Auf nach Undeutschland: So exotisch ist das Nachbarland

Fast wie am  Ganges“: In Hamm in Westfalen steht der größte Hindu-Tempel Kontinentaleuropas.
In Österreich käme wohl niemand auf die Idee, Deutschland als exotisch zu bezeichnen. Dabei gibt es zwischen der ostfriesischen Insel Juist und dem fränkischen Dinkelsbühl viel zu entdecken, das berühmten Orten oft verblüffend ähnlich ist. Eine Weltreise im Kleinen.

Frauen in leuchtend bunten Saris, Männer, die rituelle Waschungen im Fluss abhalten. Trommeln, Räucherstäbchen. „Fast wie am indischen Ganges“, sagt Jochen Müssig. Doch diese Szenen spielen sich im Industriegebiet von Hamm-Uentrop in Nordrhein-Westfalen ab, wo seit 2002 der größte Hindu-Tempel Kontinentaleuropas steht.

Die deutsche Reisejournalistin Margit Kohl und ihr Kollege Jochen Müssig haben jeweils knapp hundert Länder bereist und gemeinsam neun Bücher geschrieben. Nun haben sie sich in ihrer Heimat Deutschland genauer umgesehen. „Das Buch ist ein Produkt der Corona-Zeit“, sagt Müssig. Wenn man exotische Destinationen nicht besuchen könne, finde man ja vielleicht Vergleichbares im eigenen Land.

Den Hindu-Priester mit langem weißen Bart, der 1989 während seiner Zugfahrt quer durch Europa in Hamm ausstieg, „weil er plötzlich hungrig war“ und später den Tempel bauen ließ, hat Müssig zufällig getroffen. „Hamm ist keine aufregende Stadt. Aber das ist für mich das Überwältigendste gewesen. Dass das so indisch ist, mitten in Deutschland, hätte ich nicht erwartet.“

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Wie im Amazons, nur ohne Krokodile

Auch Kohl, die sich auf Schiffs- und Zugreisen spezialisiert hat, nennt ihr Lieblingsbeispiel: „Ich bin auf dem Amazonas mit dem Schiff gefahren. Und ich war im Spreewald, habe dort am Kanal gewohnt, hatte ein kleines Kanu. Klar gibt’s da keine Krokodile, aber Schlangen und Wasserpflanzen. Wenn man in den engen Kanälen paddelt, ist man auch in einer grünen Hölle.“

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Insgesamt sechsundvierzig Vergleiche zwischen deutschen und ausländischen Orten, die sich „fast bis aufs Haar gleichen“, finden sich im Buch. Da wird Dinkelsbühl mit seinen mittelalterlichen Türmen als fränkische Antwort auf San Gimignano in der Toskana gefeiert und die autofreie Ostfrieseninsel Juist mit Fraser Island in Australien verglichen. Ein Österreich-Beispiel hat es auch in die Auflistung geschafft: Auf der Mathildenhöhe in Darmstadt sind wunderbare Jugendstil-Ensembles zu besichtigen, die stark an Wien erinnern. Auf die Frage, warum nicht mehr aus Österreich im Buch vorkommt, sagt Müssig: „Das ist ja fast wie zu Hause zu verreisen.“

Vorzeigedeutschland

Wo aber findet man das ganz normale Deutschland? „Gute Frage“, sagt Müssig lachend. „Das deutsche Deutsch wird in Hannover gesprochen.“ Wer an die deutsche Romantik denkt, sollte nach Rothenburg ob der Tauber fahren, wo das mittelalterliche Stadtbild außergewöhnlich gut erhalten ist. „Für mich ist es meine Geburtsstadt Würzburg: viele Kirchen, ein bisschen konservativ, inzwischen aber offener.“

Zwei Beispiele

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Düsseldorf als Tokio: Etwa achttausend Japaner leben in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens und bilden so die größte japanische Gemeinde in Europa (Niederlassungen japanischer Firmen sind ein Grund). In Little Tokyo findet man  japanische Buch-, Tee- und Porzellangeschäfte sowie handgemachte Soba-Nudeln (eine japanische Spezialität). Im Bild: das Eko-Haus, das japanische Kulturzentrum.
 duesseldorf-tourismus.de

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Salem als Marokko. Um   Berberaffen zu erleben, muss man nicht nach Afrika reisen: In Salem (Baden-Württemberg) können Besucher durch das größte Affenfreigehege Deutschlands spazieren. In dem zwanzig Hektar großen Park nahe des Bodensees tummeln sich im Fichten- und Buchenwald die aus Marokko bekannten Affen. Das Areal ist eingezäunt, es gibt aber keine Käfige. affenberg-salem.de

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Buchtipp: „Weltreise durch Deutschland“ von Margit Kohl und Jochen Müssig,
360 Grad Medien, 224 Seiten, 19,95 €

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