Auf nach Venedig - jetzt, da es den Venezianern gehört

Auf nach Venedig - jetzt, da es den Venezianern gehört
Der Winter ist der richtige Zeitpunkt für einen Blick hinter die Kulissen der Serenissima.

Eigentlich sollte hier nichts stehen – kein Buchstabe, kein Wort, kein Satz. Normalerweise läge alles im Nebel. Wie könnte es anders sein, wenn von Venedig im Winter die Rede ist. Nie hätte ich etwas über meine Lieblingsstadt zu meiner Lieblingsjahreszeit verraten. Schließlich sollte sie weiterhin alleine mir und den Venezianern gehören.

Doch jetzt ist es raus: Venedig im Dezember oder Jänner bietet die Gelegenheit, die Serenissima „pur“ zu erleben, findet Wolfgang Salomon und hat ein ganzes Buch darüber geschrieben. Der Bestsellerautor lässt sich durch vorweihnachtliche Calli und Campi treiben, genießt die Jännersonne am Lido, gibt Museumstipps für nasskalte Tage. Salomon: „Gerade in den Wintermonaten lässt Venedig seine Masken fallen und zeigt sich dem aufmerksamen Beobachter in seiner ganzen Pracht.“

Acqua alta in Venice

Der Reiz des Aqua Alta

Der berühmte Winternebel, der der Stadt eine ganz besondere Atmosphäre verleiht? Bekannt!

Die plötzlich verschwundenen Warteschlangen vor den Sehenswürdigkeiten? Geschenkt!

Hotels so günstig, dass sich sogar Normalsterbliche eine Nacht in einem Palazzo am Canal Grande leisten können? Gekauft!

Wo noch Venezianer leben

Womit wir beim Anfang wären: in Cannaregio. Hier beginnt der Canalazzo, wie die Einheimischen den Canal Grande liebevoll nennen. Hier leben und arbeiten tatsächlich noch Venezianer. Hier lassen wir die Strada Nova, die große Touristenmeile, rechts liegen, wollen wir doch unsere Chance auf ein Stück „echtes“ Venedig wahren: Leute, bepackt mit Einkaufssackerl, sind auf dem Rückweg nach Hause. Kinder spielen Fußball in einem kleinen Hof, Frauen hängen Wäsche auf. 33 Inseln unter den Füßen und ein Stück verborgene Geschichte hinter unscheinbaren Fassaden, liegt hier doch das ehemalige jüdische Ghetto – das erste, namensgebende weltweit.

Versteckt

Ursprünglich befanden sich hier die Kanonengießereien und das italienische gettare („Kupfer gießen“) wurde zu „Ghetto“ und das wiederum zum Synonym für Judengebiete überhaupt. Leicht könnte man den unscheinbaren, windschiefen und viel zu niedrigen Durchgang nahe der Haltestelle Guglie übersehen. Heute hüten Juden hier wieder einen einzigartigen Schatz: fünf Synagogen aus dem 16. Jahrhundert.

Die Gotteshäuser sind so in die Ghetto-typischen Hochhäuser integriert, dass sie keiner hinter den nichtssagenden Fassaden vermutet. Der Führer deutet auf eine Fensterfront. „Sehen Sie die fünf Fenster? Dahinter liegt die deutsche Synagoge, die wir soeben besichtigt haben.“

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Prachtvolle Synagogen....

Auf nach Venedig - jetzt, da es den Venezianern gehört

.... hinter unscheinbaren Fassaden

Noch weiter dahinter liegt die Synagoge der Ashkenasen. Ein Blick hinter die Kulissen lohnt: Die Scuola Levantina etwa ist innen reich dekoriert und besitzt eine kunstvoll geschnitzte Kanzel. Später auf dem Platz des Ghettos lädt eine Steinbank zum Verweilen und Beobachten des jüdischen Lebens ein – nicht ohne vorher eine jüdische Bäckerei gleiche nebenan besorgt zu haben.

So gestärkt, ist es nicht weit zu den vielen Seitenarmen der Strada Nova.

Billigste Gondelfahrt

Von hier lassen sich gut Gondelfahrten starten, die günstiger als in anderen Teilen der Stadt sind. Psssst!: Besonders Clevere marschieren weiter zur Rialtobrücke und halten gleich bei der Haltestelle San Tomá nach den grün-goldenen Schildern der Traghetti Ausschau. Wer zwei Euro investiert, kommt hier nämlich zur billigsten Gondelfahrt ever. Schnell und im Stehen über den Canal Grande setzen, selbst wenn man eigentlich gar nicht auf die andere Seite muss, und dem Gondoliere bei seiner Arbeit zuschauen.

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Mit dem Traghetto über den Canal

Mit Glück sind auch Hausfrauen mit ihren Markteinkäufen an Bord. Spätestens da ist man dann im echten Leben der Serenissima angekommen. Und verträgt wieder einen Schuss Kommerz – vor allem, wenn man Venedig von oben sehen möchte. Denn die öffentliche hölzerne Dachterrasse des alten Handelshauses Fondaco dei Tedeschi bietet einen atemberaubenden Ausblick. Wobei bereits die Fahrt hinauf im Inneren des Luxuskaufhaus ein Erlebnis ist.

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Venedig von oben

Kalt? Kann bei eisigem Wind in luftiger Höhe und bei Wintertemperaturen im einstelligen Bereich schon passieren. Da empfehlen sich Abstecher hinter die Kulissen berühmter Häuser, zum Beispiel der Oper: La Fenice (der Phönix, wie passend), 1996 abgebrannt, 2003 wiedereröffnet, zum Beispiel. Rot-goldene Barockpracht, die spätestens in der nachträglich für Kaiser Napoleon eingebauten Kaiserloge zum Kitsch wird. Dort, wo einst die High Society lauschte, dürfen heute auch Normalsterbliche kurz Platz nehmen. Sogar die Umkleideräume der Schauspieler gehören zum Besichtigungsprogramm der Tour, die schlicht Visit the Theatre heißt. Was ein echter Opernliebhaber ist, ergattert im Anschluss vielleicht sogar eine Restkarte für den Abend. Das venezianische Neujahrskonzert dirigiert jedenfalls Fabio Luisi.

Wo die Dogen logierten

Nachdem wir bereits auf Hintergründiges eingestimmt sind, geht es weiter in den Dogenpalast – durch geheime Türen, enge Gänge und über verwinkelte Holztreppen in jene Räume, die dem Dogen vorbehalten waren.

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Über enge Treppen ...

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... durch geheime Türen ....

Auf nach Venedig - jetzt, da es den Venezianern gehört

... zu Ausblicken, die dem Dogen vorbehalten waren

Es ist die einzige Chance, seine Gemächer sowie die Porta della Carta betreten zu dürfen, jene Loggia, auf der sich der Doge einst während der öffentlichen Feierlichkeiten zeigte. Ach ja, den Arco Foscari mit seinen Staatsschätzen sieht man ebenfalls, ehe man unversehens durch eine unscheinbare Tür schlüpfte und im riesigen Senatssaal steht, um sich wieder in den Touristenstrom einzureihen. Oder den Dogenpalast auf der Suche nach ruhigeren Orten fluchtartig zu verlassen.

Auf zu anderen Inseln

Gut, dass vor der Tür die Vaporetti in alle Himmelsrichtungen ablegen. Vielleicht nach Torcello, das erste und älteste Venedig, das im Winter schon mal sturmumpeitscht und menschenleer ist? Nach Lazzaretto Nuovo, das in Zeiten der Pandemie als erste Quarantäne-Insel unfreiwillig Berühmtheit erlangt hat? Oder doch nach La Certosa, das nur angefahren wird, wenn man dem Schaffner vorher Bescheid gibt?

Zu viel? Wie gut, dass wieder ein Winter kommt. Schade nur, dass hier kein einziger Buchstabe, kein Wort und kein Satz meine Lieblingsziele verrät.

Auf nach Venedig - jetzt, da es den Venezianern gehört

Buchtipp: Wolfgang Salomon, „Venedig. Wintertage in der Serenissima“, Styria Verlag, 28 €

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Eislaufen im Schatten der Palazzi

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