen, ihre Fingergelenke schmerzen. Am Ende des Tages hat sie überall Aufschürfungen und blaue Flecken. Draußen braucht man mehr Kraft und mehr Vertrauen. Darauf, dass man sich in der Wand halten kann und dass die Füße nicht abrutschen. Kraft und Mut reichen nicht: Valerie sucht nach kreativen Lösungen.

„Am Fels sein“ heißt auch, herumzusitzen und gemeinsam an Boulderproblemen zu tüfteln. In den langen Pausen zwischen Versuchen schließt man die Augen und atmet moosige Luft, die nach Kräuterzuckerl schmeckt. Bouldern ist Waldmeditation, nur mit aufgerissener Haut an den Fingerkuppen. Statt durchzurauschen, bleibt man sitzen, fühlt den Fels, stellt sich darauf ein, probiert einzelne Bewegungen immer und immer wieder. Ob Granit oder Sandstein – die Kanten, Risse und Löcher im Gestein werden gelesen wie eine Landkarte, um Wege nach oben zu finden. Irgendwann hat Valerie es raus. Dafür tut man sich das an: den Glücksrausch nach einer gemeisterten Route. Am Ende des Tages steht es im Spiel Schwerkraft gegen Valerie 0:1.

Kletterer wandern mit Crashpads (Absprungmatten) der Küste entlang über eine Wiese

Wandernde "Matratzen": Boulderer ziehen immer wieder amüsierte Blicke auf sich

Schwierige Routen

Sie zieht mit ihren Freunden weiter. Die Absprungmatten („Crashpads“) auf den Rücken geschnallt, wandern sie durch den Wald in der Nähe des Schleierwasserfalls. Und ziehen immer wieder verwunderte Blicke der Wanderer auf sich. Am Waldrand bleiben sie bei La Balance stehen. Eine schwierige Route mit rutschigen, abgeschmierten Tritten. Valeries Kletterpartner Ali reibt sich die Hände für besseren Halt mit Magnesium ein. Er setzt einen hohen Fuß, hält das Gleichgewicht, dann muss er mit der rechten Hand weit nach oben. Die anderen feuern ihn von unten an. Beim schwierigsten Zug rutscht er ab. Egal. Jetzt ruft er Valerie zu, die sich bereit macht: „Allez! Geht scho!“

Boulderer auf der Route La Balance im Maltatal in Kärnten

Die Boulderroute „La Balance“ (Schwierigkeit 7a) ist hart, aber es gibt härtere im Maltatal
 

Der Sport hat sich professionalisiert, seit er 2020 eine olympische Disziplin wurde. Aber es ist immer noch eine Subkultur, ähnlich wie Surfen oder Skateboarden. Mode, Slang, Lifestyle – das gehört hier alles zusammen. Was auf den ersten Blick exklusiv wirkt, ist eine vernetzte, weltoffene und hilfsbereite Gemeinschaft. Das Maltatal ist seit seiner Erschließung in den 1990er-Jahren ein wichtiger Treffpunkt. Boulderer pilgern aus ganz Österreich und dem Rest der Welt nach Kärnten. Etwa zu einem der berühmtesten Boulder Österreichs: Hinter der Straße ragt eine meterhohe, spiegelglatte Felsplatte in die Höhe, geneigt wie ein Bügeleisen, das dem Stein seinen Namen gibt. Erst kürzlich ist die slowenische Olympiafavoritin Janja Garnbret die Route mit „Sitzstart“ (also von sitzender Position aus) als erste Frau gebouldert.

Wenn die Unterarme zu müde werden, kann man das Tal gut mit Wanderschuhen erkunden. Entlang der Malteiner Wasserspiele führt ein gemütlicher Weg vorbei an Wasserfällen und Gletschermühlen. Im Sommer eine willkommene Abkühlung, auch für Gäste ohne Kletterzeug.

Melnikfall im Maltatal, Schlucht in Kärnten, Malteiner Wasserspiele

„Malteiner Wasserspiele“: Der Wanderweg sorgt für Abkühlung im Sommer

  1. Fontainebleau: Die Region in der Nähe von Paris ist nicht nur für Renaissance-Schlösser bekannt, sondern auch die Wiege des Bouldersports in Europa 
  2. Magic Wood: Der „magische Wald“ liegt in der Schweizer Gemeinde  Ferrera. Es ist eines der beliebtesten Bouldergebiete, gilt aber auch als überlaufen. Von 7. bis  9. Juni findet ein Boulderfestival statt
  3. Deep Water Solo: definitiv nichts für Anfänger. Höher als Bouldern, über Wasser und ungesichert. Wer es probieren will:  am besten auf Mallorca

Bei Einbruch der Dämmerung packen Valerie und Ali ihre Ausrüstung zusammen, putzen die Kreidespuren vom Fels (siehe Info) und schnallen sich ihre „Matratzen“ wieder auf den Rücken. Es ist kühl geworden. Ein letzter Blick zurück, noch während des Abstiegs werden die Routen diskutiert – vor allem die unbezwungenen. Auch das gehört dazu. Wer bouldern will, muss zuerst das Scheitern lernen. Und wiederkommen.

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